Leipzig, Gewandhaus, Das Gewandhaus - Traditionen und Gegenwart, IOCO Aktuell, 29.05.2020
Das Gewandhaus - Traditionen und GegenwartGeschlossen vom 18. 05. - 11.09.2020
von Thomas Thielemann
Das Gewandhaus Leipzig ist vom 18. Mai bis 11. September 2020 zur Erneuerung des Konzertpodiums und der Bühnenbeleuchtung im Großen Saal geschlossen; Details am Ende. Die Schließung ist Anregung, einige Aspekte der früheren Spielstätten des großen Leipziger Traditionsorchesters zu betrachten.
Die 16 musik-beflissenen Leipziger Kaufleute, die 1743 den Konzertverein Großes Concert gründeten, warben zunächst 16 Musiker für ihre Veranstaltungen im Gasthaus Drey Schwanen am Brühl an. Wegen des großen Zuspruchs ließ die Stadt 1780-1781 in der zweiten Etage des im 1498 in der Altstadt erbauten Zeughauses einen Konzertsaal für zunächst 500 Zuhörer einbauen. Wegen der Nutzung des ersten Stockwerks als Messehaus der Tuch- und Wollwarenhändler war das Gebäude im Sprachgebrauch als Gewandhaus benannt worden. In der ehemaligen größeren Tuchhalle erbauten „Schuhschachtel“ befand sich an der Schmalseite ein 63 Quadratmeter großes Podium. Längs zum Podium waren die gegenüberliegenden Sitzreihen und quer an der Rückwand die Galerie mit den Stehplätzen angeordnet. Die nahezu ausschließliche Verwendung von Holz und die Konstruktion auf Holzstützen ließen einen Resonanzraum von lediglich 1800 m³-Raumvolumen mit einer ausgezeichneten Akustik mit recht kurzem Nachhall, man schätzt 1,2 Sekunden, entstehen, „so dass man die zartesten Töne der Musiker in der weitersten Entfernung des Saales vernehmen konnte“.</p
Nach einer Erweiterung 1842 konnte der Saal 1.000 Zuhörer aufnehmen. Mit einem qualifizierterem und auf 33 Musiker vergrößerten Orchester wurden in diesem Raum zahlreiche Werke, die heute zum Standartrepertoire gehören, unter anderem auch vom Gewandhauskapellmeister Felix Mendelssohn Bartholdy uraufgeführt.
Der Nachlass des unverheiratet verstorbenen Kaufmanns und Leipziger Originals Franz Dominic Grassi (1801-1880) machte 1882 den Neubau des zweiten Gewandhauses am Rande der Innenstadt, dem späteren Musikerviertel, mit einem großen Saal für 1700 Plätzen möglich, das am 11. Dezember 1884 eröffnet wurde. Trotz des erheblich größeren Raumvolumens von 10.600 m³ wurden die Proportionen des langgestreckten Rechtecks mit abgerundeten Ecken übernommen. Auch wurde der Raum mit einer Konzert-Orgel der Firma Walcker ergänzt. Trotzdem blieb die Nachhallzeit mit durchschnittlich 1,6 Sekunden begrenzt. Der im Neubau zusätzlich untergebrachte Kammermusiksaal für 500 Besucher war dann sogar ein nahezu exakter Nachbau des Saales aus dem Jahre 1781 mit vergleichbarer Klangentfaltung.
Bei Luftangriffen im Dezember 1943 und im Februar 1944 wurde das zweite Gewandhaus schwer beschädigt. Bautechnisch gesichert und mit einem Notdach versehen, war zunächst ein Wiederaufbau vorgesehen.
Als Interim-Spielstätte der Gewandhauskonzerte diente von 1946 bis 1981 die im Jahre 1900 als Gesellschaftshaus des Leipziger Zoos eingeweihte Kongreßhalle, nach dem dort extra eine Jehmlich-Orgel eingebaut worden war. Obwohl die Akustik des Raumes etwas staubig, die Klangentfaltung recht distanziert war und die Geräusche der Straßenbahn die Veranstaltungen auflockerte, verdanke ich den Konzerten mit Franz Konwitschny und Yehudi Menuhin sowie David Oistrach meine frühen intensiven Musikerlebnisse.
Bei der Konzeption des Gewandhausneubaus gab es zunächst unterschiedliche Auffassungen. Während die Akustiker in Anlehnung an das zweite Gewandhaus einen „Schuhkarton“ anstrebten, wünschte Kurt Masur eine weitgehende Anlehnung an den Weinberg der Berliner Philharmonie, die in den 1970er Jahren noch als akustisch unausgereift galt. Als Kompromiss wurde dann die vom Amphitheater abgeleitete terrassenartige Form mit den hinter den Orchester-Emporen schräg angeordneten Wänden, die mit variablen Schallreflektoren (Foto oben) bestückt wurden, ausgeführt. Das Raumvolumen für die 1900 Sitzplätze ist mit 21.000 m³ bemessen.
Um die Akustik-Bedingungen des Raumes mit Publikum zu optimieren, war der Saal mehrfach mit NVA-Soldaten besetzt worden, die sich stundenlang das rosa-rote-Rauschen anhören durften.
Im Ergebnis ist aber ein Saal entstanden, der leicht trocken, aber über Nachhallzeiten, die wenig von den Frequenzen zwischen 1,9 und 2,0 Sekunden abhängig sind, verfügt. Dabei ist der Saal für Musik eines breiten Stilspektrums geeignet.
Im Zusammenhang mit den Neubau-Maßnahmen 2019 und 2020 werden akustisch vor allem Optimierungen vorgenommen, dass die Musiker beim Konzert sich gegenseitig besser hören können. Ansonsten werden vor allem die inzwischen veralteten, seit der Hauseröffnung in Betrieb befindlichen, Hubbühnen im hinteren Podest Bereich erneuert, der vordere Teil der Bühne neu mit Hubpodien ausgestattet und mit zwölfzusätzlichen „Ausgleichspodien“ ergänzt. Damit lässt sich das Konzertpodium bei Bedarf um 15 m² vergrößern.
Außerdem wird die seit vierzig Jahren genutzte, mit Halogenstrahlern ausgestattete, Beleuchtungsanlage durch eine Ausrüstung mit dimmbaren LED-Leuchtmitteln ersetzt und damit auch das für die Besucher störende Streulicht ausgeschlossen.
Das Haus legt auf die Aussage wert, dass die Maßnahmen ausschließlich der Verbesserung des Konzertbetriebes dienen und nicht an Erfordernissen von Mieter-Veranstaltungen orientiert sind.
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