Mannheim, Musikalische Akademie, 4. Akademiekonzert - Mozart, Bruckner, IOCO Kritik, 27.02.2023

Mannheim, Musikalische Akademie,  4. Akademiekonzert - Mozart, Bruckner, IOCO Kritik, 27.02.2023
Der Rosengarten von Mannheim, Spielstaette der Musikalischen Akademie © Ben van Skyhawk
Der Rosengarten von Mannheim, Spielstaette der Musikalischen Akademie © Ben van Skyhawk

Musikalische Akademie Mannheim

Musikalische Akademie - 4. Akademiekonzert

- Wolfgang Amadeus Mozart  - Konzert für Klavier und Orchester Nr. 20, d-Moll  -  Anton Bruckner (1824-1896) - Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 -

von Uschi Reifenberg

Unter Jubel und stehenden Ovationen ging mit einer glanzvollen Interpretation der 5. Sinfonie der Bruckner Zyklus der Musikalischen Akademie im 4. Akademiekonzert unter der Leitung von Chefdirigent Alexander Soddy am 20.2.2023 zu Ende.

Kombiniert wurde die Sinfonie NR. 5 B-Dur WAB 105 von Anton Bruckner mit Wolfgang A. Mozarts Klavierkonzert KV 466 in d-Moll, eines der mitreissendsten Solistenkonzerte, das sich sowohl bei Pianist*innen wie Publikum großer Beliebtheit erfreut.

Wolfgang Amadeus Mozart hier vor dem Salzburger Festspielhaus © IOCO
Wolfgang Amadeus Mozart hier vor dem Salzburger Festspielhaus © IOCO

Beide Meister lebten und arbeiteten in der zweiten Hälfte ihres Lebens in Wien, dennoch könnten die beiden Komponisten aus der Alpenrepublik Österreich unterschiedlicher nicht sein; Mozart, das Wunderkind, Bruckner, der Spätzünder. Hier das vor Einfallsreichtum sprühende Genie, das jede musikalische Gattung bedient, dort der kauzige Sonderling, der fast ausschließlich Kirchenmusik und Sinfonien schuf. Mozart, der in atemberaubendem Tempo seine Werke annähernd perfekt aufs Papier brachte; Bruckner, der Unsichere, Zweifelnde, der seine 9 Sinfonien immer wieder änderte und Zeit seines Lebens neue Fassungen erstellte.

Die epischen Ausmaße des monumentalen Brucknerschen Machwerks der Spätromantik  von bis zu 80 Minuten Dauer treffen auf die überschaubare Länge eines klassischen Solokonzertes und bilden nicht nur bezüglich der Spielzeit einen reizvollen Kontrast.

Inbegriff musikalischer Schönheit

Solistin des Abends war die preisgekrönte armenische Pianistin Marianna Shirinyan, eine der führenden und kreativsten Pianistinnen Europas, die darüberhinaus als Professorin an der Norwegischen Musikakademie in Oslo lehrt.

Musikalische Akademie / Marianna Shirinyan, Pianistin © Nicolaj Lund
Musikalische Akademie / Marianna Shirinyan, Pianistin © Nicolaj Lund

Mozart komponierte sein Klavierkonzert in d-Moll, KV 466, im Jahr 1785 in Wien, wo er seit 1781 lebte und als Komponist wie als Pianist gleichermaßen beim verwöhnten adligen Wiener Publikum beliebt war und große Erfolge feierte. Erst einen Tag vor seiner Uraufführung in der „Wiener Mehlgrube“, stellte Mozart das d-Moll Konzert fertig, was bei ihm keine Seltenheit war. - Man denke an die Schwierigkeiten Bruckners, der jahrelang seine 5. Sinfonie „in der Schublade“ aufbewahren musste, bis sie sechs Jahre später, mit zahlreichen massiven Veränderungen, uraufgeführt werden konnte.

Das „neue“ Klavierkonzert, das eine klare Abkehr von vordergründigem Virtuosentum und der „Gebrauchsmusik“ darstellt, dirigierte Mozart selbstverständlich vom Klavier aus. Die Uraufführung wurde ein rauschender Erfolg. Anwesend waren Kaiser Joseph II., Joseph Haydn und - für Mozart wohl die wichtigste Person des Abends- sein Vater Leopold Mozart (1719-1987).

Leopold Mozart war für Wolfgang A. Mozart Instanz und strengster Kritiker, umso mehr musste er sich  über die Anerkennung des Vaters gefreut haben, dieser schreibt an seine Tochter Nannerl:Dein Bruder spielte ein herrliches Konzert … ich hatte das Vergnügen, alle Abwechslung der Instrumente so trefflich zu hören, dass mir … die Tränen in den Augen standen. Als dein Bruder wegging, machte ihm der Kaiser mit dem Hut in der Hand ein Kompliment und schrie: Bravo Mozart!“

Mit diesem Klavierkonzert verließ Mozart die „Rokoko-Sphäre“, in der bis dato seine Klavierkonzerte angesiedelt waren und schuf einen völlig neuen Konzertstil, der nicht nur von Beethoven weitergeführt wurde, sondern den Boden für das große romantische Klavierkonzert des 19. Jahrhunderts ebnete.

Eine Molltonart in einem Klavierkonzert war für die geschulten Ohren des musikbeflissenen Wiener Publikums eine unerhörte Novität; die Tonart d-Moll ist mit höchster Dramatik, Bedrohung und Todesahnung konnotiert; Mozart verwendet sie später im Don Giovanni, dort in der „Ouvertüre“ und der „Komturszene“, der Rachearie der „Königin der Nacht“ und im unvollendeten „Requiem“.

Neu gewichtet ist auch das Verhältnis zwischen Solist und Orchester; dem Orchester kommt nun eine „sinfonische“ Rolle zu, es fungiert nicht mehr nur als Begleitung für den Solisten, sondern es entwickelt sich eine gleichberechtigte Partnerschaft; auch die einzelnen Sätze werden durch thematische Verweise miteinander verknüpft.

Marianna Shirinyan verzaubert vom ersten Ton an mit einem stets singenden, innigen Klavierton, stupender Leichtigkeit in den virtuosen Stellen und einer Hingabe an den Augenblick, in dem die Zeit still zu stehen scheint. Schon auf dem ersten Klaviereinsatz liegt bereits ein Schleier der Trauer; fragend, fast tastend lässt Shirinyan das Klavier sprechen, um sich dann mit lebendigem und kristallklarem Laufwerk, grummelnden Bass-Oktaven mit dem Orchesterklang zu verbinden.

Musikalische Akademie / Alexander Soddy, Dirigent © Miina Jung
Musikalische Akademie / Alexander Soddy, Dirigent © Miina Jung

Alexander Soddy gibt dem berühmten Anfangsthema im Orchester sogleich klare Kontur. Er lässt die Synkopen untergründig pulsieren, das Triolenthema in den tiefen Streichern dunkel und rhythmisch präzise mahnen, jähe forte-Einbrüche, starke dynamische Kontraste erzeugen höchste Dramatik, immer wieder funkt das Triolenmotiv dazwischen. Weiche Streicherbögen mit Seufzerfiguren, elastische, fragile Holzbläser, sensible Phrasierung runden seinen edlen Mozart Klang ab.

Shirinyan zeichnet kein verzärteltes Mozart Bild, lässt aber auch keine ruppige Wildheit ausbrechen, gestaltet dennoch zupackend energisch mit höchster emotionaler Gespanntheit. Ihr Anschlag ist immer geformt, die Artikulation sprechend, Spannungsverläufe erscheinen zwingend in großen vorwärts-drängenden Linien. Die (später von Beethoven geschriebene) Kadenz atmet freies improvisatives Spiel, kunstvolle Kontrapunktik, Virtuosität gepaart mit Gefühlstiefe, eine glanzvolle Visitenkarte klassischer Pianistik.

Der 2. Satz steht in B-Dur, der Tonart von Bruckners 5. Sinfonie.

Hier führt uns die Pianistin in eine ideale Welt, die nur Mozart mit wenigen Noten so  beschreiben kann. Der kantablen Melodik des Hauptthemas gibt Shirinyan Weite und Raum, verströmt sich in Schönheit, erzählend vom Glück, losgelöst von jeder Erdenschwere.

Stürmisch, fast aufbrausend löst das Finale endlich ein, was sich im 1. Satz noch verhalten angekündigt hatte; ungezügeltes Temperament, brodelnde Seelenstürme, changierend zwischen Moll und Dur; das Wagnis, gegen die Konvention zu komponieren. Die Pianistin lässt Opernfiguren tanzen, mal melancholisch, dann wieder keck; mal blitzt Mozarts Schalk durch, der alles dann doch mit Humor nimmt. Perlende Läufe und Arpeggien, Triller, Farbwechsel: da entfaltet sich pure Lebens-und Spielfreude im Dialog mit den Holzbläsern und den brillanten Orchesterzwischenspielen. Am Schluss sind alle d-Moll Zweifel wie weggewischt, das Orchester erstrahlt in ungetrübtem D-Dur.

Als Zugabe spielte Shirinyan des Intermezzo op. 118,2 von Johannes Brahms voller Melancholie und Innerlichkeit, kontemplativ, jede Phrase seelenvoll ausgeleuchtet.

Selig im Glauben

Bruckner, der seine ganze Lebens- und Schaffenskraft aus dem unbedingten Glauben an Gott bezog, zweifelte nie an diesem, dafür aber umso mehr an sich selbst.

Die fünfte Sinfonie, die er selbst mein „Kontrapunktisches Meisterwerk“ oder auch „Die Phantastische“ nannte, nimmt eine rätselhafte Stellung innerhalb seines sinfonischen Schaffens ein. Von der Nachwelt auch als „Katholische“, „Tragische“,  „Mittelalterliche“ , „Choral“- oder „Finalsymphonie“ bezeichnet, lässt erahnen, dass diese Zuschreibungen Versuche sind, zu dem „monolithischen Block“ einen leichteren Zugang finden zu können.

Bruckner komponierte sie mit Unterbrechungen in den Jahren 1875 bis 1878, in einer für ihn wenig glücklichen Zeit. Seit 1868 lebte er in Wien und bemühte sich vergebens um eine angemessen bezahlte Stelle am Wiener Konservatorium, an dem er bereits als unbesoldeter Lehrbeauftragter für Harmonie und Kontrapunkt arbeitete.

Er hatte Schulden, fühlte sich nicht anerkannt, wurde von der Wiener Gesellschaft als linkischer Einzelgänger eher belächelt, der sich in feinen Kreisen nicht angemessen bewegen konnte oder wollte. Angeblich soll Hans von Bülow über Bruckner geurteilt haben: „Ein einfältiger Mensch, halb Genie, halb Trottel“.

Ein unterwürfiger, unscheinbarer Mann, ein Spätberufener, dem erst im Alter von 60 Jahren mit der 7. Sinfonie der unangefochtene Durchbruch gelang. Neben zahlreichen  geistlichen Werken schuf er 9 gewaltige Sinfonien in überdimensionalem Ausmaß, baute  Klangmonumente voller Erhabenheit und Größe und erstellte immer wieder neue Fassungen. Auf den ersten Blick schwer zu vereinende Gegensätze, klischeebeladen und anfällig für Anekdoten.

Die 5. Sinfonie hat Bruckner zu Lebzeiten nie im Orchesterklang gehört, 1894 führte sie Franz Schalk, mit zahlreichen Änderungen und Kürzungen in Graz auf, in der Originalfassung erklang das Werk im Jahr 1935 durch die Wiener Philharmoniker.

Als wolle Bruckner der Welt beweisen, wozu er als Komponist imstande ist, baute er ein Werk, das in seiner kontrapunktischen Anlage, seiner Satzbezüge und thematischen Komplexität einzigartig ist. Wilhelm Furtwängler bezeichnete das Ende der Sinfonie als „das monumentalste Finale der ganzen Musikliteratur“, auf welches auch die gesamte Konzeption des Werkes ausgerichtet ist.

Themen werden satzübergreifend eingesetzt, bilden Klammern, und verbinden Abschnitte miteinander. Am Ende werden sie im 4. Satz in einer grandiosen Doppelfuge übereinander geschichtet.

Alexander Soddy führt uns mit dem wunderbaren Nationaltheater Orchester durch eine Kathedrale mit ihren wechselnden Lichtverhältnissen und Farbgebungen, Hell-Dunkel-Kontrasten, den Schönheiten der Architektur, ihrer Weite und Erhabenheit, vorbei an den fein gearbeiteten Details sakraler und weltlicher Kunst. Er geht nicht schleppend oder zu schnell, schreitet eher gemessenen, aber zielgerichteten Schrittes; man bleibt stehen, holt Atem und bewegt sich gebannt von einem Höhepunkt zum nächsten.

Der 1. Satz beginnt - untypisch für Bruckner - mit einer langsamen geheimnisvollen Einleitung, die Soddy ganz aus der inneren Einkehr entstehen lässt. Die berühmten pianissimo- pizzicati in den tiefen Streichern, die ebenfalls den 2. und 4. Satz einleiten, gliedern Abschnitte und ziehen sich charakteristisch durch die ganze Sinfonie.

Darüber legen sich leise, gedehnte Streicher Akkorde, aus denen eine schmerzvolle Melodie mit Seufzern erwächst, von der Streichergruppe ruhig und sehnsuchtsvoll gespielt. Ein fanfarenartiges Thema in Ges-Dur, das wie ein Störfaktor im B-Dur Anfang wirkt, fährt fortissimo in einer punktierten Aufwärtsbewegung dazwischen wie ein jäher Aufschrei, und beendet abrupt den ruhigen Abschnitt.

Die scharfen Schnitte und dynamischen Kontraste sowie die voneinander abgesetzten Blöcke, die das ganze Werk durchziehen und die Bruckner von den Orgelregisterwechseln übernimmt, werden bei Alexander Soddy zu spannungsgeladenen Ereignissen, sensibel und kraftvoll.

Es schließt sich ein Blechbläserchoral an, hier weniger hell strahlend als dunkel-weich abgerundet, der in einen ersten Höhepunkt mündet und die Introduktion feierlich abschließt. Nun beginnt das Allegro mit seinen drei Themen, die auch im letzten Satz wiederkehren.

Für die Blechbläser ist diese Sinfonie ein besonderer Kraftakt. Vor allem am Ende des Finalsatzes sind sie aufgrund der ständigen Steigerungen im voller Lautstärke extrem gefordert. Die Blechbläser des Nationaltheater Orchester verdienen absoluten Respekt und großes Lob für ihre Leistung an diesem Abend.

Soddy geht das Allegro in eher fließendem Tempo an, mit innerer Bewegung, nie schwerfällig, oder pathetisch, auch die gliedernden Pausen sind nach vorne gedacht. Die Spannungsbögen geraten formal zwingend, die Steigerungen sind dosiert, so dass das Potenzial an Kraft und Ausdruck noch nicht erschöpft ist und für die Schlussapotheose im Finalsatz aufgespart bleibt.

Die Pizzicati am Beginn des 2. Satzes kommen weniger aus dem mystischen Abgrund,  dienen eher als Vorbereitung und Grundierung für die klagende Oboen Melodie, zu der sich weitere Holzbläser Farben gesellen, präzise und kontrastreich. Wie ein tiefer, breiter Strom fließen zunächst die Streicher in langen Linien, dynamisch abgestuft,

in deren Sog man in transzendente Bereiche hineingezogen wird. In immer neuen Wellen steigert Soddy den Fluss, der voller Größe und Erhabenheit von Gottvertrauen kündet.

Leichtfüßig und vorwärtseilend eröffnet das Scherzo im rhythmischen Streicherduktus, ähnlich dem Beginn des 2. Satzes, über dem die Holzbläser eine tänzerische Melodie beginnen. Da blitzt immer wieder alpenländische Unbeschwertheit auf, ohne sich jedoch vollends durchzusetzen. Wie Soddy gelöst, lebensfroh und frei die Tanzformen kommen lässt, macht Freude. Ländler und Walzer im Wechsel, detailliert und agogisch bestens abgestimmt, die Abschnitte sind ohne Spannungseinbußen. Keck der dreimalige dissonante Hornruf im Trio, der den Ländler immer wieder unterbricht. In der Wiederholung lässt das Scherzo die Spannung leider ein wenig vermissen.

Im Finalsatz, dem Kernstück der Sinfonie, einem der monumentalsten Sätze spätromantischer Sinfonik, zitiert Bruckner die Einleitung aus dem 1. Satz sowie Themen aus den Mittelsätzen, erweitert diese in kunstvoller kontrapunktischer Verarbeitung, welche am Schluss mit einer Doppelfuge in einer fulminanten Blechbläserapotheose und virtuosem Paukenwirbel kulminieren.

Trotz aller Klangmassen und Schichtungen, die es hier zu organisieren gilt, behält bei Alexander Soddy die orchestrale Struktur immer größte Transparenz und ideale Balance. Tief vertraut mit Bruckners Geisteswelt, behält er jederzeit absolute Kontrolle über den Riesenapparat und schafft es, dass bei aller Grandiosität die Musik durchhörbar bleibt. In nicht nachlassendem dramatischen Steigerungswillen endet mit einem atemberaubenden Orchestersound das „Kontrapunktische Meisterwerk“.

Pures Brucknerglück - und dem Himmel ein Stückchen näher.

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