Mannheim, Nationaltheater Mannheim, SIEGFRIED - Richard Wagner, IOCO Kritik, 28.07.2022
DER RING DES NIBELUNGEN - Richard Wagner
- SIEGFRIED - 22.07.2022 - Das Gold des Orchesters - Der Ring aus einem Guss -
von Uschi Reifenberg
DIE LIEBE ZU DEN INSTRUMENTEN
Nach den NTM-Premieren von Rheingold und Walküre, links HIER, folgte nun bereits zwei Wochen später die Premiere des Siegfried.
Um es gleich vorweg zu nehmen, dieser Siegfried wurde zu einer musikalischen Sternstunde, mit einem fulminanten Dirigat von Alexander Soddy, dem brillant aufspielenden Orchester und überragenden Sänger-Leistungen wie man sie in dieser qualitativen Geschlossenheit selten erleben darf.
Auch das Regiekonzept überzeugte zunehmend und wartete mit einigen unerwarteten und erhellenden Einfällen auf, die der unendlichen Geschichte der Ring Erzählungen eine neue (Instrumenten)-Farbe hinzufügten. Siegfried ist nicht nur die typische Geschichte des unverwundbaren Helden, sondern auch ein Stück über das Erwachsenwerden, das pädagogische Scheitern, über Identitätsfindung und Generationenkonflikte. Märchenhafte Motive finden sich ebenso wie ein Drachenkampf, das Schmieden des Schwertes, ein Waldvöglein und das Märchen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“,
Siegfried wird häufig als das „Scherzo“ der Tetralogie bezeichnet, in welchem Richard Wagner die Utopie eines Helden entwirft, dem die Aufgabe zukommt, „unwissend“, in Freiheit die Welt zu retten.
Alexander Soddy und das Nationaltheater Orchester steigern sich mit jeder Ring- Vorstellung an Intensität, Ausdruckswille und Spannung, um nur einige Parameter zu nennen. Die Musiker scheinen geradezu über sich hinauszuwachsen, sorgen im Zusammenwirken sämtlicher Kräfte, auch gemeinsam mit der Regie, für pures Wagner-Wonnen. In den sinfonischen Teilen, den Vorspielen, dem Waldweben, oder Siegfrieds Durchschreiten des Feuers, bringt Soddy die unerschöpfliche Palette Wagnerischer Klangfarben mit nicht nachlassender Energie zum Blühen.
Das Vorspiel zum 2. Akt mit seiner destruktiven Klangwelt, atmet den „Stallgeruch“ Fafners „vor Neidhöhl‘. Abgründig und sehr leise klingt das Motiv im Kontrabass und den Pauken, eine Modifikation des Riesen-Motivs, das die physische und psychologische Metamorphose Fafners musikalisch genial beschreibt.
Das „Waldweben“ wird zu einer Insel der Innerlichkeit und Introspektion des Helden. Mit kammermusikalischer Feinheit und Binnenspannung gestalten Soddy und die Musiker diesen Moment ungetrübter poetischer Naturempfindung, eingeleitet von langen ruhigen Cellobewegungen und der weich singenden Soloklarinette. Man hörte einen ausgezeichneten Hornruf, mit idealer Intonation, Klarheit, verblüffend leisen Ansätzen und dynamischer Differenziertheit.
Soddy formt in einem der dichtesten und gewaltigsten Vorspiele zu Beginn des 3. Aktes den Klangapparat mit seinen Motivschichtungen und der riesigen Bläserbeteiligung von 8 Hörnern, (inklusive Wagner-Tuben), Posaunen plus Kontrabasstuba bestens balanciert, voluminös und mit großartiger Dynamik. Die subito-Wechsel zu den entrückten Akkorden von Erdas Schlafmotiv werden in geschmeidigem Übergang bruchlos weitergeführt.
Stefan Vinke, der seine Bühnenkarriere in Mannheim begonnen hatte, zählt weltweit zu den gefragtesten Siegfried-Darstellern, war als solcher allerdings bisher nicht am NTM zu hören. Man durfte sich glücklich schätzen, ihn nun als „Jung-Siegfried“ erlebt zu haben. In bester stimmlicher und darstellerischer Verfassung war er in dieser Rolle eine Offenbarung. In rotem Dress und kurzen Hosen mit Stiefeln, war sein etwas unvorteilhaft wirkendes Outfit farblich mit Wotans Gewand abgestimmt (Kostüme: Falk Bauer).
Mit schier unbegrenzten Kraftreserven und immer geradeheraus, meisterte er mühelos, strahlkräftig und heldisch unbekümmert, die Schmiedelieder im 1. Akt. Schon in seinem ersten Auftritt schmetterte er ein lang gehaltenes hohes „C“, man spürte, „hier kennt einer das Fürchten nicht“. Aber auch die leisen, nachdenklichen Töne und kantablen Stellen überzeugen. Im Waldweben findet er zu innigen Augenblicken, klingt sein Tenor lyrisch weich bei „Aber-wie sah meine Mutter wohl aus“ verrät seine Persönlichkeit Empathie und reflexives Potenzial. Am Ende des 3. Aktes steigerte er sich nochmals und glänzte mit Emphase und blendender Höhe.
Renatus Mészár ist der Wotan-Wanderer auf den Leib geschrieben, ihm stehen eine Fülle von Ausdrucksmöglichkeiten zu Verfügung. In der Wette mit Mime bringt er seinen ausdrucksstarken und ausgewogenen Bass-Bariton facettenreich zum Einsatz, formt er einen komplexen Charakter: Ironisch, humorvoll, überheblich, verletzlich, dann wieder selbstherrlich und machtgierig. Kraftvoll behauptet sich zu Beginn des 3. Aktes seine volltönende Stimme gegen die Orchesterwogen bei „Wache Wala“. Der Dialog zwischen Wotan und Erda, wenn sich der Gott noch einmal gegen sein selbst verschuldetes Dilemma auflehnt, „Wie zu hemmen ein rollendes Rad“, offenbart die ganze Tragik des Geschehens. Im Eingestehen seines Scheiterns erklingt seine Stimme mit tiefer Trauer, weich und resignativ. Bei „Dir so vertraut“, ist er plötzlich nur noch ein Schatten seiner selbst und muss am Ende von Statisten als Greis aus dem Saal geführt werden.
Die Brünnhilde von Lise Lindstrom ist in der Begegnung mit Siegfried von der kindlichen Göttertochter zur liebend-wissenden Frau gereift, hat sich aber ihre Sensibilität und Jugendlichkeit bewahrt. Sie erweist sich in der „Siegfried-Brünnhilde“ als dramatischer Sopran von Rang. Ihre gleissenden und jubilierenden Spitzentöne singt sie ohne Kraftanstrengung. Bei „Ewig war ich, ewig bin ich“ glänzt die Höhe obertonreich, die Mittellage ist leicht ansprechend, lässt etwas lyrischen Schmelz vermissen. Das opernhafte Duett mit Siegtried beschließt sie mit einem brillanten hohen C.
Uwe Eikötter als Mime überzeugt mit einer wendigen Charakterstudie, stimmlicher Präsenz, viel Ausdruck und vorbildlicher Diktion, schneidend und ätzend bei „Zwangvolle Plage, Müh’ ohne Zweck“. Er gibt seinem vergeblichen Bemühen um Macht und Siegfrieds Gunst fast tragische Züge und wirkt trotz aller Hinterlist rührend in seinem Scheitern.
Joachim Goltz ist als Alberich, Foto unten, wieder rundum eine Idealbesetzung: bis ins kleinste Detail ist seine Gestaltung durchgeformt, überzeugt er mit vielen stimmlichen und darstellerischen Facetten. Als ambivalente Figur, die nichts mehr zu verlieren hat, wirkt er weniger abgründig als vielmehr bemitleidenswert.
Der Fafner von Patrik Zielke „liegt, besitzt und schläft“ auf schwarzer Bühne, umgeben von verbundenen Streichinstrumenten. Er zieht einen verhüllten Kontrabass an einem Bein hinter sich her, vielleicht die Waffe, mit der er dereinst Fasolt erschlagen hatte. Seine wandlungsfähige Stimme klingt mit Flüstertüte sonor und bass-gefährlich.
Julia Faylenbogen wird als „Ur-Weltweise“ Erda mit Stock und Pelzmantel von Helfern auf die Bühne geführt, sie ist eine Greisin, die aus einer anderen Zeit zu kommen scheint. Alters-starrsinnig wehrt sie sich vehement gegen den „Zwang der Welt“. Sie versteht die Gegenwart nicht mehr, „Urmütter-Weisheit geht zu Ende“ attestiert ihr Wotan. Ihre samtene Stimme führt sie geschmeidig von voluminös leuchtender Mittellage in abgründige Mezzotiefen.
Mirella Hagen ist in Sachen „Waldvogel“ international unterwegs, und bringt Kostüm-Accessoires aus Castorfs Bayreuther Ring Inszenierung mit. Sie ist ausstaffiert als charmantes Revue-Girl mit Feder-Kopfschmuck und gibt als aufmerksame Vogel-Frau mit silberglänzendem und beweglichem Sopran Siegfried immer die passenden Hinweise.
Die Regisseurin Yona Kim setzt ihr Konzept der instrumentenbezogenen Erzählweise leitmotivisch fort, und spannt damit einen kohärenten Bogen über die einzelnen Teile der Tetralogie. Hier überzeugt sie sowohl mit großformatigen Projektionen und suggestiven Bildern, die in losen Assoziationszusammenhängen stehen. aber auch mit ironischer und witziger Personenführung, Leichtigkeit und Humor.
Die Beziehung zwischen Siegfried und Mime ist eine kontraproduktive Allianz, die vom Wanderer mit ständiger voyeuristischer Penetranz und Genugtuung begleitet wird. “Zu schauen kam ich, nicht zu schaffen“ lautet sein Motto. Wenn er nicht auf der Bühne mitmischt, sitzt er in einer der Seitenlogen, trinkt etwas und amüsiert sich über den ganzen Wahnsinn. Brecht lässt grüßen. Als Wanderer, der die Welt durchstreift, trägt er Abgeklärtheit zur Schau und eine Schirmmütze, die verdächtig nach Wehrmacht aussieht.
In Mimes Höhle steht ein langer weißer Tisch, an und auf dem sich die Figuren in ihren Auseinandersetzungen bewegen (Bühne: Anna-Sofia Kirsch). Instrumentenbündel liegen herum, die Projektionen steuern wichtige Erzähldetails bei (Video:Benjamin Jantzen), (Livekamera: Benjamin Lüdtke), in Rückblenden sieht man die schwangere Sieglinde, die Riesen, Götter und Wälsungen, oder das Bild eines Schwertes, das bedauerlicherweise in physischer Form nicht vorkommt und dadurch die Szene eigentlich ad absurdum führt. Die Wissenswette kommt als leichtfüßiges Kammerspiel zwischen zwei Kumpels daher, bei der Wotan viel Spaß hat und seine Überlegenheit gegenüber Mime genüsslich ausspielt.
Den bisher dominierenden Farben schwarz und weiß addiert sich nun Rot hinzu (Licht: Florian Arnholdt), das die eindrücklich-atmosphärischen Lichtinstallationen, wie das Schmieden des Schwertes oder Siegfrieds Durchschreiten des Feuerrings, großflächig illuminiert.
Wenn Siegfried Notung neu schmiedet, zeigen beängstigende Projektionen Szenen einer Atomexplosion und dIe Vernichtung allen Lebens, eine düstere Prophezeiung von „Der Welt Ende“, in der Götterdämmerung.
Das Aufeinandertreffen von Alberich und dem Wanderer vor Neidhöhl‘ wird in einem überdimensionalen Schattenspiel „schimmernd im Schatten“ eingefangen. Das konspirative Treffen zeigt die Regisseurin Yona Kim mit feingezeichneter Personenführung und legt im typischen rekapitulierenden Wagner-Dialog die persönlichen Traumata der beiden Kontrahenten offen, die sich auf der Ebene des Scheiterns und des Verlustes annähern. Wenn Mime und Siegfried vor Neidhöhle eintreffen, sitzt nun auch Alberich als Beobachter Wotan in der Seitenloge gegenüber. Der Walkürenfelsen des 3. Aktes erstrahlt ab der Erweckung von Brünnhilde in kühlem Blau als ein leerer und noch unbeschriebener Raum.
Zum intensiven Streicher-Höhepunkt werden die auf dem Boden liegenden Streichinstrumente nach oben gezogen und entschweben in den Schnürboden. Der Himmel hängt voller Geigen für das künftige Liebespaar. Brünnhilde erwacht nach Siegfrieds Kuss aus ihrer unbequemen Haltung, kniend, mit Augenbinde und Schild. Zum langen Liebeswerben zwischen Siegfried und Brünnhilde sieht man in Projektionen die libidinösen Beziehungen von Instrumentalisten zu ihren Instrumenten, die ihren Spielern als Liebesobjekte dienen. Ein Cello zwischen den Beinen einer Frau, das Klarinettenmundstück und die Saiten einer Violine, die zur oralen Befriedigung herhalten.
Aber auch blutig verbundene Bässe, die seit dem Rheingold auf vergangene und zukünftige Gewalt verweisen.
Im opernhaften Finale mit seiner jubilierenden Apotheose in C-Dur, vereinigen sich Siegfried und Brünnhilde für das Ideal einer Welt in Freiheit und Liebe. Am Ende erscheint wieder der leeren Orchestergraben auf der Bühne. Von oben senken sich langsam die Streichinstrumente herab.
Langer und überschwänglicher Jubel, für die Regie nur noch sehr vereinzelte Buhs. Großer Dank für ein außergewöhnliches Wagner-Erlebnis.
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