Lübeck, Theater Lübeck, SALOME - Richard Strauss, IOCO Kritik, 09.12.2022
SALOME - Richard Strauss
- eine dekadent gestörte Familie; man verachtet, verletzt sich -
von Wolfgang Schmitt
Die Atmosphäre der Inszenierung Salome am Theater Lübeck ist unterkühlt; das Bühnenbild – von Christian Tabakoff konzipiert, der auch die Kostüme entwarf – führt uns in eine kalkweiße Hotelküche mit gekachelter Wand und einem langen Tresen, eine Schwingtür mit rundem Fenster führt in einen dahinter liegenden wenig eleganten Gesellschaftsraum. Dort wird groß gefeiert, die fünf Juden sind Gäste von Herodes und Herodias. Salome sucht Ruhe in der Hotelküche beim Personal. Die beiden Soldaten fungieren hier als Kellner, Hauptmann Narraboth soll wohl der Oberkellner sein, auch der Page und der Sklave sind hier als Kellner gekleidet.
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Salomes Schatten wird an die Wand projiziert, dieser Schatten geht über in den riesigen Schatten Jochanaans, der hier nicht in einer Zisterne gefangen gehalten wird, sondern hinter dem Tresen hervorkommt, bekleidet mit einem dunklen Abendanzug.
Regisseurin Christiane Kutz präsentiert uns in ihrer spannenden Salome - Inszenierung eine dekadente, nicht mehr funktionierende Familie, in der sich die Partner nichts mehr zu sagen haben, sich offenbar nur noch verachten und sich gegenseitig verletzen. Eine Familie, in der Salome sich aufgrund mangelnder Zuwendung nicht zurecht findet. Sie ist von Jochanaan fasziniert und projiziert ihre geheimsten Wünsche und Sehnsüchte auf ihn. Jochanaan seinerseits ist hier auch nur ein Mann, der ihre Berührungen zuläßt, um Salome anschließend zu verfluchen, weil sie in ihm etwas ausgelöst hat, das er nie zulassen wollte.
Salomes "Tanz der sieben Schleier" findet unter Einbeziehung des Herodes statt, zusammen führen sie auf dem großen ovalen Eßzimmertisch einen erotischen Tanz auf, an dessen Ende sich die Gäste lustvoll begehrlich auf Salome stürzen.
Evmorfia Metaxaki gab in dieser Neuinszenierung ihr Debüt als Salome und zeichnete ein phänomenales, bedrückendes Rollenportrait. Es ist ein wahrer Glücksfall für das Theater Lübeck, solch eine wunderbare Sängerin im Ensemble zu haben. Sie stellte die Salome als selbstbewußte und dennoch verunsicherte junge Frau dar, sie entfaltete von Anfang bis zum Ende eine beeindruckende darstellerische Kraft, sang die Partie wirkungsvoll mit einer frischen, klaren, lyrisch-jugendlichen Stimme, die sie oftmals an den exponierten Stellen dramatisch auflodern ließ. Am Ende, - „...ich hab' ihn geküßt, deinen Mund“ - schlitzt sie sich die Pulsader auf, die Kellner springen herbei, wollen sie retten, doch nach Herodes' Zeile „man töte dieses Weib“ lassen sie von ihr ab.
Anton Keremidtchiev, gekleidet in einem dunklen Nadelstreifenanzug, verleiht dem Jochanaan Profil, Präsenz und Würde. Er gestaltete ihn einerseits mit mächtiger, kraftvoller Stimmgewalt, andererseits ließ er seinen angenehm klingenden Heldenbariton aber auch warm und balsamisch fließen. Er sang sogar die zwei hohen Fis in „...und die Geissel des Herrn ist in seiner Hand“, was man von einem Jochanaan höchst selten zu hören bekommt. In seiner Darstellung gab er sich stolz, erhaben und würdevoll, ließ Salomes mehr oder weniger zarte Berührungen über sich ergehen, um ihr anschließend seine Anwürfe entgegenzuhalten und sie mit seinem Fluch zu belegen.
Herodes in blauem Anzug gestaltete Wolfgang Schwaninger mit seinem geschmeidigen, ins Heldische gehenden Charaktertenor. Er lotete diese facettenreiche Partie des dekadent wirkenden, gierigen, brünstigen Stiefvaters geschickt aus, und seine überraschende Mitwirkung beim „Tanz der sieben Schleier“ auf dem Eßzimmertisch mit Salome war von der Choreographie her durchaus beeindruckend. Die recht undankbare Partie der Herodias wurde von Edna Prochnik in kniehohen schwarzen Lederstiefeln darstellerisch überzeugend gestaltet, so bei ihrem stillen Triumph, wenn Salome den Kopf des Jochanaan fordert. Stimmlich klang ihr Mezzosopran jedoch unausgeglichen, ihre Gesangslinie uneinheitlich. Yoonki Baek sang den unsäglich in Salome verliebten, bedauernswerten Narraboth mit allzu schmachtendem Tenor, während Friederike Schulten als Page ihren hellen lyrischen Mezzosopran in ihren kleinen Szenen präsentierte. Sie ist es, die am Ende Salome den Kopf des Jochanaan überbringen muß – hier nicht in einer Silberschale, sondern in einem Netz.
Das Juden-Quintett bot perfekten Zusammenklang während ihrer spannungsgeladenen Disput-Szene. Es ward mit Chorsolisten sowie Mitgliedern des Lübeckern Opernstudios besetzt, ebenso wie auch die Soldaten, Nazarener, und der Kappadozier.
Das hervorragend aufspielende Philharmonische Orchester wurde geleitet von GMD Stefan Vladar, die faszinierende und geniale, schillernd orchestrierte Komposition wurde hier mit Liebe zum Detail präsentiert, besonders die Soloflöte wie auch die Klarinetten und Hörner setzten ihre magischen Akzente. Spannungsreiche orchestrale Ausbrüche, schrille Dissonanzen der Blechbläser, sanftere Streicherpassagen, zarte Harfenklänge, hämmernde Schlagzeugrhythmen, all dieses vereinte sich für das Publikum zu einem funkelnden, begeisternden Hörgenuss.
Zum Ende gab es Ovationen für alle Mitwirkenden, insbesondere für Salome und Jochanaan
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