Kleopatra - Oper von August Enna, IOCO CD-Rezension, 09.03.2021
Kleopatra - von August Enna - ein dänisches Opern-Juwel
Danish National Opera Chorus - Odense Symphony Orchestra
PRESTO CLASSICAL CD - Dacapo 8.226708-09
von Julian Führer
Dänische Opern? Es stimmt schon, man spricht von der italienischen Oper, vom ‚deutschen Fach‘, von der tschechischen und russischen Opernliteratur, aber was den skandinavischen Nachbarn im Norden angeht, denkt man bei klassischer Musik vielleicht noch am ehesten an Carl Nielsen, der aber nur wenig als Opernkomponist in Erscheinung getreten ist. Allerdings ist da noch da Nielsens Zeitgenosse August Enna (1859-1939). Der Sohn eines italienischstämmigen Schuhmachers hatte schon 1880 als gerade Zwanzigjähriger seine ersten Dirigate absolviert und 1884 seine erste Oper Agleia geschrieben. In Bibliotheken studierte er die Partituren von Richard Wagner und Léo Delibes. Niels Gade, damals der Doyen der dänischen Musik, wurde auf ihn aufmerksam und verschaffte ihm ein Stipendium zum Studium in Leipzig. Enna konnte 1894 mit Kleopatra einen Erfolg feiern, der ihn überregional bekannt machte. Weitere Opern und Operetten folgten, unter anderem Aucassin og Nicolette nach einer französischen Liebesgeschichte des 13. Jahrhunderts, Die Nachtigall und Die Prinzessin auf der Erbse nach Andersen und Komedianter nach Victor Hugos L’homme qui rit, ein Stück also nach dem Stoff, zu dem Giuseppe Verdi seinen Rigoletto komponierte. Kleopatra liegt nun in einer neuen CD aus Odense vor, der ersten Einspielung überhaupt, und zwar als erstes Stück einer neuen Reihe „Den Danske Serie“, die vergessene Stücke dänischer Komponisten in neuen Aufnahmen zugänglich machen will.
Joachim Gustafsson stellt or Kleopatra, Den Jyske Opera / Danish National Opera youtube Trailer Den Jyske Opera Aarhus [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Die Uraufführung der 1893 fertiggestellten Kleopatra verzögerte sich aufgrund von Urheberrechtsstreitigkeiten mit dem Verlag und dem Librettisten Einar Christiansen. Die Premiere in Kopenhagen stieß bei der Presse auf ein geteiltes Echo; das Orchester, so hieß es, sei zu üppig instrumentiert und decke die Solisten zu. Für die Titelrolle war die erprobte Brünnhilde Ellen Gulbranson vorgesehen gewesen, doch wurde die Premiere von einer nicht ganz so durchschlagenden Kollegin gesungen; auch andere Rollen konnten nicht ganz zufriedenstellend besetzt werden. Für die Wiederaufnahme 1895 brachte Enna Korrekturen an der Orchestrierung an, und nun sang auch Ellen Gulbranson. Der Erfolg war groß, das Stück wurde etliche Male gespielt, unter anderem auch in Berlin, Köln, Riga und Zürich. Dennoch wurde August Enna sein spätromantischer Kompositionsstil letztlich zum Verhängnis; schon bei seinem Tod waren seine Werke so gut wie vergessen. In Kopenhagen sollte es bis 2019 dauern, bis die Kleopatra wieder gegeben wurde.
Die vom Volk gehasste Kleopatra herrrscht über Ägypten .... Elsebeth Dreisig ist Kleopatra
Die Oper besteht aus einem Prolog und drei Akten. Der Prolog beginnt mit einem kurzen Orchestervorspiel von anderthalb Minuten. Kleopatra herrscht über Ägypten, wird aber vom Volk gehasst, weil sie romfreundlich ist und die Ausschweifung liebt. In einem unterirdischen Gemach soll der Hohepriester Sepa den Harmaki weihen, der als Attentäter auf die Königin ausersehen ist. Harmaki ist Nachkomme der Pharaonen, die Hohepriester ermutigen ihn, und er schwört bei Isis, dass er zur Rache bereit sei. Sepas Tochter Charmion soll ihn im Palast einschleusen, zu dem sie als Kleopatras Vertraute Zutritt hat.
Ein Vorhang in dem unterirdischen Gemach wird aufgezogen, und auf der Bühne sieht man nun (jedenfalls im Prinzip) viele Menschen inmitten einer Masse ägyptischen Inventars. Zunächst zurückhaltend gibt der Chor seiner Hoffnung Ausdruck, dass, wie Sepa es verkündet, der Tag nun gekommen sei, an dem Ägypten nun wieder vom Dunkel ins Licht geführt werde. Lars Møller verleiht dem Sepa eine kernige Baritonstimme mit einer gewissen Brüchigkeit, die möglicherweise absichtlich in die Stimme gelegt ist, denn Sepa ist im Stück schon alt und nicht mehr in der Lage, selbst zur Tat zu schreiten. Mit Bläserakkorden und zahlreichem Einsatz des Schlagwerks wird der geplante Mord an Kleopatra als Befreiung von Tyrannei und Fremdherrschaft in Musik gesetzt; die Szene erinnert in unterschiedlicher Weise an Wagners Rienzi, Verdis Aida (als Enna dieses Stück schrieb, eine auch in Kopenhagen gerade erfolgreiche Oper) und Puccinis gleichwohl spätere Turandot. Nach der Feststellung der Eignung des Harmaki durch Sepa und den ägyptischen Fürsten Schafra wird er vor großem Publikum durch Sepa auf den Thron gesetzt und mit der ägyptischen Doppelkrone gekrönt, der kniende Chor huldigt dem künftigen Mörder der Kleopatra.
Nach knapp 20 Minuten wird der erste Akt mit einer kurzen Ouvertüre eingeleitet; wir befinden uns im Garten vor Kleopatras Palast. Die üppige Szenerie wird mit reichlich Harfenbegleitung beschrieben. Wir sehen und hören Charmion, die in zunächst elegischer und dann zunehmend erregter Stimmung (die in Intonation und Instrumentierung dem zweiten und dritten Aufzug von Wagners Walküre angelehnt scheint) auf eine Änderung der herrschenden Zustände hofft. Kleopatra hat geträumt und Charmion als ihre Vertraute geschickt, um einen fähigen Traumdeuter zu holen. Den Traum soll Harmaki deuten, den Charmion gleich als künftigen Herrscher begrüßt („Hil dig, vor farao!“ – feierlicher Bläserakkord), als er von Sepa hereingeführt wird. Sie sieht ihn und verliebt sich auf der Stelle in ihn („Hvor skøn du er! Og stærk og kongelig!“), während Harmaki vor allem von ihrer Entschlossenheit beeindruckt ist.
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Da hört man von hinten Kleopatra (ähnlich wie Elsas „Euch Lüften, die mein Klagen“ aus Wagners Lohengrin, allerdings mit reichlich Harfenbegleitung). Kleopatra kommt mit Gefolge, und Harmaki deutet wie befohlen ihr den Traum. Kleopatra ist beeindruckt von Harmakis Fähigkeiten, seinem Äußeren und seiner Persönlichkeit und will ihn an sich binden. Charmion ist sofort klar, dass Kleopatra ihn so vom beschworenen Vorhaben abbringen wird. Harmaki geht auf die Avancen zwar nicht ein, ist von der Königin aber durchaus beeindruckt… Er wird von der Königin mit einem Kranz aus Blumen gekrönt und zum Hohepriester ernannt, der dazu einsetzende Chor lässt zunächst süßliche Blumenmädchenstimmung aufkommen, aber wird dann immer breiter und mächtiger.
Zu Beginn des zweiten Aktes sehen und hören wir Harmaki nachts allein; zwar ist er schwer beeindruckt von Kleopatra, doch hält er an seinem Plan fest und bittet die Göttin Isis um Beistand. Charmion tritt auf und versichert ihn der Unterstützung der restlichen Verschwörer; den tödlichen Streich wider Kleopatra aber könne nur er ausführen. Am nächsten Abend sei ein Fest geplant, an dessen Ende sie es arrangieren wolle, dass Kleopatra mit Harmaki allein sei und sie sich von Harmaki die Zukunft weissagen lasse – dann müsse er nur noch den Dolch zücken. Mitten in diese Beratung platzt Kleopatra persönlich, und Charmion muss sich irgendwie verstecken; Kleopatra allerdings ist nicht entgangen, dass Harmaki den von ihr überreichten Blumenkranz abgelegt hat und dass der Schleier einer Frau (nämlich Charmions) am Boden liegt. Hingerissen von Kleopatra tritt Harmaki mit ihr auf den Balkon, sie singen im Duett, während die doch auch in ihn verliebte und nach Rache an Kleopatra dürstende Charmion bestürzt hinter dem Vorhang hervortritt… Manches in der Phrasierung der Gesangsstimmen ist den ruhigeren Passagen des zweiten Aktes von Tristan und Isolde verwandt.
Kleopatra zieht nun alle Register ihrer Verführungskunst, auch das Libretto offenbart hier Qualitäten – in jedem Satz ist ein dramaturgischer Fortschritt. Elsebeth Dreisig in der Titelrolle verfügt über einen dramatischen Sopran, den sie hier aber auch verführerisch leuchten lassen kann. Allzu lyrisch wird ihre Stimme nie, doch verfügt sie über den langen Atem, den Ennas Phrasen dieser Rolle abverlangen. Als Harmaki ihr zusichert, am Abend nach dem Fest ganz allein zu ihr zu kommen, ist ihm der Gedanke an ein Attentat – das Orchester ist sehr deutlich – mehr als fern. Als Kleopatra sich empfiehlt und Charmion, aus dem Versteck getreten, Harmaki zur Rede stellt, passt ihm das hörbar überhaupt nicht. Als Unglückliche, als Schamlose bezeichnet er die Frau, die ihm seine nicht zu übersehende Leidenschaft für die Königin vorwirft, die er doch eigentlich töten soll. Ruslana Koval ist vermutlich die Idealbesetzung für Charmion – eine Sieglindenstimme, die auch die etwas zu vernünftigen, brangänenhaften Ermahnungen mit viel Spannung artikuliert, und doch selbst über viel Charakter und Leidenschaft verfügt. Am Ende verlässt Charmion – nun garantiere sie für nichts mehr! – aufgebracht die Bühne, während Harmaki auf der Bühne zusammenbricht. Nicht nur Wagner hatte eine Vorliebe für starke Frauen auf der Bühne!
Der dritte und letzte Akt beginnt mit einer Ballettmusik, die das Fest im Palast der Kleopatra begleitet. Es ist Abend geworden, die Ausführung des Attentates steht unmittelbar bevor – wenn Harmaki es denn vermag. Charmion, von Harmakis Zurückweisung gekränkt, verrät Kleopatra, was geplant hat – da kommt Harmaki herein und hat auch die Sternkarte dabei, über die Kleopatra sich beugen soll, wenn er den Dolch zieht. Doch zunächst spielen beide das Spiel mit: Harmaki erklärt die Sterne, während er nervös an seinem Gewand herumnestelt, in welchem er den Dolch verborgen hält, während Kleopatra ihm Fragen nach den Sternen stellt, ihn dabei aber nie aus den Augen lässt. Harmaki ist von seinem Mut verlassen, Kleopatra singt ihm ein Lied zur Leier (aus dem Orchester unter anderem mit Harfe begleitet), in der sie Harmaki in glühenden Farben eine Liebesnacht ausmalt – er wiederum merkt gerade noch, dass sie ihn becirct, ist ihr gegenüber aber längst machtlos. Kleopatra: ‚Lass mich dir die wunderbare Macht der Liebe zeigen… Liebe brennt in deinen Adern, empfange Leben aus meinem Mund… Sag mir, dass du mich liebst‘ – eine der heißesten Liebesszenen seit Tristan und Isolde mit einem Paar, das so unterschiedlich raffiniert und erfahren in Liebes- und Verführungskünsten ist wie vorher allenfalls noch Kundry und Parsifal. Das Orchester glüht und wogt.
Kleopatra von August Enna hier Op. 6, Prologue: Hathor, hellige Hathor youtube Trailer NAXOS of America [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
In dem Augenblick der höchsten Leidenschaft zieht Kleopatra auf einmal Harmakis Dolch aus dessen Gewand hervor: Ihre Leidenschaft war nur vorgetäuscht, und Harmaki kann kaum den Mordplan leugnen. Im Hintergrund sieht man, wie Sepa und die anderen Verschwörer abgeführt werden. Auf ein kurzes Ensemble aller Beteiligten folgt Kleopatras von gestopften Hörnern begleitetes galliges Verdikt: Harmaki könne seinen Dolch ja behalten, während er im Verlies auf sein Urteil warte… Charmion erkennt, dass sie durch ihren Verrat ihren Geliebten und ihren Vater ins Verderben getrieben hat. Harmaki verdammt Charmion, Sepa verdammt Harmaki, der das Attentat nicht ausgeführt hat. Harmaki stößt sich den Dolch nun selbst in die Brust. Magnus Vigilius ist in dieser Tenorrolle den beiden Damen nicht gewachsen – doch das ist im Stück auch so angelegt. Stimmlich muss er die höheren Töne pressen (oder er presst mit Absicht); wahrlich kein Heldentenor, eher ein Erik oder Max, von den starken Frauen in seiner Umgebung und den Ansprüchen der Gesellschaft an ihn überfordert. Die Gefangenen werden abgeführt, und am Ende singt Charmion über Harmakis Leiche (wie bei Isoldes Liebestod von der Bassklarinette eingeleitet) die letzten Zeilen der Oper über die zerstörerische Kraft der Leidenschaft.
Diese knapp zwei Stunden Musik sind ein Dokument des Wagnerismus, doch auch die französische Spätromantik mit Anklängen an die Klangwelten von Delibes und Massenet sind hörbar. Die Wahl eines antiken, etwas schwülen Sujets entspricht der Zeitstimmung (die wenige Jahre später entstandene Salome von Richard Strauss ist der beste Beleg dafür). Die Solopartien (auch die kleinen Rollen, die Jens Bové und Kirsten Grønfeldt übernommen haben) und der Chor der Dänischen Nationaloper sind zuverlässig besetzt. Es wäre reizvoll, diese Oper auch in einer anderen Besetzung zu hören, doch ist diese Leistung unter dem Dirigenten Joachim Gustafsson aus einem Guss und in sich stimmig. Die ästhetisch sehr ansprechende Box und das gelungene Booklet runden den positiven Gesamteindruck ab. Bis 2019 war Kleopatra 124 Jahre von der Kopenhagener Bühne verschwunden und auch sonst sehr lange nicht zu hören. Es wäre wirklich schade, vor allem für uns, wenn sie erst nach weiteren 124 Jahren (das wäre im Jahr 2143), wieder zu erleben wäre.
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