Lübeck, Theater Lübeck, LA FILLE DU RÉGIMENT - Donizetti, IOCO

Die Regimentstochter: Regisseur Pier Francesco Maestrini, dessen bisherige amüsante Lübecker Comic-Inszenierungen noch in guter Erinnerung sind , hat die Handlung von Donizettis 'Opéra comique' so geändert, daß es sich um das Leben zweier Gruppen in einer „postapokalyptischen Welt“ handelt ......

Lübeck, Theater Lübeck, LA FILLE DU RÉGIMENT - Donizetti, IOCO
Theater Lübeck © Olaf Malzahn

von Wolfgang Schmitt 

Wenn vor einer Vorstellung jemand von der Intendanz vor den Vorhang tritt, dann ahnt man nichts Gutes. Und so gab GMD Stefan Vladar bekannt, daß die vorgesehene Sängerin der Titelpartie Andrea Stadel nach wochenlanger intensiver und anstrengender Probenzeit nun ihre Stimme verloren hat und diese Premiere nicht singen kann.

Die gute Nachricht aber war, daß die junge Sopranistin Elvire Beekhuizen, zur Zeit Mitglied des Lübecker Opernstudios, die Partie der Marie mit studiert und sämtlichen Proben beigewohnt hatte, so daß sie in der Lage war, die Titelpartie zu übernehmen und somit diese Premiere zu retten.

Die Regimentstochter hier Szenenphoto mit Tonio und Marie - Copyright Olaf Malzahn

Und das tat sie mit vollem Einsatz. Ihre klangvolle Stimme ist zwar nicht voluminös, doch sie klingt brillant und höhensicher, mit perfekt fließenden Koloraturläufen von berückender Leichtigkeit. Darstellerisch gab sie sich burschikos in ihrer oliv-grünen Militärhose mit Stiefeln und mit Fell besetzter Lederweste, agierte überaus temperamentvoll und folgte in sämtlichen Szenen den Vorgaben der Regie bezüglich szenischer Gestaltung, rustikaler Komik und Choreographie, so daß man bei ihr – zumindest im Rahmen dieses speziellen Regiekonzeptes – von einer Idealbesetzung sprechen kann.

Denn der Regisseur Pier Francesco Maestrini, dessen bisherige amüsante Lübecker Comic-Inszenierungen von Rossinis Barbier von Sevilla und Giovanni Sollimas Dschungelbuch noch in guter Erinnerung sein dürften, hat die Handlung von Donizettis 'Opéra comique' dahingehend geändert, daß es sich bei ihm nicht um eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Napoleons französischen Truppen mit Tiroler Unabhängigkeitskämpfern handelt, sondern bei ihm geht es, nicht so ganz Ernst gemeint, um das Leben zweier Gruppen in einer „postapokalyptischen Welt“, beispielsweise nach einer nuklearen Katastrophe. Die beiden Gruppen sind einerseits die „Rebellen“, die wie Punks aussehen in ihren zerschlissenen Klamotten, rot karierten Hosen, Springerstiefeln, Lederjacken und wilden Frisuren, zu denen Marie gehört, und andererseits den „Konformisten“, die in einer „Sicherheitszone“ leben, verkörpert durch die Marquise von Berkenfield, ihrem Haushofmeister Hortensius, und die Herzogin von Crackentrop, sie alle in eleganter Aufmachung (Kostüme von Marco Nateri).

Während der schmissig dargebotenen Ouvertüre läuft quasi als Vorspann bereits ein Comic-Film, der die Vorgeschichte von Marie illustriert und sämtliche Mitwirkenden vorstellt. Einige Film-Motive bilden dann im ersten Akt den Bühnenhintergrund. Ausgestattet wurde die Bühne von Juan Guillermo Nova, mit gelben Atommüll-Fässern, einem Etagenbett, Autoreifen und anderem Trash. Eine originelle Idee war Maries erste Szene in einem kleinen Militärfahrzeug.

Die Regimentstochter - Szenenphoto mit Yoonki Baek - Copyright Olaf Malzahn

In dieser Form hatte man Donizettis Regimentstochter nicht erwartet und es war zunächst gewöhnungsbedürftig, wenn beispielsweise anfangs der Chor in Lederröcken auftritt und in Slapstick-Manier über die Bühne hampelt (Choreographie von Alessandra Panzavolta), doch im Verlaufe des Abends hatte man sich auf dieses Konzept eingelassen und hatte schließlich doch seinen Spaß insbesondere an der durch Choristen und Statisten verstärkten Gruppe der Rebellen.

Gesungen wurde im französischen Original, Dialoge wurden auf deutsch gesprochen unter Einfügung einiger derber Kraftausdrücke passend zu dieser punkigen Szenerie.

Ihren ersten Auftritt hatte Elvire Beekhuizen als Marie in einem kleinen Jeep, in dem sie auf die Bühne rollte und fröhlich den Song „Should I stay or should I go“ von der Punk-Band The Clash trällerte. Ihre erste Arie „Chacun le sait, chacun le dit“ klang zwar noch etwas verhalten, dafür gestaltete sie die beiden lyrischen Arien „Il faut partir“ im ersten, und „Pas le rang“ im zweiten Akt virtuos und äußerst gefühlvoll mit schönen Gesangsbögen und glasklaren Spitzentönen. Auch in ihren Szenen mit Tonio gab es einige packende gesangliche Momente.

Als Tonio gefiel Yoonki Baek natürlich ganz besonders in seiner Bravour-Arie „Ah mes amis – Pour mon àme“, in der er seine makellose Höhe unter Beweis stellen konnte und zur Freude des Publikums mit den neun hohen C's prunkte, die ihm dann auch rauschenden Beifall einbrachten, ebenso wie seine Romanze im zweiten Akt. Sein geschmeidiger Tenor bot an diesem Abend viel Schmelz und Glanz, aber auch eine oftmals allzu schluchzende Mittellage. Darstellerisch gab er sein Bestes, so z.B. als er aus Liebe zu Marie seinem „Konformisten“-Dasein entsagte, seinen dunkelblauen Anzug in eine schwarze Lederjacke eintauschte und mit neuer orangefarbener Punker-Frisur feierlich in die Reihen der „Rebellen“ aufgenommen wurde, oder auch in der charmanten Liebesszene mit Marie auf dem Etagenbett.

Eine amüsante Charakterstudie bot Laila Salome Fischer als überspannte Marquise von Berkenfield, mit Brille und im groß karierten Mantel, gleich zu Beginn mit ihrem herrlichen Couplet „Pour une femme de mon nom“, in dem sie ihren hell timbrierten Mezzosopran in ungeahnte Höhen trieb und sogar mit ein paar Trillern aus Ebolis Schleierlied verzierte. Gemeinsam mit ihrem ständigen Begleiter, ihrem Haushofmeister Hortensius, Steffen Kubach im hellblauen Anzug mit klangschönem Bass-Bariton singend und mit dezenter Komik agierend, gaben sie ein wunderbar bigottes, versnobtes Paar ab und sorgten für vergnügliche situationsbedingte Momente.

Die Regimentstochter -Ensemble zum Schlussapplaus - Copyright Wolfgang Radtke

Laurence Kalaidjian war der Ober-Rebell Sulpice und Maries „Ziehvater“, der durch sein intensives Spiel und mit seinen ständig abfeuernden Maschinengewehr-Salven aus der Gruppe der Punker herausragte und auch mit seinem dunklen kräftigen Bariton stets die Aufmerksamkeit auf sich zog.

Changjun Lee mit seinem klangvollen Bass war der Korporal, Imke Looft in goldgelber Abendrobe und silberner Haarpracht war die elegante, vornehme Herzogin von Crackentorp, mit deren Sohn (Lino Ackermann) Marie nunmehr standesgemäß verheiratet werden soll, denn zwischenzeitlich hatte die Marquise von Berkenfield offenbart, daß Marie ihre leibliche Tochter ist. Doch der junge Herzog ist ebenso wenig begeistert  von diesem Arrangement wie Marie, und am Ende willigt die Marquise ein und Marie bekommt ihren Tonio.

Das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck präsentierte sich unter der passionierten  Leitung des Ersten Kapellmeisters Takahiro Nagasaki wieder einmal in Bestform und spielte Donizettis temperamentvolle, ausdrucksstarke Komposition mit französischem Esprit, Leichtigkeit und Beschwingtheit. Zusätzliches Schlagzeug und das Trommeln auf den Atommüll-Fässern verstärkten manche spannende Szene. Auch der von Jan-Michael Krüger tadellos einstudierte Chor sang klangschön und ausgewogen, auch erfüllte er die von der Regie geforderten Slapstick-artigen Choreographien und die wilden Aktionen der punkigen Rebellen vortrefflich.

Man konnte beobachten, daß einige ältere Besucher in der Pause das Theater verließen, weil sie sich diese Donizetti-Oper wohl anders vorgestellt hatten und mit dem auf der Bühne gebotenen Punk-Spektakel nichts anfangen konnten. Aber gerade für ein junges Publikum könnte dieses Donizetti-Werk mit seiner fröhlichen, ausgelassenen Musik in der hier dargebotenen wilden Szenerie ein guter Einstieg ins Opern-Genre sei.