Kissingen, Kissinger Sommer, Patricia Kopatchinskaja - Schönberg, Strauss, IOCO Kritik, 26.06.2022
Kissinger Sommer 2022 - Patricia Kopatchinskaja und Ensemble
Liebevolle Tragik und freudvolles Spiel - Arnold Schönberg Pierrot lunaire, Johann Strauß - Walzer
von Marcel Bub
Der Abend des 22. Juni 2022 im Kissinger Sommerfestival beginnt mit Pizzicato der Streicher und sanften Klängen des Klaviers behutsam in der Dunkelheit. Träumerisch und akzentuiert durchdringt Patricia Kopatchinskajas Stimme den Saal des Kurtheaters in Bad Kissingen. Eine virtuose, anspruchsvolle und verspielte Vorstellung beginnt, bei der sich die Künstlerinnen und Künstler gekonnt auf mehreren Ebenen der Kunst bewegen.
Arnold Schönbergs (1874-1951) Pierrot lunaire op. 21 ist ein zugleich lyrisches, tragisches und humoristisches Stück. Der groteske Charakter dieser Komposition ist dabei voller Melancholie und Satire. Das Zusammenspiel der Instrumente – Violine, Klavier, Flöte, Piccolo, Klarinette, Viola, Violoncello und Harmonium – und des Sprechgesangs, bilden eine komplexe und ausdrucksstarke Folge, bestehend aus dreimal sieben Gedichten. Als Grundlage dient dabei der symbolistische Gedichtzyklus des Journalisten und Dichters Albert Giraud.
Die für ihre Vielseitigkeit, Leidenschaft und Virtuosität bekannte Violinistin Patricia Kopatchinskaja überzeugt mit diesem Stück, welches sie 2021 bereits als Album einspielte, siehe Video unten, auf ganzer Linie. Voller Hingabe, Freude und Tragik gibt sie sich – und das Publikum – musikalisch und theatralisch ganz der Kunst preis. Gekleidet ist sie dabei in der unverkennbaren Kluft des weißen Clown Pierrot. Die anspruchsvollen Wechsel in Dynamik und Stimmung in Schönbergs Stück arbeiten die Geigerin und ihr Ensemble präzise heraus. Sich in stetig aufmerksamer – und oftmals auch humorvoll zugewandter – Kommunikation ergänzend, schaffen die Künstlerinnen und Künstler im Theatersaal eine intensiv-gespannte und gleichzeitig humorvolle Atmosphäre. Alle bewegen sich dabei auf musikalischer und theatralischer Ebene auf hohem Niveau. So spielen sich Júlia Gállego (Flöte und Piccolo), Reto Bieri (Klarinette), Meesun Hong Coleman (Violine und Viola), Patrizia Messana (Viola) und Thomas Kaufmann (Violoncello) immer wieder auf vertraute und zugewandte Weise einander zu, und werden dabei von Setareh Shafii Tabatabei (Harmonium) und Joonas Ahonen (Klavier) engagiert ergänzt.
SCHOENBERG // 'Pierrot Lunaire'mit Patricia Kopatchinskaja youtube Alpha Classics [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Die melancholisch-träumerische Stimmung Pierrot lunaires wird an diesem Abend zweimal von wahren musikalischen Wirbelstürmen unterbrochen und im Sinne einer treffsicheren Dramaturgie ergänzt. So setzten die Musikerinnen und Musiker jeweils etwa nach dem ersten und zweiten Drittel zu strahlend-klangmächtigen Interpretationen zweier Walzer von Johann Strauß (1825-1899) an. Es handelt sich dabei um den Kaiserwalzer op. 437 (bearbeitet für Salon-Ensemble von Arnold Schönberg) und den Schatzwalzer op. 418 (bearbeitet für Salon-Ensemble von Anton Webern).
Im Programmheft heißt es in Bezug auf die Walzerkompositionen von Johann Strauß Sohn, dass diese durch raffinierte Rhythmik, prägnante Melodik und abwechslungsreiche Instrumentation geprägt seien, und damit nicht nur beim Publikum, sondern auch der Fachwelt auf Begeisterung gestoßen seien. In den Jahren 1885 (Schatzwalzer) und 1889 (Kaiserwalzer) entstanden, wurden die beiden Werke Jahre später – 1918 und 1925 – von Schönberg abermals aufgegriffen, um sie kammermusikalisch zur Aufführung zu bringen. Mit diesem Strauß in den Bearbeitungen von Schönberg selbst und Anton Webern eröffnen sich neue Einblicke in die Werke, und deren komplexe Struktur kommt auch auf kammermusikalischer Ebene gelungen zur Geltung. An diesem Abend sind die beiden musikalischen Exkurse zugleich avantgardistisch informierte Aufführungspraxis auf höchstem Niveau, als auch liebevolle Persiflage. Perfekt passen sich die beiden Stücke in Schönbergs Pierrot lunaire ein und lassen dabei im Zuge der mondhellen Nacht an die strahlende Wärme der Tagessonne erinnern.
Theatralik in der Darstellung, Präzision im Spiel und faszinierende Präsenz im Sprechgesang prägen diesen weiteren Höhepunkt des Kissinger Sommers 2022. Es gelingt der Ausnahmekünstlerin Patricia Kopatchinskaja und ihrem Ensemble, elegant zwischen melancholischem Ernst, träumerischem Spiel und exzentrischer Ekstase zu wechseln. Behutsam werden die fragilen Zwischenräume genutzt, wo sich Kunst und Welt aneinander reiben.
Ein Abend voller Theater, Musik und kunstvollem Spiel endet schließlich mit begeistertem Applaus.
Mitwirkende
- Patricia Kopatchinskaja (Sprechgesang und Violine)
- Júlia Gállego (Flöte und Piccolo)
- Reto Bieri (Klarinette)
- Meesun Hong Coleman (Violine und Viola)
- Patrizia Messana (Viola
- Thomas Kaufmann (Violoncello)
- Setareh Shafii Tabatabei (Harmonium)
- Joonas Ahonen (Klavier)
Programm
- Arnold Schönberg
- »Pierrot lunaire« für Sprechstimme und Kammerensemble
- Johann Strauß
- »Kaiserwalzer«, bearbeitet für Salon-Ensemble von Arnold Schönberg
- Johann Strauß
- »Schatzwalzer«, bearbeitet für Salon-Ensemble von Anton Webern
---| IOCO Kritik Kissinger Sommer |---