Mannheim, Nationaltheater Mannheim, Hänsel und Gretel - Phantasievoll - Poetisch, IOCO Kritik, 29.12.2017
Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck
Phantasie und Poesie in NTM - Weihnachtsklassiker
Von Uschi Reifenberg
In der Weihnachtszeit und der Zeit zwischen den Jahren, wenn Märchenhaftes, Magisches und Mystisches einen größeren Raum einnehmen, darf an den Opernhäusern landauf- und landab Engelbert Humperdincks Märchenoper Hänsel und Gretel nicht fehlen. So auch am Nationaltheater Mannheim, wo sich die Inszenierung nach Wolfgang Blum aus dem Jahr 1970 auch nach über 300 Aufführungen ungebrochener Beliebtheit bei kleinen und großen Zuhörern erfreut. Auch in Zeiten von Computerspielen und iPod dürfte den meisten Kindern die Geschichte von Hänsel und Gretel geläufig sein. Das Märchen, basierend auf den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, erzählt vom mutigen Geschwisterpaar aus armen Verhältnissen, das aus Hunger und Not in den Wald flieht, die böse Hexe besiegt und die verzauberten Lebkuchenkinder vom Fluch der Hexe erlöst.
Humperdincks "opus magnum", nach der textlichen Vorlage seiner Schwester Adelheid Wette, zählt sicher zu den bedeutendsten Werken des Musiktheaters. Seine musikalischen Mittel folgen den Prinzipien des durchkomponierten Musikdramas Richard Wagners und verweisen mit Leitmotivik, Textbehandlung und großer Orchesterbesetzung auf das Vorbild des Bayreuther Meisters. Humperdinck, der als Wagners Assistent in Bayreuth mitwirkte, sprach über seine Oper in Anlehnung an den Parsifal auch scherzhaft vom „ Kinderstuben- Weihfestspiel“.
Kompositorisch fand er in seinem Hauptwerk zu seinem eigenen Stil, der unter anderem in der Hinzunahme von Volksliedhaftem und einfachen melodischen Themen zum Ausdruck kommt. Die überaus beliebte Mannheimer Inszenierung verzichtet ganz auf vordergründige Aktualisierung oder intellektuelle Überformung und führt die Zuschauer mit den phantasievoll- poetischen Bühnenbildern von Herbert Stahl in eine ärmliche Wohnstube, einen magischen Zauberwald und zeigt im 3. Bild in einen veritablen Riesen- Backofen mit verführerischem Lebkuchenhaus.
In der ausgefeilten Personenführung von Claudia Plaßwich agieren die Sängerdarsteller punktgenau und mit überbordender Spielfreude. Zu einem besonderen Höhepunkt gerät der Hexenritt auf dem Besen der prächtig kostümierten Rosina Leckermaul, der vor allem von den jüngeren Zuschauern mit lautstarkem Szenenapplaus belohnt wird.
Musiziert wird am Mannheimer Nationaltheater auf hohem Niveau. Thomas Berau als Vater überzeugt in seiner Auftrittsarie mit seinem heldischen Bariton und charakterisiert liebevoll den trinkfreudigen, aber dennoch verantwortungsbewussten Familienvater. Heike Wessels wartet mit hochdramatischen Spitzentönen auf und verleiht der Mutter sowohl gramvoll- leidende Züge als auch ausgelassene Unbeschwertheit im Duett mit ihrem Ehemann. Dass die Textverständlichkeit ein wenig leidet, mag man verzeihen.
Maria Markina ist als Hänsel eine Idealbesetzung. Ihr Mezzo klingt warm und voll und ist zu beeindruckenden dramatischen Aufschwüngen fähig. Ebenso keine Wünsche offen lässt Astrid Kessler als Gretel, die ihren wunderschönen lyrischen Sopran in allen Lagen leuchten lässt und im Abendsegen mit hauchzartem piano verzaubert. Auch gestalterisch besticht sie durch Charme und Mädchenhaftigkeit. Iris Marie Sojer, aus dem internationalen Opernstudio, gastierte als Sandmännchen der Extraklasse. Ji Yoon als Taumännchen fügte sich ebenfalls glänzend ins Ensemble ein. Als Hexe zieht Uwe Eikötter wie gewohnt alle stimmlichen und darstellerischen Register und erntet zu Recht am Schluss begeisterten Beifall.
Am Pult führt Wolfgang Wengenroth das ausdrucksstark aufspielende Nationaltheater Orchester zu Bestform. Straffe Tempi im 1. Akt sorgen für volksliedhaft- unbeschwerte Leichtigkeit, was den fortlaufenden Fluss der Dialoge unterstützt. Im 2. Bild findet Wengenroth dann genügend Raum für die stillen, poetischen Momente und lässt die Holzbläser in den schönsten Klangfarben schimmern. Lediglich in der Traumpantomime hätte man sich vom Wagner- erfahrenen Orchester mehr Spannungsaufbau und Opulenz gewünscht. Gewohnt zuverlässig sang und agierte der Kinderchor.
Das Publikum im restlos ausverkauften Opernhaus entließ alle Mitwirkenden erst nach langem Applaus
Hänsel und Gretel im Nationaltheater Mannheim: Weitere Vorstellungen am 6.1.2108; 19.1.2018; 28.1.2018 (zum letzten Mal in dieser Spielzeit) ---| IOCO Kritik Nationaltheater Mannheim |---