Mannheim, Rosengarten, MANNHEIMER Akademiekonzert - Messa da Reqiem, IOCO
Musikalische Akademie, Mannheim: Besser hätte die Musikalische Akademie ihre Spielzeit nicht beenden können als mit Giuseppe Verdis grandiosem Messa da Requiem, einem Ausnahmewerk, das mit seinem Grossaufgebot von Chor, Orchester ....
von Uschi Reifenberg
8. Mannheimer Akademiekonzert am 8. Juli 2024 im Mozartsaal des Mannheimer Rosengarten - Giuseppe Verdi (1813-1901) MESSA DA REQUIEM
GMD Roberto Rizzi Brignoli, Dirigent, Anush Hovhannisyan, Julia Faylenbogen, Martin Muehle, Sung Ha, Opern- und Extrachor des NTM, Leitung: Alistair Lilley, Nationaltheater Orchester
Der Mensch im Angesicht des Todes
Besser hätte die Musikalische Akademie ihre Spielzeit nicht beenden können als mit Giuseppe Verdis grandiosem Messa da Requiem, einem Ausnahmewerk, das mit seinem Grossaufgebot von Chor, Orchester und Solisten sämtliche Energien aller Mitwirkenden mobilisierte und zu einem vom Publikum frenetisch gefeierten Höhepunkt wurde.
Es ist fast unmöglich, von dieser Musik nicht berührt, ja, überwältigt zu werden. Im Spannungsfeld zwischen Himmel und Hölle, Apokalypse und Erlösung, Angst und Hoffnung, stellt dieses Werk die letzten Fragen des Seins, zeigt den Menschen mit seinen Zweifeln, den hochgestimmten Emotionen im Angesicht von Trauer und Tod, in der persönlichen Zwiesprache mit Gott.
In seiner musikalischen Gestaltung geht Verdi über die christliche Vorstellung von Tod und Auferstehung hinaus, erweitert das Deutungsspektrum und löst sich von liturgischem Kontext. Dennoch ist das Werk von einer tiefen Gläubigkeit erfüllt.
Das Requiem bewegt sich zwischen Totenmesse und Musikdrama, von Verdis Zeitgenossen schon damals als „Oper in liturgischem Gewand“ bezeichnet und gerade deshalb in seiner Uneindeutigkeit der sakralen Aussage und Hinwendung zum Menschheitsdrama eine der populärsten Tonschöpfungen dieses Genres. Verdi vertont den Text der lateinischen Totenmesse, der auf einen großen gemischten Chor, ein ebensolches Orchester sowie ein Solistenquartett - Bass, Tenor, Mezzosopran und Sopran aufgeteilt wird.
Er strukturiert den Text der römisch-katholischen Liturgie in sieben Sätze, der letzte Satz, das „Libera me“ (Befreie mich) wird zum Ausgangspunkt der gesamten Komposition. Im Mittelpunkt steht der lebende Mensch, der sich der Verstorbenen erinnert und ihre Totenruhe feiert.
Verdi, 1813-1901, bereits in frühen Jahren leidgeprüft - er verlor im Alter von 27 Jahren seine Frau und die beiden Kinder - stand der katholischen Kirche stets kritisch gegenüber. Er selbst bekannte: „Vielleicht bin ich ein gläubiger Mensch, jedoch nicht im konfessionellen Sinne. Ich glaube an eine positive Kraft. An etwas, das größer ist als wir und uns durchs Leben trägt“.
Der Tod Gioacchino Rossinis 1868 bewog Verdi zu der Idee, ein gemeinschaftliches Requiem für den verehrten Komponisten zu schreiben, 13 italienische Komponisten sollten sich beteiligen, jeder einen Teil in Töne setzen. Doch daraus wurde nichts. Verdi selbst hatte dafür das „Libera me“ komponiert, welches er erst 5 Jahre später für einen ebenso gewichtigen Anlass in überarbeiteter Form wieder verwenden sollte:
Der Tod des italienischen National- Schriftstellers Alessandro Manzoni, ein Seelenverwandter Verdis und Symbolfigur für das Risorgimento, der nationalen italienischen Einigungsbewegung. Verdi stand Manzoni und dem Risorgimento sehr nahe und sollte später dessen „Galionsfigur“ werden. (V.E.R.D.I. - Akronym für „Vittorio Emmanuele Re D’Italia“ (dt. „Victor Emmanuel König von Italien“).
In dieser monumentalen Tondichtung voller Extreme prallen vierfache Piani auf donnernde Forte - Ausbrüche, unerbittliche Trommelschläge und chromatische Passagen setzten hochdramatische Wirkungen frei, verzahnen sich Chorszenen und Soli, wechselt die Perspektive von der Innerlichkeit des Individuums zur kollektiven Allgemeingültigkeit, vor allem im „Dies irae“. Polyphonie erklingt im Wechsel mit flächigen Abschnitten. Im Sanctus wird die doppelchörige Fuge zur konstituierenden Form. Das „Libera me“ am Ende erinnert an eine Opernszene mit Sopransolo und Fernchor, ähnlich der Szene im 4. Akt des „Trovatore“.
Am NTM ist Roberto Rizzi Brignoli in den vergangenen Jahren mit herausragenden Verdi Interpretationen hervorgetreten wie Otello und Il Trovatore. Nach seiner ersten Spielzeit als GMD widmete er sich nun einem „Herzensstück“, das in dieser eindrucksvollen Interpretation in nachhaltiger Erinnerung bleiben wird.
Zweifellos ist Verdis Musik tief in der DNA des italienischen Maestro verwurzelt, das Requiem zählt zu seinen am häufigsten dirigierten Werken und begleitet ihn seit frühester Jugend wie er im Vorgespräch zum Konzert erklärte.
Nicht nur der Zuschauerraum, auch die Bühne des Mozartsaals war brechend voll: an die 90 Chorsänger, fast ebensoviele Orchestermusiker und 4 Solisten, die seitlich links etwas ungünstig und leider schlecht sichtbar positioniert waren, hatten dort Platz genommen. Sie alle sorgten eineinhalb Stunden lang für ein Konzertereignis von geistiger und emotionaler Tiefenwirkung.
Der Beginn ist magisch: Streicher, die aus dem Nichts zu kommen scheinen intonierten fast unhörbar eine schwermütige Abwärtsbewegung; flüsternd setzte der von Alistair Lilley bestens einstudierte, differenziert und homogen singende Chor mit der Fürbitte für die Toten ein: „Requiem aeternam“.
Maestro Rizzi Brignoli zelebrierte das Gebet sehr innerlich und ruhig, bis der Tenor mit seinem kraftvollen Einsatz des „Kyrie eleison“ das Solistenensemble einleitete, das erst nach und nach zu einem einheitlichen Klang zusammenfand. Furcht und Hoffnung mischten sich im „Ingemisco“, von Martin Muehle mit biegsamem, nicht immer ganz frei strömendem Tenor vorgetragen.
Mit großer Wucht, harten Trommel- und Paukenschlägen durchbricht der zentrale und längste Satz, das „dies irae“, die ruhige Stimmung. Der Dirigent ließ die Apokalypse in all ihren Schreckensvisionen hereinbrechen, Funken des Fegefeuers aufblitzen und entwickelte Seelenzustände von kammermusikalischer Sensibilität und Schlichtheit bis zur opernhaften Monumentalität.
Mit eindrucksvoller Stimmgewalt und erschütternder Intensität brachten die Musiker den Saal zum Beben, im Orchester künden Streichertremoli, Blechbläser und absteigende Skalen vom Strafgericht; bedrohlich, in variabler Dynamik, schilderte der Chor existenzielle Grenzerfahrungen, die vom Aufschrei bis zum Flüstern reichten.
Strahlende Blechbläser und Paukenwirbel eröffneten im „Tuba mirum“ das Gericht, scharf akzentuierte Schnitte verstärkten die Anklage gegen das Unrecht, Ferntrompeten erzeugten einen weiten Raumklang.
Der Bass Sung Ha beschwor mit seinem „Mors stupebit“ eindringlich den Weltenrichter; mit würdevollem, gut fokussiertem Bass färbte er das Wort „mors“ (Tod) in vielen Facetten und ließ Endzeitvisionen entstehen.
Julia Faylenbogen,- mit viel Erfahrung in den großen Verdi- Opernpartien-, verkündete im „Liber scriptus“ ebenfalls die Unausweichlichkeit des Richterspruchs. Ihr dramatischer Mezzosopran klang stilsicher und substanzreich, trägt auch in der tiefen Lage mühelos über die Klangdimensionen und kündete textdeutlich von tiefer Schmerzerfahrung.
Das „Ricordare“ berührte in seiner andächtigen Wahrhaftigkeit, in der sich Sopran und Mezzosopran in nuancierter Feinabstimmung und zarten Pianofarben vereinigten, flehentlich, mit der Bitte um Gnade.
Die Sopranistin Anush Hovhannisyan wartete mit ätherischen Höhen und inniger Legatokultur auf, ihre lyrische Stimme blühte beseelt auf und öffnete transzendente Bereiche.
Präzise Trompetensignale leiten den konzertant anmutenden Sanctus-Satz ein, den Rizzi Brignoli wie aus einem Guss aufbaute. Die grosse Chor-Doppelfuge erreichte hier starke Wirkung mit ihrem achtmaligen federnden „Sanctus“ Einsatz, kontrapunktiert von tänzerischen Holzbläsermotiven, und generierte eine Art „Dolby Surround“ Effekt.
Starke Kontrastwirkung erreichte das „Agnus dei“ das die beiden Frauenstimmen a cappella mit Schlichtheit und klarer instrumentaler Linienführung gestalteten.
Den Schluss-Satz bildet das ausladende „Libera me“, das als große Sopran-Chor Szene in Weltabkehr dem Tod ins Angesicht blickt. Anush Hovhannisyan gestaltete das eingehende Rezitativ stilsicher in opernhafter Dramatik, wechselte zwischen innigen Kantilenen und verzweifelten Ausrufen und bat um Errettung vor ewiger Verdammnis. Flüsternde Chorpassagen auf welche die Fagotte zögernd antworten, erzeugten große Spannung. Wieder bricht das „dies irae“ mit seinem erschütternden Thema herein, Angst und Schrecken verbreitend. Am Ende steht die Erlösungshoffnung. Sehr leise, fast fragend erklingt zum letzten Mal das „Libera me“.