MANNHEIM, Rosengarten, EUROPEAN YOUTH ORCHESTRA ACADEMY 2024, IOCO
EYOA: diese vier Buchstaben stehen für ein außergewöhnliches Mannheimer Projekt: für die European Youth Orchestra Academy, die seit 2019 besteht und vom ehemaligen Leiter des Mannheimer Rosengarten Michel Maugé anlässlich der Europäischen Parlamentswahlen ins Leben gerufen wurde ....
von Uschi Reifenberg
Ein Fest für Europa - Junge Musikerinnen und Musiker im europäischen Gedanken vereint - Europakonzert Mannheim am 1. Juni 2024 im Rosengarten Mannheim, EUROPEAN YOUTH ORCHESTRA ACADEMY 2024
Ludwig van Beethoven (1770-1827) - 9. Sinfonie
Marios Joannou Elia (1978) - Philia - Ode to friendship - Uraufführung
Hanns Eisler (1898-1962) - Gegen den Krieg: Thema und Variationen für gemischten Chor a cappella op. 55 - Text: Bertold Brecht
EYOA: diese vier Buchstaben stehen für ein außergewöhnliches Mannheimer Projekt: für die European Youth Orchestra Academy, die seit 2019 besteht und vom ehemaligen Leiter des Mannheimer Rosengarten Michel Maugé anlässlich der Europäischen Parlamentswahlen ins Leben gerufen wurde. In dieser Form stellt die „EYOA“ ein bislang einmaliges Projekt in der Europäischen Jugend-Musikförderung dar. Das erklärte Ziel ist die fokussierte Talentförderung, die projektorientierte Zusammenführung junger Musizierender aus ganz Europa, und der gemeinsame kulturelle Austausch vor dem Hintergrund einer umfassenden europäischen Idee.
Im Vorfeld der anstehenden Europawahlen rücken die Identifikation mit den europäischen Werten wie Frieden, Demokratieverständnis und Freundschaft darüberhinaus in den Vordergrund.
Eingeladen werden alljährlich hervorragende junge Musikerinnen und Musiker im Alter von 14 bis 19 Jahren aus ganz Europa, die zuvor in einem strengen Bewerbungsverfahren von einer Fachjury ausgewählt werden, um an der 10-tägigen Orchester-Arbeitsphase in Mannheim teilnehmen zu können. Insgesamt nahmen bislang 250 junge Musizierende aus 25 EU-Ländern und der Schweiz am renommierten EYOA Programm teil.
Das Kennenlernen der berühmten „Mannheimer Schule“, repräsentiert durch Komponisten, wie Cannabich, Danzi, oder Stamitz, die am Hofe des Kurfürsten Carl Theodor wirkten und eine Weiterentwicklung der klassischen Musik nachhaltig beeinflussten, steht ebenso auf dem Programm wie spannende politische und kulturelle Vorträge, interaktive Diskurse und natürlich an vorderster Stelle das Einstudieren eines sinfonischen Konzertprogramms. Zwei Konzerte sollte es geben: am 31.05. in Aachen (wurde abgesagt) und am 1.06. im Mannheimer Rosengarten.
Die musikalische Leitung der Konzerte sowie die gesamte Probenarbeit, die jedes Jahr in der Musikschule Mannheim stattfindet, liegt in den Händen des Dirigenten der Mannheimer Musikschule Jan-Paul Reinke, der die EYOA seit ihren Anfängen auch maßgeblich betreut.
67 junge Musikerinnen und Musiker aus 18 Nationen - von Finnland bis Zypern und von Portugal bis Rumänien, sind heuer in der Quadratestadt zu Gast. Das Konzertprogramm steht ebenfalls ganz im Zeichen des Europäischen Gedankens:
zusammen mit Solistinnen und Solisten sowie dem Chor des Nationaltheaters Mannheim werden ein Uraufführungswerk von Marios Joannou Elia, Hanns Eislers Chorwerk „Gegen den Krieg“ (Chorleitung: Alistair Lilley) und Beethovens 9. Sinfonie erklingen, die dieses Jahr ihr 200- jähriges Jubiläum feiert.
Die „Neunte“ gilt unbestritten als eines der wichtigsten und universellsten Werke der gesamten Musikliteratur und mit Schillers Text, der berühmten „Ode an die Freude“, avancierte das Chorfinale bekanntlich zur Europa-Hymne.
Das Konzert im Mozartsaal des Mannheimer Rosengarten wurde zum glanzvollen Event. Zahlreiche Gäste und Prominenz aus ganz Europa ließen sich vom Enthusiasmus der jungen Musikerinnen und Musiker anstecken und feierten die Künstler nach jedem Programmpunkt frenetisch, am Ende mit stehenden Ovationen.
Der Mannheimer Oberbürgermeister Christian Specht begrüßte alle Anwesenden sehr herzlich und betonte die Bedeutung Europas, die in Beethovens „Ode an die Freude“ und seiner völkerverbindenden Friedensbotschaft transportiert wird.
Michel Maugé, der Begründer von EYOA, begrüßte ebenfalls die zahlreichen Honoratioren der Stadt Mannheim sowie die Europäischen Vertreter des Konsularischen Korps und dankte den Sponsoren und Ermöglichern dieses besonderen Europäischen Projekts sowie den herausragenden jungen Musikerinnen und Musikern für ihre beispielhafte Leistung. Er schloss mit einem Zitat von Emmanuel Macron: “Europa kann nur scheitern, wenn wir die falschen Entscheidungen treffen.“
Mit einer Uraufführung des zypriotischen Komponisten Marios Joannou Elia „Philia - Ode to friendship“, „Konzert für Sopran und Großes Orchester“ ist erneut ein Werk des mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Elia in Mannheim zu hören.
Bereits 2011 wurde seine „Autosymphonic Sinfonie“ zum 125. Geburtstag des Automobils, das Carl Benz 1886 in Mannheim erfunden hatte, mit überwältigendem Erfolg uraufgeführt. Eigens für die Bundesgartenschau im letzten Jahr komponierte Elia die „Sinfonische Rhapsodie für Sopran Violine und Orchester“ „Gaia - the Earth Song“, die von den Musikerinnen und Musikern der EYOA im Schwetzinger Schloss und der BUGA aufgeführt worden.
In seiner „Philia“ -Sinfonie stellt der Komponist - als Hommage an Beethovens 9. Sinfonie - nun Fragen nach dem Wesen und den verschiedenen Spielarten von Freundschaft. “Philia“ bedeutet auf altgriechisch „Freundschaft“, hat aber ebenso die Bedeutungen von Zuneigung, Loyalität oder platonischer Liebe. Marios Joannou Elia verarbeitet in seinem Werk Texte aus verschiedenen Epochen und Sprachen, zitiert Gedichte von Hugo, Goethe, Brontë, der griechischen Autorin Maria Polydouri und einem eigenen Text, in welchen Freundschaft und Liebe als höchste Güter gepriesen werden und in wechselhafter sprachlicher und stilistischer Beleuchtung erscheinen: „Wenn Freundesantlitz dir begegnet, so bist du gleich befreit, gesegnet, gemeinsam freust du dich der Tat“, (Goethe „Den Freunden“, 1826).
Die Sopranpartie der „Philia“ - Ode to friendship“ Sinfonie wurde für die Sopranistin Rebecca Blanz geschrieben, die auch schon 2023 als Protagonistin in „Gaia“ zu hören war. Das groß besetzte Orchester mit ausgedehntem Schlag-werk setzt mit vier rhythmisch prägnanten Tönen der Pauken und Bläser ein, welche die Silben von Europa versinnbildlichen. Die komplexe Partitur soll Europas kulturelle Vielfalt in ihren kontrastierenden polyrhythmischen und polyphonen Strukturen spiegeln, ebenso wie der Text, der mehrsprachig gesungen wird. Das Orchester brachte diese Vielschichtigkeit virtuos zum Ausdruck, die ostinaten Rhythmen am Anfang gaben dem Klangbild ein eindringliches Gepräge, die spannungsreichen kontrastierenden Klangwirkungen wurden vom Dirigent Reinke suggestiv gestaltet, die Balance zwischen Sopran und Orchester klar austariert.
Rebecca Blanz beeindruckte mit ihrem glutvollen leuchtenden Sopran, den sie klangschön und ausdrucksstark durch alle Lagen führte. Ihre Stimme transportiert vielfältigste Emotionen wie Zweifel, Freude und Hoffnung, im schwierigen a cappella Part der Sinfonie wird der Sopranistin ein grosses Ausdrucksspektrum abverlangt, das sie mit Bravour meistert: Koloraturen, weite Intervalllsprünge, Sprechgesang, Summen, extreme Dynamik.
Darüberhinaus überzeugt Rebecca Blanz mit Flexibilität, Nuancenreichtum und Textverständlichkeit. Immer wieder taucht das Wort Freundschaft auf, das in wechselnden Sprachen und Schattierungen erklingt.
Der Opernchor des Nationaltheaters unter der Leitung von Alistair Lilley stellte mit Hanns Eislers a cappella Werk „Gegen den Krieg“ wieder einmal seine außerordentliche Qualität unter Beweis.
Das Thema mit 24 Variationen, 1936 komponiert, ist eine Zwölftonkomposition, die mit Texten von Bertolt Brecht das Grauen des Krieges auf eindringliche Weise schildert. Wunderbar homogen, äußerst präzise, mit variabler Dynamik und klarer Diktion ließen die Sängerinnen und Sänger längst vergangen geglaubte Zeiten lebendig werden und führten die Schrecken des Krieges mahnend vor.
Innerliche weiche Phrasen im Wechsel mit stark akzentuierten Silben entfalteten eine starke Wirkung, sehr bewegend die eingefügten Sprechtexte. Der letzte Satz Brechts bleibt haften:„Dieser Krieg ist nicht unser Krieg“.
Mit der 9. Sinfonie von Beethoven, der „Sinfonie der Superlative“ und Projektionsfläche für Frieden und Freiheit, spielten sich die jungen Musikerinnen und Musiker zusammen mit ihrem Dirigenten Jan-Paul Reinke vollends in die Herzen des Publikums.
Mit welcher Euphorie und Professionalität die EYOA das Mammutwerk in kurzer Zeit auf die Beine stellten, lässt viel Gutes für die Zukunft der klassischen Musik hoffen.
Mit verhaltener Spannung und rhythmischer Energie geht Reinke den 1.Satz an, in einer dramatischen Steigerung erreicht der erste Höhepunkt sogleich große Intensität. Der Dirigent setzt deutliche Akzente, arbeitet die heterogenen Strukturen der Motive klar heraus. Die jungen Spielerinnen und Spieler musizieren auf der Stuhlkante, mit weiten Spannungslinien und grosser dynamischer Bandbreite formen sie einen idiomatischen Beethoven Sound, besonders schön: die seelenvollen Holzbläsern und weich artikulierenden Hörner.
Prägnant, mit konzertanter Spielfreude, brechen im 2. Satz die fallenden Oktaven mit ihren energischen Paukenschlägen herein. Mit vorwärtsdrängendem, straffem „Drive“ wird der durchgehende Puls geführt, das Klangbild mit Ecken und Kanten geschärft.
Den langsamen 3. Satz beginnen die Musiker atmosphärisch schön, mit weichem Ansatz und sprechendem Tonfall. Hier hätte man sich mehr frei atmende Kantilenen und aufblühenden Klang gewünscht.
Der Finalsatz mit Schillers bekannten Zeilen, ist das Symbol für Humanität schlechthin und wurde an diesem Abend zur begeisternden Apotheose. Die jungen Musikerinnen und Musiker, ihr Dirigent, der Opernchor sowie die hochkarätigen NTM Solist*innen Estelle Kruger (Sopran), Julia Faylenbogen (Mezzosopran), Christopher Diffey (Tenor) und Thomas Jesatko (Bassbariton), der mit seinem emphatischem Ausruf „Freunde, nicht diese Töne“ zum vokalen Schlussteil überleitet, ließen die Entwicklung des Freude-Themas in opernhafter Dramatik zum Fanal für Aufbruch, friedliches Miteinander und Freundschaft werden.
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Musikalische Leitung: Jan-Paul Reinke
Chor des Nationaltheaters Mannheim, Leitung: Allistair Lilley
Solisten des NTM: Estelle Kruger, Sopran, Julia Faylenbogen Mezzosopran, Christopher Diffey, Tenor, Thomas Jesatko, Bassbariton, Rebecca Blanz, Sopran