Mannheim, Musikalische Akademie, 7. Akademiekonzert - Franz Schubert, L. v. Beethoven, IOCO Kritik, 24.05.2022
Musikalische Akademie Mannheim
7. Akademiekonzert - Musikalische Akademie Mannheim -
Franz Schubert, Ouvertüre zu „Die Zauberharfe“, Symphonie Nr. 4 C- Moll D 417 - Ludwig van Beethoven - Symphonie Nr. 3 Es-Dur Op. 55 - Eroica - 09.05.2022
von Uschi Reifenberg
Mit Beethoven für eine bessere Welt
Ludwig van Beethoven, der musikalische Revolutionär, der Kämpfer für Freiheit, Humanität und Ideale, feierte 2020 seinen 250. Geburtstag. Seine Musik ist ohne Zweifel weltumspannend, völkerverbindend, aufklärerischen Ideen verpflichtet, eine universelle Botschaft für Frieden, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit. Sein „Jubelfest“ wurde pandemiebedingt in der Musikwelt nur am Rande gefeiert, Konzertsäle-und Opernhäuser blieben geschlossen, das gemeinschaftliche Erleben der visionären Kraft seiner Musik hatte nicht stattgefunden.
Nun können Beethoven Konzerte endlich nachgeholt werden, kann seine Musk wieder einen entscheidenden Beitrag, nicht nur zur Völkerverständigung, leisten. Das ist notwendig. Denn eine Krise jagt die andere, es herrscht Krieg in Europa in seiner schlimmsten Ausprägung, Völker-und Menschenrechte werden gebrochen, Sicherheiten lösen sich auf, wir erleben einen Rückfall in vergangen geglaubte Zeiten.
Nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine im Februar diesen Jahres, nahmen zahlreiche Radiosender in ganz Europa dies zum Anlass und sendeten Beethovens 9. Sinfonie in einem gemeinschaftlichem Akt der Völkerverständigung und Solidarität. Die Musikwerdung von Friedrich von Schillers „Ode an die Freude“ (Alle Menschen werden Brüder) wird als Europahymne überall auf der Welt verstanden. Beethovens Musik erklingt wieder im Zeichen der Weltpolitik, bewusst für Frieden und Freiheit, gegen Krieg und Gewalt.
Nun kam im 7. Mannheimer Akademiekonzert am 9. Mai 2022, zusammen mit Werken von Franz Schubert, Beethovens 3. Sinfonie, die „Eroica“ zur Aufführung, ein bahnbrechendes Werk, von Beethoven selbst noch Jahre später als „seine wichtigste Sinfonie“ bezeichnet.
Der „neue Weg“, den Beethoven mit diesem Werk beschritt, öffnete der großen romantischen Sinfonie des 19. Jahrhunderts alle Türen und bedeutete musikästhetisch einen radikalen Schnitt, auch in Abgrenzung zur klassischen Sinfonie eines Haydn oder Mozart.
Die Entstehungszeit der Eroica datiert um 1802/1804. Es ranken sich zahlreiche Mythen und Deutungen um das Werk, das Beethoven aus einer anfänglichen Begeisterung heraus zunächst Napoleon Bonaparte widmen wollte. Ihm, dem Helden, dem alles überstrahlenden Heilsbringer der Menschheit, welcher die Errungenschaften der in der Französischen Revolution erstrittenen Werte bewahren und festschreiben wollte, sollte zu Ehren eine Musik erklingen, die in eine strahlende Zukunft weisen würde. Für diese humanistischen Ideale brannte auch Beethoven, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sollten gelebt und durch die Kunst gefeiert werden.
Doch als sich Napoleon 1804 in radikaler Selbstüberhöhung selbst zum Kaiser krönte, war Beethoven maßlos enttäuscht. „Ist der auch nichts anderes wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher, wie alle anderen Stellen, ein Tyrann werden“, soll Beethoven sich geäußert haben und das Titelblatt mit Napoleons Namen zerrissen haben.
Nicht mehr „Bonaparte“ wird seine Sinfonie nun heißen, er wendet mit dem Namen „Eroica“ die Idee des „Heldischen“ und der freiheitlichen Ideale ins Allgemeine, und betitelt „Sinfonia Eroica, composta per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo“ – zu Ehren also eines „großen Mannes“. Er wird die Sinfonie dem Fürsten Lobkowitz widmen, einem seiner treuesten Unterstützern.
Ein weiterer „Held“ spielt im 4. Satz seiner Sinfonie eine Rolle, es ist „Prometheus“, aus der griechischen Mythologie, der gegen die göttliche Ordnung rebelliert und den Menschen das Feuer der Erleuchtung bringt, gemeint ist wohl in diesem Kontext das „Licht der Aufklärung“.
Beethoven verwendet hier ein Thema aus seinem Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“, einem kunstvollen Variationen Satz, kombiniert mit Fugato Teilen. Das Thema verarbeitete er auch kurz zuvor in seinen Variationen für Klavier Op. 35, den „Eroica“ Variationen.
Durch diesen Zusammenhang war man versucht, der Sinfonie ein latentes Programm zu unterlegen, das auch durch die aktuellen politischen Geschehnisse legitimiert schien, wie die Kampfmetaphorik, oder Beethovens Lebens- und „Leitmotiv“ „per aspera ad astra“, „durch Nacht zum Licht“.
Eine andere Novität war die Erweiterung der üblichen Besetzung um ein 3. Horn, wodurch der Bläserbesetzung eine dominierende Rolle zukam, was auch eine Intensivierung des Ausdrucks ermöglichte. Eine nie dagewesene Ausdehnung erfuhr der 1.Satz der „Eroica“, der so lang ist wie eine ganze Sinfonie von Mozart oder Haydn. Beethoven sprengte hier die bisherigen zeitlichen und formalen Ausmaße um ein Höchstmaß an persönlichem Ausdruckswillen zu formulieren. Er wagte sich in Bereiche dramatischer und pathetischer Dichte vor, die er auch in seinen nachfolgenden Sinfonien kaum mehr erreicht.
Viele Fragen warf auch die Einbeziehung eines „Trauermarsches“ als 2. Satz (Marcia funebre) auf, den Beethoven zum ersten Mal in einer Sinfonie überhaupt etablierte und der vielleicht Parallelen zu seinen damaligen, persönlichen Lebensumständen aufzeigt. Im „Heiligenstädter Testament“, das Beethoven 1802 verfasste, trug er sich mit Selbstmordgedanken, da er wusste, dass seine Schwerhörigkeit nicht mehr aufzuhalten war und zur völligen Taubheit führen würde. Ein grausames Schicksal für einen genialen Musiker.
Gleichzeitig fasst er den „heroischen“ Entschluss, einzig für die Kunst am Leben zu bleiben: „... es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück“.
Der international gefragte italienische Dirigent Roberto Rizzi Brignoli ist in Mannheim längst kein Unbekannter mehr. Zuletzt war er in der Neuinszenierung des Freischütz am Nationaltheater zu erleben.
Rizzi Brignoli entwirft schon im Kopfsatz der Eroica einen weichen, geschmeidigen Beethoven Klang, die ersten beiden Tutti Schläge zu Beginn des 1.Satzes laden zu einer eleganten Aufführung ein, statt aufzurütteln oder in Spannung zu versetzen. In weichen Linien, blüht das Hauptthema auf, alles klingt jederzeit wohlgeformt und perfekt balanciert, Rizzi Brignoli nimmt sich die Zeit, die er braucht um jede Nuance, jede Themenkeimzelle liebevoll auszugestalten. Brillant und obertonreich klingen die Streicher, die Holzbläser dialogisieren innig in heiterer Kontrapunktik. Farbig, transparent und schön aufeinander abgestimmt umschlingen sich die Motivketten im durchbrochenen Satz. Doch was wäre Beethoven ohne das Widerborstige, Auflehnende, die typischen Gegenbetonungen auf den leichten Taktteilen. Das sollte nicht glattgebügelt daherkommen, darf auch aus dem homogenen Klangbild herausstechen.
Was Beethoven in dieser Durchführung ,verhandelt“, weist weit über seine Zeit und deren Verbindlichkeiten hinaus und berührt Grenzbereiche.
Der 2. Satz, der Trauermarsch „Marcia funebre“ ist eine ergreifende Klage über Tod und Sterben, einer der bedeutendsten Trauermärsche der Musikliteratur. Rizzi Brignoli wagt sich ohne romantische Wucht oder Pathos mit ruhig fließendem Tempo in die transzendenten Bereiche vor, wunderbar ätherisch klagen hier die Violinen mit dem ersten Thema, pastos klingen die Kontrabässe, rein und innig verbreitet die Oboe Weltschmerz, delikat fächert der Dirigent die Klangstrukturen auf. Im Mittelteil verbreitet die Oboe dann lichte Inseln der Zuversicht, im Zwiegesang verweilen die Holzbläser in gestischer Klangrede, die Übergänge verweben sich in weichen Linien. Der innere Kampf des Individuums kulminiert in einem dramatischen Höhepunkt, ohne allzuviel Erdenschwere, der in ein unerbittliches Fugato mit Paukenschlägen übergeht. Erlösung bietet Beethoven nicht, der Schlussteil wendet sich wieder ins Dunkle. In poetischer, kammermusikalischer Schönheit meldet sich noch einmal das erste Thema, von Pausen unterbrochen, bis der Satz im pianissimo fragend verstummt
Prickelnd, elektrisierend, mit leichtem Puls huscht bei Rizzi Brignoli der 3. Satz, das „Scherzo“ dahin. Sehr präzise und kontrolliert klingen die durchgehenden Streicherstaccati sowie die Tutti Einsätze, heiter mit kantablem Schmelz singt die Oboe über dem Streicherpuls das Thema, das von der Flöte übernommen wird. Steigerungen gelingen mit konzertanter Freude, das berühmte Horntrio gerät zur beglückenden Visitenkarte der fabelhaften Hornsolisten des NTO und imaginiert Jagdkolorit. Lebendig hört man die Holzbläser-Tutti Wechsel, spannungsreich aufgebaut endet der Scherzo Satz mit schwungvollem Gestus.
Im ausgedehntem Variationen-Satz mit seiner energiegeladenen Einleitung und den pianissimo und subito forte Wechseln entfesselt der Dirigent einen farbigen Finalsatz, in dem Beethoven sich als Meister der entwickelnden Variationen erweist, die er später in seiner letzten Klaviersonate Opus 111 und den Diabelli Variationen in Vollendung weiterführen wird. Hier beeindruckt die Leichtigkeit im Fugato, das Innehalten, das Ausgestalten der Themen und die klangliche Ausgewogenheit mit wunderschöner Oboenvariation und strahlendem Blechbläserklang. Der Satz endet mit einem rauschenden Triumph der Kunst.
Im ersten Teil des Abends waren Werke von Franz Schubert zu hören, der als wesentlich jüngerer Komponist und Wiener Zeitgenosse Beethovens eine ganz besondere Beziehung zu seinem großen Vorbild unterhielt. Schubert hatte sich Zeit seines kurzen Lebens mit dem Schaffen Beethovens mit Begeisterung auseinandergesetzt, 1827, bei Beethovens Beerdigung soll er seinem Sarg gefolgt sein, er selbst starb schon ein Jahr später, mit nur 31 Jahren. Schubert gilt bekanntlich als der große Liedkomponist des 19. Jahrhunderts, er hinterließ ein Oeuvre, das, um die wichtigsten Gattungen zu nennen, über 600 Lieder, Kammermusiken, Klavierwerke und Messen umfasst und - je nach Zählweise-, 8 Sinfonien, von denen die frühen stark an Beethoven orientiert sind. Schuberts Opernwerke waren in seiner Zeit wenig erfolgreich und können wohl als seine große, unerwiderte Liebe bezeichnet. Immerhin flossen 14 Opern, bzw. Singspiele aus seiner Feder, von denen heute teilweise nur noch Fragmente erhalten sind, bzw. einzelne Musiknummern oder Ouvertüren. Gehalten hat sich von diesen Musiktheater Werken im Konzertbetrieb unter anderen die Ouvertüre zu „Die Zauberharfe“, einem Melodram, das Schubert 1820 komponierte, mit umfangreichen Männerchören, Romanzen und einer verworrenen Handlung, deren Text heute verschollen ist. Schubert stellte das Stück später seiner Oper Rosamunde als Ouvertüre voran.
Roberto Rizzi Brignoli leitet die Ouvertüre mit leichter Hand, lässt Schuberts Melodienseligkeit aufblühen mit Rossini Anklängen, reichen Klangfarben und jugendlichem Überschwang. Opernhafte Melodien, dramatische Steigerungen und schwungvolle Rhythmen lassen eine fantasievolle Zauberwelt entstehen.
Das zweite Werk Schuberts an diesem Abend, die 4. Sinfonie in c-Moll, kann ebenfalls als Hommage an Ludwig van Beethoven betrachtet werden. Schubert komponierte die Sinfonie im zarten Alter von 19 Jahren, er betitelte sie selbst als „Die Tragische“, wobei sich die Tragik noch nicht in die seelischen Abgründe begibt, sondern sie eher an der Oberfläche streift. Mit seiner 4. Sinfonie bezog er sich bewusst auf Beethovens 5. Sinfonie, die in der gleichen Tonart steht und wiederum als Auseinandersetzung mit dessen Schaffen zu sehen ist.
So bedeutet es für Schuberts Identitätsfindung als Komponist, Beethovens Übermacht einerseits anzuerkennen, ihm nachzueifern, aber auch seinen eigenen Weg zu finden, der häufig ein spezielles wienerisches Idiom aufweist und dessen musikalische Essenz nicht selten dem Liedhaften entstammt. Schubert ist als Komponist von Sinfonien wesentlich mehr als ein Beethoven Epigone, er findet in der Romantik seine eigentliche Heimat. Seine Innerlichkeit bewegt sich fernab behaglicher Biedermeierlichkeit und ist überzogen von jener Wehmut und Traurigkeit, die ohne pathetische Weltschmerzattitüde auskommt.
Der Dirigent schwelgt mit dem Orchester in elysischen Gefilden, formt einen weichem, schwebendem Klang. Besonders bewegend gerät der 2. Satz. Frei atmende Kantilenen im mozart‘schem Gestus erhalten viel Entfaltungsspielraum, die einzelnen Instrumentengruppen werden liebevoll beleuchtet, gegenläufige Linien kunstvoll ausgestaltet. Fein artikuliert spielen die Holzbläser, zelebrieren das Verweilen im Augenblick. Schwungvoll, mit vorwärtsdrängendem Puls, dabei tänzerisch leicht, kreiert Rizzi Brignoli im 4. Satz einen offenen, hellen Klang , der sich nach kurzen Moll-Eintrübungen immer wieder ins Hoffnungsvolle wendet. Klar strukturiert, präzise und lebendig klingt das, hier werden die Akzente deutlich herausgearbeitet. Überschäumend, mit dramatischem Feuer endet der Satz in strahlendem C-Dur.
Das begeisterte Publikum im voll besetzten Mozartsaal spendete viel Beifall nach einem bewegenden Konzertabend
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