Mannheim, Nationaltheater, 23. Internationale Schillertage Mannheim, IOCO
Seit seiner Gründung im Jahr 1978 befragt das Festival immer wieder aufs Neue, welche Themen aus Schillers Kosmos für unsere Gegenwart Relevanz haben. Das aus Kabale und Liebe abgeleitete Motto „Wenn Menschen nur Menschen sind“ zielt direkt auf einen der größten Konfliktherde unserer Zeit.
von Uschi Reifenberg
NTM Schauspiel
Pressekonferenz am 9. April '25 im Alten Kino Franklin
23. Internationale Schillertage Mannheim
Wenn Menschen nur Menschen sind
Schauspielintendant Christian Holzhauer, Kulturbürgermeister Thorsten Riehle und Festivaldramaturgin Lea Gerschwitz stellten in der NTM Spielstätte „Altes Kino Franklin“ das Programm der Internationalen Schillertage 2025 vor:
Vom 19. bis 29. Juni 2025 findet am Nationaltheater Mannheim die 23. Ausgabe der Internationalen Schillertage statt. Zehn Tage lang schillert es wieder intensiv, international und interdisziplinär auf großen und kleinen Theaterbühnen, im Wald, auf Spaziergängen, Podien und Partys. Mit zwölf Produktionen, darunter Premieren, Auftragsarbeiten und Koproduktionen, sowie einem umfangreichen Rahmenprogramm laden die 23. Internationalen Schillertage aufs Neue dazu ein, Schillers Werk aus der Gegenwart heraus zu betrachten und die aus ihm abgeleiteten Themen fortzuschreiben und über Gattungsgrenzen hinauszutragen. Unter dem Motto „wenn Menschen nur Menschen sind“ stellt das Festival diesmal die Fragen: Was verbindet und was unterscheidet uns? Was hindert uns daran, gleich zu sein? Was heißt das eigentlich - ein Mensch zu sein? Das Programm der 23. Internationalen Schillertage belegt, dass sich immer wieder überraschende theatrale und gedankliche Funken aus Friedrich Schillers Werk und Erbe schlagen lassen, so Christian Holtzhauer, Schauspielintendant am Nationaltheater Mannheim und künstlerischer Leiter der 23. Internationalen Schillertage auf der heutigen Programmpressekonferenz. Seit seiner Gründung im Jahr 1978 befragt das Festival immer wieder aufs Neue, welche Themen aus Schillers Kosmos für unsere Gegenwart Relevanz haben. Das aus Kabale und Liebe abgeleitete Motto „Wenn Menschen nur Menschen sind“ zielt direkt auf einen der größten Konfliktherde unserer Zeit: Ungerechtigkeit und Ungleichbehandlung. Ich bin sehr stolz, dass es uns gelingt, Schiller über die Grenzen der deutschen Sprache hinauszutragen, anhand internationaler Perspektiven auf sein Werk zu lernen und neue Aktualitätsbezüge herzustellen.
Mit gleich drei verschiedenen Bearbeitungen bildet das in Schillers Mannheimer Zeit entstandene Drama Kabale und Liebe einen programmatischen Schwerpunkt. In keinem seiner Bühnenwerke prangerte Schiller Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Willkür derart offen an, wie in der tragischen Liebesgeschichte von Luise und Ferdinand: Das Festival eröffnet am Do., 19.06.2025 mit der Kabale und Liebe-Eigenproduktion des Nationaltheaters, in der Regie von Charlotte Sprenger. Sie befragt in ihrer musikalischen und spielerischen Inszenierung heutige Klassen- und Herrschaftsverhältnisse.
Am selben Tag wird auch der indische Theatermacher Lakshman KP in der internationalen Koproduktion Still I Choose to Love den Kabale und Liebe-Stoff neu interpretieren. Mit Schillers fast 250 Jahre altem Text richtet er seinen Blick auf die Gegenwart – auf das offiziell zwar abgeschaffte, aber traditionell immer noch wirkmächtige indische Kastensystem – und zeigt, wie stark Politik, Moral und gesellschaftliche Normen Liebesbeziehungen auch heute noch bestimmen.
Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg fragt schließlich,wie viel Sturm und Drang in diesem Klassiker tatsächlich noch steckt. Kabale und Liebe – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie von Barbara Bürk und Clemens Sienknecht erzählt den bildungsbürgerlichen Klassiker als rasante Radioshow mit Quiz, Wetterbericht und viel Musik.
Mit der Uraufführung Die Räuber von 1782 auf Mannheims Bühne gehört Schillers Erstlingswerk quasi zum literarischen Erbe des Nationaltheaters. Dem dramatischen Stoff und Zündstoff der Räuber ist ein zweiter Schwerpunkt der Internationalen Schillertage gewidmet. Das Mannheimer Stadtensemble und Leo Lorena Wyss, Hausautor*in am Nationaltheater in der Spielzeit 2024/25, versetzen ihre „Mannheimer Räuber*innen“ in den Käfertaler Wald. Das Auftragswerk versteht sich als Fortschreibung des Schillerschen Stoffs und setzt sich mit dem Konzept von Erbe, Identität und generationsübergreifenden Konflikten auseinander. In der Produktion „Die Räuberinnen“ nach Friedrich Schiller, die zuerst in den Münchner Kammerspielen Erfolge feierte und nun als Gastspiel des Maxim Gorki Theaters Berlin nach Mannheim kommt, lesen die Regisseurin Leonie Böhm und ihr fantastisches Frauenensemble das Stück aus dezidiert weiblicher Perspektive neu.
Dem Verhältnis von Besitz und sozialem Status widmen sich die Aktivistin und Millionenerbin Marlene Engelhorn, der Regisseur Volker Lösch und die Schauspielerin Marlene Reiter in „Geld ist Klasse – Ungleichheit und Überreichtum“. Sie zeigen auf, wie Hochvermögen in undemokratische Macht umschlägt, wie Geld und (Un-)Gerechtigkeit zusammenhängen, wie Überreichtum sich nach außen hin tarnt und gegen Kritik immunisiert – und sie fragen, wie man ihm das Handwerk legen kann, um die Demokratie zu retten und ein gutes Leben für alle möglich zu machen. Die Inszenierung steht auf der Shortlist des Berliner Theatertreffens 2025.
Die junge Regisseurin Jessica Weisskirchen unternahm am Nationaltheater Mannheim ihre ersten künstlerischen Schritte. Nun kehrt sie mit „Queens“, ihrer am Schauspiel Dortmund entstandenen Überschreibung von „Maria Stuart“, zurück. Zwei Frauen, Königinnen, die durch die Wirren ihrer Zeit an die Spitze gelangen – mächtig und doch abhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen, Gewalt ausgesetzt und selbst Gewalt ausübend. „Queens“ hinterfragt unser Bild von weiblicher Macht, Solidarität und der Möglichkeit, in den herrschenden Verhältnissen andere Wege zu gehen.
Zurück kehrt auch Gérald Arev Kurdian. Kurdian verzauberte bereits 2023 bei den Schillertagen mit dem musikalisch-poetischen Ausnahmeabend „X! (un opéra fantastique)“ das Publikum. Passend zum diesjährigen Motto beschäftigt sich die Deutschlandpremiere „The Transition Pieces: Chant I (Glitches, Fairies and Warrior Goddesses)“ mittels experimenteller Kompositionstechnik mit etwas uns allen Vertrautem, Universalem – der menschlichen Stimme.
Ofira Henig entwickelt ihr im vergangenen Jahr in Berlin entstandenes Stück „Terribly Human“ für die Schillertage weiter. Henig arbeitet für ihre Produktionen mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die in ihrem Heimatland Israel leben, und mit Geflüchteten, die in Berlin Zuflucht gefunden haben, zusammen. Die Spannungen und Konflikte, die sichtbar werden, wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen und Lebenswelten aufeinandertreffen, sind Gegenstand ihrer künstlerischen Arbeit. Auch in „Terribly Human“ geht es um „Othering“, also die Abgrenzung der eigenen gesellschaftlichen Gruppe von anderen, die auf einer Hervorhebung der Unterschiedlichkeit beruht.
Der vielfach preisgekrönte und Oscar-nominierte Mohammad Rasoulof entwirft in seiner Inszenierung „Destination: Origin“ 15 poetische Bilder über das Ausgesetzt-Sein von Menschen im Exil. Seine Protagonist*innen sind die iranischen Schauspieler*innen Setareh Maleki, Mahsa Rostami und Niousha Akhshi, mit denen er bereits für seinen Spielfilm „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ (2024) zusammengearbeitet hat. Er verwebt die Themen Exil, Identität und künstlerische Freiheit zu einer Performance, die das Publikum dazu einlädt, über die Bedeutung von Heimat und die Kraft der Selbstbestimmung nachzudenken.
In „Société Anonyme“ von Stefan Kaegi und Rimini Protokoll wird es dunkel. Die Dunkelheit gewährt den Erzählenden und ihren Geschichten Schutz vor Scham, Furcht und Bewertung. In der szenischen Dunkelkammer entwickelt sich das Bild einer anderen Stadt, kommen Menschen zu Wort, die aus verschiedenen Gründen den Schutz der Anonymität benötigen. Die weltweit renommierte Künstlergruppe Rimini Protokoll ist regelmäßig in Mannheim zu Gast. So waren ihre Arbeiten bei zeitraumexit, der Kunsthalle Mannheim und im Nationaltheater bzw. den Schillertagen zu sehen.
Mit „Humans 2.0“ bringt Circa neuen Zirkus und akribisches Tanztheater für die ganze Familie auf die Bühne. Circa Contemporary Circus steht für australische Zirkuskunst der Extraklasse. Die Kompanie rund um Yaron Lifschitz war in den letzten knapp 20 Jahren stilprägend für ein gesamtes Genre und eroberte von Brisbane aus die Welt. Sie sind eine der weltweit führenden Gruppen für zeitgenössischen Zirkus und verwischen die Grenzen zwischen Bewegung, Tanz, Theater und Zirkus. Eine vielleicht einmalige Gelegenheit für Fans der verschiedenen Genres, das gefeierte internationale Ensemble aus Australien live zu erleben.
Das gemeinsam mit der SRH seit 2017 veranstaltete Format „Mannheimer Reden“ bietet eine Schiller-Sonderausgabe mit hochkarätigem Gast: Der Rechtsanwalt, Philosoph und Publizist Michel Friedman ist ein genauer Beobachter und pointierter Kommentator unseres Zeitgeschehens. In seiner Rede „Weil Menschen Menschen sind“ blickt Friedman mit Schiller auf das spannungsvolle Verhältnis zwischen Menschenrecht, Grundrechten und Staatsbürgerrecht, das fortwährend neu ausgehandelt werden muss.
Gemeinsam mit SWR Kultur loten die Schillertage verschiedene Aspekte des Festivalmottos aus. In den zwei Formaten SWR Kultur Gespräch und SWR Forum wird der Frage nachgegangen, was uns verbindet – diesseits von kulturellen Grenzen, nationalen Konstrukten, religiösen Geboten und sozialen Klassen.
Das Alte Kino Franklin hat sich bereits während der Schillertage 2023 bestens als Festivalzentrum, Spielstätte, Partyzone und Begegnungsort etabliert. Hier tagt das Haymatministerium. Von hier aus starten die Free Walking Tours und laden zu einer Erkundung des noch neuen Stadtviertels Franklin ein. Auf Franklin gärtnern Künstler*innen mit Leidenschaft und pflegen den „Vorgarten“ als Ort und Format für kritischen Austausch und freudvolles Zusammensein. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Und jeden Abend tanzen alle Gäste bei den legendären Schill-Outs ab 21 Uhr in die Nacht. Außerdem finden zum Auftakt und an den Festivalwochenenden ab 23 Uhr Partys statt. Der Eintritt zum internationalen Musikprogramm sowie zu den Partys ist frei.
Der Vorverkauf der 23. Internationalen Schillertage startet für alle Vorstellungen am Samstag, 12. April 2025. Abonennt*innen des Nationaltheaters können bereits ab dem 09. April Karten erwerben.
Mit dem Festival-Abo erhalten Sie 5 Karten zum Preis von 4. Der Rabatt gilt für 5 Karten für verschiedene Vorstellungen zum Normalpreis, die günstigste Karte ist gratis.
Die »Internationalen Schillertage 2025« werden ermöglicht und gefördert durch die Stadt Mannheim und das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Wir danken unseren Förderern Freunde und Förderer des Nationaltheaters Mannheim e. V., Stiftung Nationaltheater Mannheim und Heinrich- Vetter-Stiftung und unseren Sponsoren Lotto Baden-Württemberg, Regionaldirektion Nord-West, und engelhorn sowie unseren Kooperationspartnern. »Still I choose to Love«: in Kooperation mit dem Goethe Institut / Max Müller Bhavan Bangalore, gefördert durch die Baden-Württemberg-Stiftung. Festivalzentrum: Mit freundlicher Unterstützung von RJ Gerüstbau + Zugangstechnik GmbH. »Humans 2.0«: Mit freundlicher Unterstützung der GBG Unternehmensgruppe GmbH. »Mannheimer Reden«: Eine gemeinsame Initiative und Veranstaltung von NTM und srh.