Mannheim, Musikalische Akademie, 5. Akademiekonzert - Olivier Messiaen, Anton Bruckner, IOCO Kritik, 04.03.2022
Musikalische Akademie Mannheim
5. Akademiekonzert - Musikalische Akademie - Nationaltheater Orchester Mannheim
Olivier Messiaen (1908-1992) „L’Ascension“ - Anton Bruckner (1924-1896) Sinfonie Nr. 6
- ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE -
von Uschi Reifenberg
Die Musikalische Akademie des Nationaltheater Orchester Mannheim hatte für ihr 5. Akademiekonzert am 21.2.2022 im Rosengarten von Mannheim, Foto oben, ein Programm gewählt, das ganz auf Spiritualität, Entschleunigung und Kontemplation ausgerichtet war. Kombiniert wurde Olivier Messiaens vier Meditationen für Orchester „L‘Ascension (Himmelfahrt) - Quatre Méditations Symphoniques“ mit der 6. Sinfonie von Anton Bruckner.
Das Programm knüpfte damit zum einen an den vorangegangenen großen Erfolg von Messiaens gigantischer Turangalîla Sinfonie von 2019 an, zum anderen setzte GMD Alexander Soddy seinen 2016/17 begonnen Bruckner-Zyklus mit dem Nationaltheater Orchester fort.
Es ist mehr als das Bekenntnis zum katholischen Glauben, der Olivier Messiaen und Anton Bruckner verbindet, Leben und Schaffen beider Komponisten zutiefst durchdringt. Der Glaube ist Ausdruck ihrer Individualität, er bedeutet Halt, Stütze und ist spirituelles Zentrum, aus dem heraus ihre neuen musikalischen Konzepte erschlossen werden und er ist zugleich unerschöpfliche Inspirationsquelle für Ihre vielgestaltigen weltlichen und sakralen Werke.
Für beide Musiker stand die Orgel ganz im Zentrum ihres Wirkens, der Österreicher Bruckner galt im ausgehenden 19. Jahrhundert als einer der herausragendsten Organisten Europas, er war zunächst Domorganist in Linz, später auch in Wien. Messiaen bekleidete das Amt des Organisten in Saint Trinité, eine der größten Pariser Kirchen über 60 Jahre lang, von 1931 bis zu seinem Tod 1992. Der typische Orgelklang mit seinem Nachhall, den Registerwechseln oder auch den blockartigen Strukturen hatte maßgeblichen Einfluss auf die klangliche Faktur im sinfonischen Schaffen beider Komponisten.
Eine Geistesverwandtschaft zeigt sich auch im Hang zur überdimensionierten Form, beide setzten auf Überwältigung durch den Klang und entwickelten jeweils eine spezielle Farbenästhetik, Pierre Boulez, der französische Komponist und Dirigent, soll Messiaen sogar einmal als den „französischen Bruckner“ bezeichnet haben.
Eine enge Verbindung zeigt sich auch in einer faszinierenden Mischung aus Tradition und Avantgardismus, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts in der Spaltung zwischen Brahmsianern und den „Neudeutschen um Liszt und Wagner“ zunächst kontraproduktiv auf Bruckner und die Rezeption seiner Sinfonik auswirkte. Er machte sich den Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick zum Feind, der als Gegner Richard Wagners auch Bruckner zu dessen Dunstkreis zählte, gegen seine Werke intrigierte und dessen Musik einen „traumverwirrten Katzenjammerstil“ nannte.
Bruckners ureigenste Welt war die der Sinfonie, er selbst sah sich nie als Komponist von Opern oder Musikdramen im Sinne Wagners, auch wenn dessen Instrumentation und Ästhetik ihm neue Entwicklungsperspektiven aufzeigten. Unbeirrbar begann er als Spätberufener, mit über 40 Jahren, in kurzer Abfolge seine klanggewaltigen 10 Sinfonien zu schreiben (die „Annullierte“ dazugerechnet), die allesamt im Zentrum seines Schaffens stehen.
Messiaen hatte sich, nach langem Zögern und erst mit 67 Jahren an die Komposition einer Oper gewagt, das Auftragswerk „Saint François d‘Assise“, ein groß dimensioniertes Machwerk und „Opus summum“ seines bisherigen Wirkens, sollte auch seine einzige Oper bleiben.
Ebenso wie Bruckner verehrte Messiaen das Werk Richard Wagners, Bearbeitungen und Zitate des Tristan-Themas findet man immer wieder in seinen Werken, wie beispielsweise die Tristan Trilogie, deren zweiter Teil die Turangalîla Sinfonie bildet, das Herzstück der Trilogie.
Oft belächelt und kolportiert wird Bruckners devote Haltung, - nicht nur gegenüber dem Bayreuther Meister - die auch als Karikatur in einem berühmten Scherenschnitt verewigt ist, der Wagner und Bruckner abbildet, dabei Bruckner in tief gebeugter Haltung zeigt, Wagner seine Ehrerbietung erweisend.
Bruckner widmete Wagner seine 3. Sinfonie, die in 3 Fassungen vorliegt, in der Originalfassung 75 Minuten dauert und in die er verschiedene Themen aus dessen Werken einfließen ließ.
Auch die innige Verbundenheit mit der Natur bildet eine unerschütterliche Konstante für die beiden Komponisten, sie ist Zufluchts- und Sehnsuchtsort, Inspirationsquelle und ermöglicht tiefgreifende transzendente Erfahrungen. Bei Messiaen manifestiert sich die Naturverehrung auch in Gestalt hundertfacher Vogelstimmen, die er akribisch notiert und in seine Werke integriert. Er bezeichnet sich selbst als „Ornithologe“, für ihn sind die Vögel Vermittler zwischen Himmel und Erde, die von den Wundern der göttlichen Schöpfung künden sollen.
GMD Alexander Soddy und das Nationaltheater Orchester loteten die Tiefendimensionen der spirituellen Botschaft von Messiaen und Bruckner aus und führten das Publikum in jenseitige geistige Räume voller Frieden, Freude und Zuversicht.
Das Orchester musizierte nicht nur mit höchster Konzentration und Hingabe, sondern auch mit äußerster Präzision, Homogenität und überwältigender Ausdruckskraft. Das Kollektiv des Orchesters lässt durch die spürbare Verantwortung des Einzelnen für das Ganze ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen, das diesem Klangkörper seine ganz besondere Identität verleiht.
Messiaens „Vier Meditationen über die Himmelfahrt Christi“, entstanden 1932/33, beziehen sich auf das Fest Christi Himmelfahrt. Es sind musikalische Glaubensbekenntnisse, die in vier Reflexionen die Himmelfahrt beschreiben. Ihnen sind jeweils Texte vorangestellt, die aus dem Johannesevangelium stammen, den Episteln sowie der Messliturgie. Die vier Sätze stehen in chromatisch aufsteigenden Tonarten, E, F, Fis, G und symbolisieren den himmlischen Aufstieg.
- I. Majestät Christi, die seine Verherrlichung vom Vater erbittet.
- II. Fröhliche Hallelujas einer Seele, die nach dem Himmel verlangt.
- III. Freudenausbrüche einer Seele vor der Ehre Christi, die ihre eigene ist.
- IV. Gebet Christi, der zu seinem Vater auffährt.
Die erste Stück ist allein den Blechbläsern gewidmet, Trompeten und Posaunen eröffnen mit ruhigen, weit gezogenen Motiven die andächtige Meditation, Alexander Soddy gestaltet die einzelnen Phrasen mit großer Ruhe, hält die Spannung in den Pausen, variabel intonieren die Bläser, mal mehr gedeckt, dann wieder fast schneidend, bis am Ende die Trompeten in strahlender Aufwärtsbewegung die frohe Botschaft verkünden.
Der zweite Satz wird von Holzbläsern und Streichern gespielt, tänzerisch, irisierend, überaus farbig, Soddy kostet die spannungsgeladenen Dissonanzen aus, die auf angenehme Weise erlebbar werden. Ein bewegtes Englischhorn Solo tritt in den Dialog mit den Flöten, bis sich die Holzbläser mit den Streichern mischen, aus jeder Phrase ertönt die Freude.
Vogelstimmen mischen sich in den immer dichter und dramatischer werdenden Satz, bis er über tremolierenden Streichern in froher Erregung endet.
Das dritte Stück, für das gesamte Orchester, ist ein wilder Freudentanz, farbig, kontrastreich, in raschem Tempo, er erinnert er an die Turangalîla Sinfonie. Soddy zieht hier im wahrsten Sinne des Wortes alle Register und bringt die kaleidoskopartige, schillernde Klangwelt Messiaens zum Erblühen. Komplexe, pulsierende Rhythmen, sinnliche Streicherwogen, vielfältiges Schlagwerk mit triumphalen Beckenschlägen und eine sich aufbauende dramatische Spannung illustrieren die „Freudenausbrüche einer Seele“ und vereinigen sich zu einem rauschhaften Spiel vielfältiger Farben.
Sehr zart und indirekt beginnt Soddy die letzte Meditation, die den Streichern allein überlassen ist. Mit andachtsvoller Ruhe schwingen sich zarte Kantilenen in die Höhe, aus tief empfundenen Phrasen spricht Glaubenssicherheit. Soddy nimmt sich Zeit, gestaltet aus der Ruhe heraus, kreiert einen Streichersound voll Würde und Erhabenheit.
Lang ausgehaltene Akkorde erinnern an Orgelklänge im Kirchenraum, schwellen an und hallen lange nach. In unendlichen, ineinander verwobenen Linien scheint sich die "Seele gen Himmel" zu verströmen.
Anton Bruckners 6. Sinfonie markiert den Wendepunkt zu seinen drei letzten großen Sinfonien, der 7., 8. und der unvollendeten 9. Sinfonie. Entstanden zwischen zwei monumentalen Werken, der 5. und der 7., ist sie kürzer, kommt in der Anlage weniger „wuchtig“ daher, wirkt mitunter innerlicher, fast kammermusikalisch, die Formteile sind unverbundener aneinander gereiht, die Themen und Motive werden auf neue Weise weiterentwickelt, Form und Harmonik wirken geradezu avantgardistisch.
Die 6. Sinfonie ist die einzige, die Bruckner nie einer Überarbeitung unterzogen hatte, er hielt sie für sehr gelungen, seine „keckste“ Sinfonie hat er sie selbst genannt. Uraufgeführt wurden 1883 allerdings nur die beiden Mittelsätze, erst Gustav Mahler führte 1899, nach einigen Umarbeitungen, die ganze Sinfonie auf. Sie entstand von 1879-81, nach über vierjähriger Schaffenspause, vollendet in St. Florian, Bruckners langjähriger künstlerischer und geistiger Heimat, und fiel in eine für Bruckner verhältnismäßig glückliche Zeit. Der eher „weltliche“ Charakter der 6, Sinfonie soll auch von Natur-Eindrücken aus Bruckners größter Reise seines Lebens, die er 1880 in die Alpen unternahm, geprägt worden sein.
Energiegeladen eröffnet Alexander Soddy den 1.Satz mit seinem pulsierenden, leisen Triolen Rhythmus der Violinen, in den sich das breit gezogene Hauptthema der tiefen Streicher fast bedrohlich einschleicht. Soddy setzt auf zügiges Tempo, drängt vorwärts, präzise gelingen die zarten Horn- und Klarinetteneinsätze, bis triumphal das erste Thema mit mächtiger Wirkung im Raum steht. Scharf werden die dynamischen Wechsel herausgearbeitet, ebenso die rhythmischen Blöcke klar strukturiert, Soddy entwickelt die typischen Brucknerschen Klang-Kathedralen voll Größe und Erhabenheit.
Das Adagio darf wohl als einer der schönsten langsam Sätze von Bruckners gesamtem Schaffen gelten.
Sehr feierlich beginnen die Streicher mit satter, dunkler Grundierung, klagende Oboensoli leuchten auf, Soddy zelebriert die unendlichen Bögen, die sich aus dem tiefsten Inneren in metaphysische Bereiche zu verströmen scheinen, bis in einem Trauermarsch die Musik zum Irdischen zurückkehrt. Behutsam und zart seufzen die Streicher, der Dirigent zieht den Klang ganz in die Innerlichkeit, dehnt und nimmt sich Zeit, dann wieder schälen sich einzelne Soli aus dem Gesamtklang zu jubilierenden Aufschwüngen, Glückseligkeit verbreitend, bis in weichen Linien der Streicher die Musik in absoluter Ruhe verebbt.
Das Scherzo mit seinem pochenden untergründigem Duktus und den kurzen Motiv-Fetzen, besticht durch Farben und Lebendigkeit und wird von Soddy effektvoll in Szene gesetzt. Plötzliche Forte-Ausbrüche strahlender Blechbläser kontrastieren mit tänzerischen Holzbläser Abschnitten und witzigen Pizzicato Stellen und verbreiten Leichtigkeit und Lebensfreude. Soddy lässt die Musik tanzen, bestens balanciert, lockt er die kecken und skurrilen Momente hervor und entfesselt die „Geister“.
Der letzte Satz bietet typischen Bruckner mit blockartigen Abschnitten, weiten ruhigen Klangflächen und monumentalen Blech, es entsteht ein Raumklang voll Würde und Größe.
Soddy baut auch hier wieder eine weiträumige Welt der Gegensätze, mächtige Klanggebirge werden aufgetürmt. die in heroischer Pose zum Himmel ragen. Der Glaube wird zur alles überragenden Gewissheit. Der Anfang von Isoldes Liebestod blitzt auf, bis der Satz in charakteristischen brucknerschen Steigerungswellen triumphal endet.
Bravorufe - Höchste Ergriffenheit - Dankbarkeit
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