Mannheim, Nationaltheater, ARIADNE AUF NAXOS - Richard Strauss, IOCO
NTM MANNHEIM: Themen und Fragen des komplexen Werkes Ariadne auf Naxos finden in der Neu-Interpretation der Regisseurin Yona Kim und ihrem Team des Nationaltheater Mannheim eine unterhaltsame und zeitgemäße Umsetzung.......
ARIADNE AUF NAXOS, Oper in einem Aufzug nebst Vorspiel von Hugo von Hofmannsthal, Musik von Richard Strauss - Neuinszenierung - besuchte Vorstellung - Premiere am 27.04.24 . Spielstätte Alte Schildkrötfabrik
von Uschi Reifenberg
Der einzigartige Augenblick
Gegensätze und ihre (Un)Vereinbarkeit, verschiedene Liebes-und Kunstkonzepte, Tragik und Komik, die Verwischung ihrer Grenzen, Veränderung, Wandlung, Entwicklung. Ein Spiel mit verschiedenen Ebenen. Diese Themen und Fragen des komplexen Werkes Ariadne auf Naxos finden in der Neu-Interpretation der Regisseurin Yona Kim und ihrem Team des Nationaltheater Mannheim eine unterhaltsame und zeitgemäße Umsetzung, die Besonderheiten der Spielstätte „Alte Schildkrötfabrik“ in Mannheim-Neckarau werden klug genutzt und setzen die vielfachen Perspektivwechsel des Stückes durch eine fantasievolle Raumgestaltung bestens um.
Die „Alte Schildkrötfabrik“ ist zum multifunktionalen Theaterraum mutiert: Der Bühnenbildner Jan Freese hat eine Tribüne mit ansteigenden Sitzreihen gebaut, die eine schmale vordere Spielfläche seitlich begrenzen und dem Publikum links und rechts - je nach Platzierung - nur einen seitlichen Blick auf das Geschehen erlauben. Das Orchester befindet sich ebenerdig in der Mitte der Spielfläche, teilweise unter dem höchsten Punkt der Tribüne. Der Dirigent agiert aus der Mitte des Orchesters mit Blick nach vorne zu den Sängern.
Die vordere Fensterfront des Theaterraumes mit Ein-und Ausgängen wird mit einbezogen, ebenso der Hof als Außenbereich, der als Grenze zwischen Spiel und Realität, Innen und Außen fungiert: man sieht z.B. dort die Bushaltestelle „Nationaltheater“ als Kopie nachgebildet, einen Container mit der Aufschrift „Wie schaffst du die Verwandlung“ oder Versatzstücke ionischer Säulen, die den antiken Ariadne Mythos beschwören.
Eine zusätzliche Videoebene (Benjamin Lüdtke) erweitert die schmale Spielfläche indem das Bühnengeschehen samt Außenaufnahmen vom omnipräsenten Kameramann (David Braun) gefilmt wird und die Videos auf einen mittigen Vorhang projiziert werden, welche die Handlung präzisieren oder kommentieren. So wird man ins vielfältige Geschehen mit seinen bunten Simultanaktionen im Theaterraum, oder in den Hof der Schildkrötfabrik hineingezogen.
Ariadne auf Naxos, die dritte gemeinsame Arbeit des Erfolgsduos Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, in der 2. Fassung 1916 mit großem Erfolg aufgeführt, ist auch ein Stück Theater auf dem Theater. Eine Reflexion über Kunst, ihre Spaltung in E und U, in Hochkultur und seichte Unterhaltung, und dem Experiment eines Crossover. Ausserdem thematisiert es die fatalen Abhängigkeiten im Musikbetrieb damals wie heute: wer zahlt, bestimmt!
Das Vorspiel zeigt die Turbulenzen und Dispute zweier unterschiedlicher Ensembles im Backstage Bereich vor der Aufführung der Opera seria Ariadne auf Naxos. Im Zentrum steht die Primadonna, alias Ariadne, die aus Kummer über den Verlust ihres Geliebten Theseus auf einer einsamen Insel den Tod erwartet. Eigentlich kein Thema für ein unterhaltsames Fest mit anschließendem Feuerwerk.
Deshalb wünscht sich der Mäzen zur Zerstreuung noch eine Art „Posse in italienischer Buffo Manier“, die von einer Komödiantengruppe munter aufbereitet werden soll: das Spiel um „die ungetreue Zerbinetta und ihre vier Liebhaber“. Die junge Komponistin der tragischen Opera fiebert nun ihrem Auftragswerk voller Idealismus und Erwartungsfreude entgegen. Bei Yona Kim ist der Komponist mit der Stimmlage Mezzosopran eine Frau geblieben und wird hier zur Komponistin. Bei Strauss ist er als Hosenrolle konzipiert, quasi ein später Nachfolger von Mozarts „Cherubino oder des „Octavian“ im Rosenkavalier. Ein plausibler Kunstgriff, der auch für die Rolle der Haushofmeister*in Verwendung findet: Barbara Bernt in der Sprechrolle der Haushofmeisterin strahlt nicht nur im Pelzmantel herablassende Autorität und Würde aus.
Die Regisseurin Yona Kim, die zuletzt 2022 Wagners Ring am NTM im Haus am Goetheplatz inszenierte, führt das Ensemble mit detaillierter Personenzeichnung und großem Einfallsreichtum, vor allem im Vorspiel, das temporeich, virtuos und mit Spielfreude auf der schmalen Bühnenfläche agierte. Der komödiantische Konversation-und Kammerspielton wird vom hervorragenden Ensemble ebenso stilsicher beherrscht wie die pathetisch aufgeladenen Klangverdichtungen der Ariadne Tragödie.
Die anfänglichen Feinseligkeiten der beiden Truppen und ihre Rivalitäten über die jeweils eigenen kunstästhetischen Positionen finden ihren Höhepunkt, als der Mäzen aus Zeitmangel anordnet, beide Ensembles gleichzeitig auftreten zu lassen, was die Komponistin in eine Identitätskrise stürzt und das restliche Ensemble total in Aufruhr versetzt. Aber was im Chaos zu enden droht, entwickelt sich zu wachsendem gegenseitigen Verständnis und führt zu einer Wandlung der Genres, da jede Tragödie ja auch den Kern einer Komödie in sich trägt. Ariadne erfährt durch die Konfrontation mit der Komödientruppe eine Metamorphose, auch die lebenslustige Zerbinetta, die den ewigen Treueschwüren misstraut und vorsorglich mehrere Liebhaber im Schlepptau hat, wird durch ihre Berührung mit Ariadnes Todessehnsucht verändert und blickt aufgrund ihrer Lebenserfahrung vielleicht tiefer in die Seelen als man ihr zutraut.
Die Komponistin verliebt sich entgegen ihren hehren Prinzipien in die scheinbar leichtfertige Zerbinetta, was in einer zauberhaft intimen Begegnung, einem einzigartigen „Augenblick“ gegenseitigen Erkennens gipfelt. Wenn die Komponistin und Zerbinetta sich Rücken an Rücken schmiegen und beide Stimmen sich in musikalischem Eros vereinigen, ist‘s „wie ein Gruß vom Himmel“!
Jelena Kordić als Komponistin geht ganz in der Welt der Töne auf, sie singt und agiert hinreißend. Zwischen Euphorie, Verzweiflung und heißblütiger Schwärmerei hin-und hergerissen, scheint ihr heller Mezzo fast die Grenzen des akustisch nicht unproblematischen Theatersaals zu sprengen; glutvoll und mit differenzierter Dynamik lotet Kordić die Höhen und Tiefen dieser Ausnahmefigur aus. Die euphorische Erkenntnis: „Musik ist eine heilige Kunst“ wirkt lange nach, wenn Kisten mit Klavierauszügen von Mozart, Schumann, Wagner vom Paketdienst hereingeliefert werden.
Thomas Jesatko als ausgleichender und empathischer Förderer der Komponistin in der Rolle des Musiklehrers sang und spielte mit edlem Bariton und großer Bühnenpräsenz. Christopher Diffey war als quirlig-ironischer Tanzmeister mit markantem Tenor und ironischem Gehabe eine Idealbesetzung. Ilya Lapich ist ein klangschöner und munterer Harlekin, aber auch die weiteren Commedie dell’arte Typen Raphael Helbig-Kosta (Scaramuccio), Raphael Wittmer (Brighella) und Bartosz Urbanovicz (Truffaldin) mischten mit viel Heiterkeit und vokalem Glanz die Szene auf.
Die Verwandlung in die einsame Insel, auf der Ariadne in Todessehnsucht und Liebesschmerz ausharrt, ist ein in Sand versinkendes Wohnzimmer im Rokoko-Stil, hell erleuchtet (Licht: Damian Chmielarz), in dem Ariadne und die 3 Nymphen auf Stühlen im Louis XV Stil sitzen und Tee trinken. Sie beschwören eine ferne Epoche, tragen hohe weiße Perücken und sind in opulente barocke Gewänder gekleidet, die Falk Bauer entworfen hat. Die Regie zeigt sowohl die stilisierte Kunstwelt als auch die Verbindung von Rokoko, Antike, Mythologie und Gegenwart. Währenddessen sitzen Komponist und Musiklehrer am Rand der Spielfläche und proben Ariadnes große Szene, ganz nach Hofmannsthal Anweisung vom „Spiel im Spiele“.
Homogen, klangintensiv und mit Akkuratesse singt das ausgezeichnete Nymphentrio Estelle Kruger (Najade), Maria Polanska (Dryade) und Nataliia Shumska (Echo).
Julia Faylenbogen ist eine weltabgewandte Ariadne von antiker, barocker Größe, ihr samtiger, dunkler Sopran mit raumgreifender Tiefe findet in ihrem großen Monolog „Es gibt ein Reich“ zu beeindruckender Form. Die weit ausladenden Strauss‘schen Bögen entfalten pure Schönheit, die Höhe strahlt mühelos bei „Hermes heißen sie ihn“. Mit wohldosiertem Pathos und großer Intensität ergibt sie sich zunächst traumverloren in ihr Schicksal, bis sie am Ende in jubelnder Emphase mit Bacchus einen neuen Anfang ins Leben und für die Liebe wagt.
Ihre vermeintliche Kontrahentin Zerbinetta ist kein flatterhaftes, kokettes Geschöpf, sie offenbart starke Zweifel an der ihr zugewiesenen klischeehaften Rolle und setzt möglicherweise deshalb wenig erotische Verführungskünste ein. Unter ihrer blonden Perücke verbirgt sich eine verletzliche junge Frau, die vom seichten Tingel-Tangel müde geworden ist. Amelia Scicolone vermag stimmlich in ihrer großen Koloratur-Szene, eine der längsten und anspruchsvollsten der gesamten Opernliteratur „Großmächtige Prinzessin“ zu überzeugen, die sie bravurös und mühelos meistert.
Wenn Zerbinetta ihren persönlichen „Gott“ besingt, perlen die rhythmisch vertrackten Koloraturen mit ihren Intervallsprüngen und Spitzentönen (hohes e), Trillern und artikulatorischen Raffinessen. Auch Scicolones Mittellage und Tiefe klingen voll und ausgewogen. Sie selbst scheint über ihre eigene Erkenntnis des ewig gleichen Kreislaufs der Liebeserneuerung verwundert: „Kam der neue Gott gegangen, hingegeben war ich stumm …“. Die Nymphen tragen nun antike Masken, im Video Einspieler sieht man den roten Ariadne-Faden, die Ankunft des antiken Gottes Bacchus wird von den Nymphen angekündigt.
Der fährt von außen vor und parkt seinen gelben Ferrari unter mystischem Nebel mit dem Kennzeichen: Olymp-01 im Aussenbereich vor der „Haltestelle Nationaltheater“, ein gelungener Gag. Der neue Gott hat viel Ähnlichkeit mit dem coolen Paketboten aus dem „Vorspiel“, aber weil Liebe bekanntlich manchmal blind macht, hält Ariadne ihren „Erlöser“ zunächst für den Todesboten, dem sie allzu willig in den Hades zu folgen bereit ist.
Richard Strauss, der große Frauenstimmen- Versteher bedachte in seinen Opern die Tenöre mit eher undankbaren Partien, die bedauernswerten Helden müssen fast Unmögliches leisten. Die Rolle des Bacchus gehört unbedingt dazu. Andreas Hermann scheint diese Tatsache nicht zu tangieren, sein Tenor erklimmt locker die oberen Etagen der schwierigen Partie und weil es für einen Gott keine stimmtechnischen Herausforderungen gibt, bewegt Hermanns Stimme sich ebenfalls mühelos mit strahlenden Tönen in der unangenehmen Tessitura.
Der Sieg der Liebe über den Todeswunsch Ariadnes, das gegenseitige „Erkennen“ der beiden göttlichen Wesen gipfelt in einem innigen Kuss, eine emotional sehr berührende Szene; der Schlussgesang zwischen Siegfried und Brünnhilde tönt herüber …
Am Ende ist die Komponistin glücklich. Man sieht antike Masken, von draußen Männer in barocken Gewändern vorbeimarschieren. Es ist eben alles „nur Theater“.
Das klein besetzte 35 -köpfige Orchester mit Harmonium, Celesta, Klavier und Harfe unter der Leitung von Janis Liepinš sorgt für einen Strauss Sound allererster Güte, sowohl mit transparenter kammermusikalischer Klangkultur als auch mit farbsatter, hochexpressiver Farbpalette.
Es ist erfreulich wie das NTO - ganz gleich in welcher Besetzung - seine Qualität unter Beweis stellt. Liepinš untermalt nonchalant den Duktus des Vorspiels in bester Koordination mit dem Bühnengeschehen, baute die großen Strauss‘schen Höhepunkte spannungsreich auf und arbeitete aus dem Klanggewebe feinste Nuancen heraus.
Niklas Meyer (Offizier), Jordan Harding (Perückenmacher), Lennart Kost (Lakai), Linus Benninghof (Statist) trugen bestens zum Gelingen dieser ausgezeichneten Produktion bei.
Viel Dank und begeisterter Applaus für alle Mitwirkenden