Lübeck, Theater Lübeck, THE TURN OF THE SCREW - Benjamin Britten, IOCO Kritik, 16.03.2022
THE TURN OF THE SCREW - Benjamin Britten
Bleibendes Rätsel - Geistergeschichte oder psychologische Abhandlung ?
von Wolfgang Schmitt
Nach der spannend inszenierten Benjamin-Britten-Oper Owen Wingrave zu Beginn dieser Spielzeit 2021-22 ist dem Lübecker Opernhaus mit The Turn of the Screw, ebenfalls von Benjamin Britten, wiederum von Stephen Lawless inszeniert – ein weiterer großer Coup gelungen.
Komponiert hat Britten diese Oper wiederum – wie bereits Owen Wingrave - nach einer Novelle von Henry James, uraufgeführt wurde The Turn of the Screw am 14. September 1954 im Teatro La Fenice in Venedig. Diese zweiaktige Kammeroper mit einem Prolog wurde in früheren Zeiten oft in deutscher Sprache unter dem Titel Die Besessenen oder Die sündigen Engel aufgeführt. Mit der deutschen Übersetzung „Die Drehung der Schraube“ konnte der normale Opernbesucher wohl nicht so viel anfangen – eine sich drehende Schraube, die sich möglicherweise bis hin zum Kern eines Geheimnisses hinein und hindurch bohrt.
Die Deutung der Handlung ist auch in Henry James' Romanvorlage nicht vorgegeben, und so kann dieses Werk entweder als reine Geistergeschichte voller Spuk und Geheimnisse, oder eben als eine psychologische Abhandlung interpretiert werden.
In Stephen Lawless' sensibler und spannungsvoller Interpretation der Handlung – in der beeindruckenden Ausstattung von Frank Phillip Schlößmann und der ausgefeilten Lichtregie von Falk Hampel - wird die Gouvernante in ein Sanatorium eingeliefert, ein Arzt behandelt sie, er findet und liest ihr Tagebuch, woraus sich nun das Bühnengeschehen entwickelt.
Die Gouvernante hat den Auftrag, auf dem Landsitz Bly zwei verwaiste, minderjährige Kinder, Flora und Miles, zu erziehen und zu unterrichten. Beide Kinder zeigen Verhaltensauffälligkeiten. Die Gouvernante ist besorgt, erfährt von der Haushälterin Mrs. Grose von den früheren Bediensteten, der Erzieherin Miss Jessel und dem Hausdiener Peter Quint, unter deren Einfluß die Kinder noch immer zu stehen scheinen. Pointiert und auf bezwingende Weise arbeitet Lawless Floras Aggressivitäten und Miles' Erregungszustände heraus, die alle auf einen Mißbrauch durch die früheren Angestellten hindeuten. Die Gouvernante entwickelt eigene Obsessionen und glaubt, Peter Quint am Fenster oder im Garten zu sehen. Wird auch sie ein Opfer Peter Quints wie einst Miss Jessel? Auffällig, wie sehr die Gouvernante und Miss Jessel sich ähneln – die gleiche Figur, die gleiche Frisur, das gleiche blaue Kostüm.
Als Gouvernante brillierte Evmorfia Metaxaki mit ihrer hochintensiven dramatischen Darstellung und ihrem in allen Lagen perfekt geführten Sopran, anrührend und beschützend in ihrer Interaktion mit den beiden Kindern, herzlich gegenüber Mrs. Grose, verstört und scheu gegenüber dem Arzt im Sanatorium - so kostet sie sämtliche Facetten ihrer Partie aus, ihre aufkommenden Ängste, ihre Wahnvorstellungen, ihre unterdrückten Begehrlichkeiten.
Wioletta Hebrowska als Haushälterin Mrs. Grose, die die Vorgänge auf dem Landsitz Bly gern ausblendet, ließ ihren ausdrucksvollen, klangschönen, farbenreichen Mezzosopran strömen. Wolfgang Schwaninger war als Arzt im Prolog und ganz besonders als verführerischer, diabolischer Peter Quint in seinen Szenen ungemein fesselnd, hier konnte er mit seinem fast schon ins heldische gehenden Tenor sowohl einschmeichelnde, aber auch geradezu magisch-mystische Klänge erzeugen. Sabina Martin in der Partie der Miss Jessel skizzierte mit ihrem klangvollem dramatischen Sopran eindrucksvoll ihre Besessenheit und Abhängigkeit von Peter Quint.
Mit leuchtendem lyrischen Sopran gestaltete Nataliya Bogdanova die junge Flora, stellte ihre Partie aggressiv und starrköpfig dar, während Miles sich selbstbewußt, wissend und überlegen gab. Jakob Geppert, ein Knabensopran der Chorakademie Dortmund, hat schon Erfahrungen in dieser Partie mitgebracht, denn er hatte Miles bereits in einer Inszenierung in Hannover gesungen. Es ist erstaunlich, wie groß und kräftig dieser Knabensopran klingt, stimmlich war es ihm ein leichtes, mit seinen Bühnenkollegen mitzuhalten, auch darstellerisch war er herausragend und bot hier eine Glanzleistung.
Unter dem analytisch klaren, umsichtigen Dirigat von Takashiro Nagasaki spielte das aus dreizehn Musikern bestehende Kammerorchester diese komplexe Partitur hochkonzentriert und detailreich, von beklemmender Intensität, dynamisch und voll von schillernden Klangfarben. Die insgesamt sechzehn Szenen sind durch kurze Instrumentalspiele verbunden, kammermusikalisch in schönster Qualität umgesetzt.
Das Publikum der leider nicht ausverkauften Premiere dankte dem gesamten Produktionsteam, sowie den hingebungsvoll agierenden Solisten für ihre herausragenden sängerischen und schauspielerischen Leistungen mit lang anhaltendem Applaus. Ovationen gab es für Jakob Geppert als Miles
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