Lübeck, Theater Lübeck, DER UNTERTAN - nach Heinrich Mann, IOCO Kritik, 02.11.2021
DER UNTERTAN - nach Heinrich Mann
Aufstieg und Fall des schwächlich furchtsamen Opportunisten Diederich Heßling
von Wolfgang Schmitt
Aus Anlaß des 150. Geburtstages von Heinrich Mann, geboren am 27. März 1871, plante das Theater Lübeck eine Inszenierung seines erfolgreichen Werkes Der Untertan, welche aufgrund des Corona-Lockdowns erst in der jetzigen Spielzeit realisiert werden konnte.
Heinrich Mann, ein Sohn der Stadt Lübeck, stand zeitlebens eher im Schatten seines erfolgreicheren jüngeren Bruders Thomas, dennoch gelangen ihm zu Beginn des 20. Jahrhunderts erste beachtliche Erfolge mit gesellschaftskritischen Romanen wie Im Schlaraffenland, Die Göttinnen, Die Jagd nach Liebe, und Professor Unrat - wer kennt nicht den dessen Verfilmung durch Josef von Sternberg mit der unvergleichlichen Marlene Dietrich – sicherlich durch diesen Film sein bekanntestes und berühmtestes Werk.
Einen Sensationserfolg bescherte ihm 1918 sein Roman Der Untertan, der erste Teil einer sogenannten Kaiserreich-Trilogie, während Teil 2 Die Armen und Teil 3 Der Kopf an den Erfolg des Untertan nicht anknüpfen konnten. Weitere bedeutende, wenn auch nicht gleichermaßen erfolgreiche Werke Heinrich Manns waren u.a. Eugenie oder die Bürgerzeit, Zwischen den Rassen, sowie sein posthum erschienener Roman Empfang bei der Welt. Als Krönung seines Schaffens wird jedoch Die Jugend und Vollendung des Königs Henri IV. angesehen.
Der Rezensent erinnert sich noch gern an seine Schulzeit, als er im Theater Lübeck die Aufführung von Heinrich Manns Im Schlaraffenland sah, es muß wohl eine Inszenierung anläßlich des 100. Geburtstages Manns gewesen sein, also circa 1971.
Nun also zum 150. Geburtstag von Heinrich Mann hat die Regisseurin Mirja Biel am Theater Lübeck eine durchaus gelungene Bühnenfassung des Untertan erarbeitet und versucht, mit einer gewissen Ironie den Charakter dieses obrigkeitshörigen, unterwürfigen, kaisertreuen Bürgers Diederich Heßlings zu enthüllen. Auf der großen tiefen Bühne mit einigen wenigen Requisiten - links ein Schreibtisch, rechts ein Klavier, in der Mitte der Sockel einer Statue, ein paar Pappkulissenteile, das Brandenburger Tor für Berlin, ein Fachwerkhäuschen für Netzig, im Hintergrund einige Stuhlreihen – erzählt sie die einzelnen Stationen des Diederich Heßling nach. Heinrich Mann charakterisiert seinen „Romanhelden“ als ein eher schwächliches, verängstigtes Kind, der die Autorität des Vaters einerseits erleidet, andererseits bewundert. Diederich lernt es, mit seinen Schwächen umzugehen, demütigt Mitschüler, die noch schwächer sind als er. Nach seiner Schulzeit geht er nach Berlin zum Studium der Chemie. Dort lernt er Agnes kennen, sie ist bereit und willig, mit ihr macht er seine ersten Erfahrungen, aber eine Heirat kommt für ihn nicht infrage, weil sie ja nun nicht mehr „in Reinheit“ in die Ehe gehen kann.
Diederich tritt in die schlagende Studentenverbindung Neuteutonia ein, in dieser Männerrunde fühlt er sich sichtlich wohl, auch der Patriot in ihm wird geweckt. Hier wird er mutig, erlangt zunehmend Selbstbewußtsein, ist stolz auf die ersten Schmisse auf der Wange. Er beendet sein Chemiestudium und tritt in die Armee ein, lernt dort Disziplin und Gehorsam. Er ist begeistert von dem militärischen Drill, aber nur solange er diesen nicht am eigenen Leibe zu spüren bekommt. Durch eine Trickserei wird er ausgemustert und kehrt in seine Heimatstadt Netzig zurück, um die Papierfabrik seines gerade verstorbenen Vaters zu übernehmen und weiterzuführen. Als neuer Direktor regiert mit eiserner Hand, gibt sich autoritär, auch gegenüber seiner Mutter und seinen Schwestern. Einen Konkurrenten schlägt er aus dem Rennen, indem er ihm Majestätsbeleidigung vorwirft und dieser angeklagt und verurteilt wird. Sein Renommée in Netzig steigt, er ist ein angesehener Bürger, heiratet die vermögende Guste Daimchen, die ihm drei Kinder gebärt. Diederich ist Mitglied der Kaiserpartei seiner Stadt, bekommt einige Orden verliehen, bei der Wahl des Reichstagsabgeordneten unterliegt er aber dem Werkmeister seiner Fabrik, Napoleon Fischer, einem Sozialdemokraten. Diederich setzt sich für die Errichtung eines Denkmals für Kaiser Wilhelm II. in seiner Stadt ein, doch dessen Enthüllung wird schließlich zum Reinfall, symbolträchtig für den Untergang des wilhelminischen Kaiserreichs.
Eine wahre Tour de Force bot Heiner Kock in der Rolle des Diederich Heßling, ein Schauspieler von enormer Bühnenpräsenz und ein absoluter Sympathieträger, was ja eigentlich gar nicht beabsichtigt sein sollte bei dieser darzustellenden Hauptfigur. Man kennt den Diederich Heßling aus der Wolfgang-Staudte-Verfilmung mit Werner Peters in der Hauptrolle, und diesem unangenehm wirkenden, Antipathie auslösenden Typus entsprach Heiner Kock so gar nicht. Den weichen, schwächlichen, furchtsamen jungen Diederich nimmt man ihm nicht ab, diese frühen Episoden des Stücks absolviert er ohnehin mit leichtem Augenzwinkern. Von der Szene des Trinkgelages mit seinen Neuteutonia-Kameraden an war er dann schon eher in seinem Element als an Stärke gewinnender Emporkömmling und kaisertreuer Patriot. In den späteren Episoden bot er körperlichen Einsatz, so beim Drill auf dem Kasernenhof oder Koffer schleppend auf der Hochzeitsreise mit Guste, später beim ständigen Herabsteigen in den Orchestergraben, wo seine Stammkneipe aufgebaut ist und die sichtbar werdend auf die Bühnenrückwand projiziert wird. Die Regisseurin Mirja Biel bot ihrem Hauptdarsteller sämtliche Freiheiten und Ausdrucksmöglichkeiten, durchweg leicht ironisch und dem satirischen Unterton des Werks freien Lauf lassend, so daß schon mal der Eindruck entstand, es liefe hier eine überaus gekonnte One-Man-Show ab, zumal er auch die ganzen zwei Stunden über auf der Bühne stand, in jeder Szene präsent war, mal der damaligen Zeit entsprechend angezogen, oftmals jedoch nur in Boxershorts agierend (die Kostümierung der Darsteller besorgte Hannah Petersen).
Dabei waren die übrigen Mitwirkenden nicht nur Nebendarsteller, sondern engagierte Mitstreiter in dieser spannenden, gut durchdachten Inszenierung. Vincenz Türpe war der selbstbewußt auftretende Sozialdemokrat Napoleon Fischer, Jan Byl der smarte Staatsanwalt Dr. Jadassohn, Johannes Merz als der Kandidat der Kaiserpartei Major Kunze, Henning Sembritzki als erpresserischer Regierungspräsident von Wulckow, Robert Brandt in der Rolle der Mutter Heßling, Rachel Behringer in gleich drei Rollen, zunächst als verstoßene Geliebte Agnes Göppel, dann als Ehefrau Guste Daimchen, und schließlich als Justitia. Virginia Felicitas Ferentschik und Simon Rudoff waren das Sängerpaar in einer hinzugefügten Lohengrin-Szene.
In die Handlung eingebaut wurden der Autor Heinrich Mann daselbst (Michael Fuchs) sowie der Junge (Cornelius Beyer) als Kommentatoren. In seinem Monolog gegen Ende des Stücks stellte Michael Fuchs einen Bezug zur Gegenwart her, indem er sich auf Flüchtlingsproblematik, Black Lives Matter und den Umsturz gewisser Denkmäler bezog. So soll es sich bei dem Denkmalssockel in der Mitte der Bühne, Foto oben, um die getreue Nachbildung des Denkmals in Bristol für den Sklavenhalter Edward Colston handeln, dessen Statue im Juni 2020 von Demonstranten gestürzt wurde.
Das Denkmal zu Ehren Kaiser Wilhelms II., für dessen Errichtung in seiner Stadt sich Diederich Heßling vehement einsetzt, ist hier am Ende nichts als ein armseliges Holzkreuz – so wird das „wilhelminische Zeitalter“ zu Grabe getragen. Die Folge ist die Weimarer Republik und schließlich die Zeit des Nationalsozialismus.
Am Ende gab es donnernden Applaus des Publikums für diese spannende, heitere, aber auch nachdenklich stimmende Vorstellung, und Ovationen für alle Mitwirkenden, allen voran Heiner Kock als Diederich Heßling
Der Untertanam Theater Lübeck; die weiteren Termine 13.11.; 8.12.; 21.12.2021
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