Laubach, Schloss Laubach, A Winter´s Tale - literarisches Adventskonzert, IOCO, 14.12.2022
A Winter’s Tale - ein literarisches Adventskonzert
Spannung und Empathie begleiten ein verzauberndes Adventskonzert
von Ingrid Freiberg
Arrangiert vom Verein Opera meets nature e.V., Karl Georg Graf zu Solms-Laubach und Gräfin Celina sowie der IWG-Unternehmensgruppe findet in der Event-Scheune von Schloss Laubach ein literarisches Adventskonzert mit Lidia Baich (Violine), Alexandra Goloubitskaia (Klavier), dem berühmten Schauspieler Sebastian Koch und dem weltbekannten Tenor Andreas Schager statt. Die Erwartungshaltung ist dementsprechend hoch. Schon vor dem Konzert kommt es zu einem lebhaften Austausch zwischen den Besucherinnen und Besuchern und zu Spekulationen hinsichtlich des Programms, das gedruckt nicht vorliegt, was die Spannung noch erhöht.
Bald ist der 20.000 Baum gepflanzt
Dr. Uwe Natter, Vorstand bei IWG Holding AG, begrüßt die Anwesenden und erinnert an das sehr erfolgreiche Sommerkonzert, das das Einbringen von 10.000 Setzlingen – Esskastanien, Eichen, Bergahorn, Rotbuche und Vogelkirsche – auf einem brachliegenden Areal bei Kloster Arnsburg in Lich, das Karl Georg Graf zu Solms-Laubach zur Verfügung stellte, ermöglichte. Gepflanzt wurden sogenannte Heisterpflanzen. Sie sind mindestens 1,20 Meter groß. Wildverbiss ist damit ausgeschlossen, zusätzliche Bewässerung nicht erforderlich. Schon vor einem Jahr wurden 3.750 Bäumchen in die Erde gebracht. Mit dem Erlös des heutigen Benefizkonzertes werden im 1. Halbjahr 2023 weitere 5.000 Bäume gepflanzt. Ausdrücklich betont Dr. Natter, dass das von Opera meets nature verfolgte Ziel, den hiesigen Klimaschutz voranzubringen, ausschließlich durch private Initiativen getragen wird, und nicht, wie z. B. beim Schutz der Regenwälder, mit EU-Unterstützung. Umso mehr freut er sich, dass so viele gekommen sind, und wünscht allen einen vergnüglichen Abend, eine besinnliche Adventszeit und frohe Festtage.
Wichteln mit Weltstars
Nach dem ersten Applaus denke ich spontan an den ursprünglichen, noch heute praktizierten Brauch des Wichtelns, einem Beschenkten heimlich etwas zuzustecken, um ihm eine Freude zu machen, was allen Mitwirkenden im Laufe des Abends auch glänzend gelingt. Sebastian Koch eröffnet den Abend mit Alles ist gut, vor allem für die, die da wissen, dass alles gut ist, ist alles gut…, und ich schnüre gedanklich schon die mitgebrachten Wichtelpakete.
Lidia Baich, gewann mit acht Jahren ihren ersten internationalen Wettbewerb, dem zahlreiche weitere erste Preise folgten. Ihre außergewöhnliche musikalische Leistung brachte ihr als Sechzehnjährige den Sieg beim Eurovision Young Musicians 1998 und die Auszeichnung Europäischer Musiker des Jahres, welche ihr von Yehudi Menuhin persönlich überreicht wurde. Ihr erstes Geschenk, gespielt auf ihrer klangschönen Violine von Jean Baptiste Vuillaume aus dem Jahr 1860, ist die Violinsonate Nr 4. D-Dur von Georg Friedrich Händel. Ein weiteres liebevoll geschnürtes Päckchen ist Der Winter von Antonio Vivaldi. Ein Stück, dessen Harmonie geradezu eingefroren wirkt, bevor sie sich plötzlich in Bewegung setzt. Mit Sheherazade op. 35 von Nikolaj Rimskij Korsakow bringt Lidia Baich dem Publikum das Weihnachtsereignis geografisch näher. Die farbenfrohe Komposition kommt ihrer russischen Seele sehr entgegen. „Es spielt die Geige in ihr, als wäre sie für Momente ganz tief verbunden mit einer anderen Ebene, als käme sie von einem anderen Stern..."
Andreas Schager, in der Welt der musikalischen Helden zu Hause, singt weltweit mit herausragendem Erfolg an den großen Häusern und Festivals wie der Staatsoper Unter den Linden, zu deren Ensemble er seit 2015 zählt, der Deutschen Oper Berlin, dem Teatro alla Scala di Milano, dem Teatro dell’Opera di Roma, an den Staatsopern von Wien, München, Dresden und Hamburg, dem Mariinsky-Theater St. Petersburg, bei den BBC Proms, den Bayreuther Festspielen sowie an den Opern von Frankfurt und Leipzig. Er ist derzeit der weltweit angesagteste Siegfried.
Eine erste kleine Aufmerksamkeit, die er mitbringt, ist Ombra mai fu von Georg Friedrich Händel. Ganz bewusst verwende ich „kleine“, da der Heldentenor an diesem Abend auf alles Heldische verzichtet und seinen Tenor anrührend fließen lässt. Mit bewegendem Tiefgang interpretiert Schager eine Arie aus den Jahreszeiten von Joseph Haydn., sein Agnus Dei von Samuel Barber ist zum Dahinschmelzen, spätestens danach kommt adventliche Stimmung auf. The Christmas Song wurde von zahlreichen Künstlern aus den unterschiedlichsten Genres gecovert, berühmt ist die Aufnahme mit Nat King Cole, schade, dass Schagers Interpretation nicht aufgenommen wurde. Was wäre ein Adventskonzert ohne I’m Dreaming of a White Christmas von Irving Berlin und Have Yourself a Merry Little Christmas von den Filmkomponisten Hugh Martin und Ralph Blane? Und was wäre ein Konzert für Opera meets nature ohne Andreas Schager?
Das Lied Macht hoch die Tür, die Tor macht weit… fand sich erstmals 1704 im Freylinghausen’schen Gesangbuch und gehört zu den beliebtesten deutschen Weihnachtsliedern. In der hölzernen Architektur der Event-Scheune des Schlosses rührt es besonders an. Tochter Zion, freue dich… ist ein im deutschsprachigen Raum als Adventslied bekanntes Werk. Es basiert auf von Friedrich Heinrich Ranke umgetexteten Chorsätzen aus Georg Friedrich Händels Oratorien Joshua und Judas Maccabäus. Dem festlichen Melodienstrauß fügt Schager Wie schön leuchtet der Morgenstern, ein Choral von Philipp Nicolai aus dem Jahre 1597, hinzu. Vom Ursprung her ist Maria durch ein Dornwald ging kein Advents-, sondern ein Wallfahrtslied, das sich zunächst mündlich im 19. Jahrhundert vom Eichsfeld ausgehend verbreitete. Dagegen sind Kyrie eleison, Nun singet und seid froh…, Es ist ein Ros entsprungen… und Fröhliche Weihnacht überall… gern gehörte klassische Weihnachtslieder. Hier bewundere ich einmal mehr die warme, biegsame Stimme, die ungebrochene lyrische Intensität „unseres“ Heldentenors.
Ohne die einfühlsame Begleitung von Alexandra Goloubitskaia wären die Wichtelpäckchen leer. Die Pianistin, deren musikalisches Talent schon früh entdeckt und gefördert wurde, erhielt 2006 den Bösendorfer Preis als beste Begleiterin beim Hans Gabor Belvedere Wettbewerb in Wien. Es folgten Engagements an der Wiener Staatsoper und am Theater an der Wien, bei den Bayreuther Festspielen, Salzburger Festspielen, in Grafenegg und an der Komischen Oper Berlin. 2017 wurde sie als Professorin an die Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien berufen. Im Juni–Juli 2021 übernahm Goloubitskaia coronabedingt die Rolle des Orchesters des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden bei den Galavorstellungen des Ring des Nibelungen. Unfassbar, Wagner ohne Orchester, nur mit Klavierbegleitung, eine grandiose Leistung. Ein Geschenk, sie in diesem Konzert nicht nur als Begleiterin, sondern auch solistisch mit Nocturnes Op. 9 von Frédéric Chopin zu hören. Mühelos, mit mitreißender Agilität und viriler Präsenz, findet sie zu ihrem suggestiven Spiel, eine große Ausnahme-Pianistin.
Baich, Goloubitskaia und Schager stimmen einfühlend Panis angelicus… von César Franck an und entlassen die ergriffene Zuhörerschaft in die Pause. Dort wird fürstlich für ihr leibliches Wohl gesorgt. Herz, was begehrst du mehr?
Um bei meinem Gedanken des Wichtelns zu bleiben, Sebastian Koch bringt das umfangreichste Überraschungspaket mit. Der Oscar-Preisträger Koch ist ein Sprachkünstler von hohem Rang, wenn er Texte zum Leben erweckt. „Als Schauspieler habe ich eine Erfahrung gemacht: Du hast eine tolle Power und die ist: Nein zu sagen“, sagt Koch. „Das kann einem extrem viel Freiraum schaffen. Und damit ist es ja auch nicht vorbei. Denn, wenn ich zu etwas Nein sage, sage ich zu etwas anderem Ja. Ich versuche, sehr bei mir zu bleiben, im Moment und ehrlich mit mir zu sein. Mittlerweile trete ich auch bei Lesungen mit Musik auf. Und das macht mir irre Spaß.“ Dieser Spaß ist ihm anzumerken: Er entführt mit Heiterem und Besinnlichem in seine ganz persönliche Weihnachtswelt. Da trifft die schwäbische Fassung von Gerhard Polts Schönstem Weihnachtserlebnis auf Rainer Maria Rilkes ergreifende Texte. Geschichten und Gedichte von Axel Hacke, Witold Marian Gombrowicz, Annette von Droste-Hülshoff, Hans-Dieter Hüsch, Umberto Eco, Erich Kästner, Hafis, Wolf Biermann, Joseph von Eichendorff und Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas entfalten einen Weihnachtszauber der ganz besonderen Art.
Der festliche Abend klingt aus mit Stille Nacht, heilige Nacht…, vielstimmig von allen Anwesenden gesungen. Die Tage bis Weihnachten sind nunmehr gezählt.
Die Akteure waren so einzigartig, so berührend, dass der Applaus zunächst nur sehr zögerlich ausfällt, dann aber umso stärker aufbraust. Konzerte auf Schloss Laubach sind Kostbarkeiten, die mithelfen, dass Kunst und Natur überleben können. Ein tiefer Dank gilt auch den Spendern und Sponsoren!
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