Karlsruhe, Badisches Staatstheater, RUSALKA - Antonin Dvorák, IOCO Kritik,08.06.023

Karlsruhe, Badisches Staatstheater, RUSALKA - Antonin Dvorák, IOCO Kritik,08.06.023
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Badisches Staatstheater Karlsruhe

Badisches Staatstheater Karlsruhe © Uschi Reifenberg
Badisches Staatstheater Karlsruhe © Uschi Reifenberg

RUSALKA - Antonin Dvorák

- über die Sehnsucht nach einem anderen Leben -

von Uschi Reifenberg

Wie wäre es, jemand anderes zu sein? In eine neue Haut zu schlüpfen, die Identität zu wechseln, ein neues Leben in einer fremden Welt zu beginnen. Endlich seine innigsten Sehnsüchte zu verwirklichen und sich aufzumachen zu neuen Ufern.

Diese brennenden Fragen und Wünsche quälen Rusalka, die berühmte Wassernixe aus Antonin Dvoráks Märchenoper, die sich in unsterblicher Liebe zu einem Mann aus der Menschenwelt verzehrt und bereit ist, für diese die größten Opfer zu bringen.  Die traurige Geschichte von der unglücklichen Wasserfrau geistert in zahlreichen Varianten durch die Jahrhunderte und fasziniert als archetypische Figur in immer wechselndem Kontext die Menschen bis heute.

Badisches Staatstheater Karlsruhe / RUSALKA hier Dorothea Herbert als Rusalka © Felix Gruenschloss
Badisches Staatstheater Karlsruhe / RUSALKA hier Dorothea Herbert als Rusalka © Felix Gruenschloss

Seit der Antike beschäftigt der Mythos der geheimnisvollen Wasserwesen in ihrer Ambivalenz vor allem auch Künstler und Schriftsteller wie beispielsweise Homer in seiner „Odyssee“. Hier betören die unheilbringenden „Sirenen“ durch ihren Gesang die Seefahrer, um sie dann mit sich fortzunehmen und zu töten. Im Mittelalter sind es die weniger grausamen, dafür überaus verführerischen „Melusinen“, die, halb Fisch, halb Menschenfrau, den Männern ihr dämonisch- erotisches „Zauberwesen“ verheimlichen. Besondere Affinität zu den schillernden Wassergeschöpfen beweist das 19.Jahrhundert in seinen reichhaltigen literarischen und musikalischen Adaptionen des Stoffes; aber auch in der Malerei oder in der romantischen Oper tummeln sich allerlei Fabelwesen in Gestalt von Nixen, Nymphen, Undinen, Rheintöchtern oder der Loreley.

In der Erzählung Undine von Friedrich de la Motte Fouqué von 1811, die dem Librettist  Kvapil als eine seiner Vorlagen diente, wird das Aussenseitertum der Titelheldin thematisiert, ebenso das Dreiecksverhältnis der Protagonisten; auch erhält Undine durch die Macht der Liebe eine unsterbliche Seele.

Die maßgebliche Quelle aber war das bekannte Märchen von Hans Christian Andersen „Die kleine Meerjungfrau“ von 1837, in dem der symbolträchtige Topos der Unvereinbarkeit zweier Welten, und damit die Unmöglichkeit einer Liebe, die nicht sein darf, gestaltet wird.

Der mühevolle Prozess der weiblichen Individuation erfährt von Ingeborg Bachmann in ihrer Erzählung „Undine geht“ von 1961 eine neue Ausrichtung. In unserer Zeit findet der vielfältige Stoff in der populären Disney Produktion „Arielle, die Meerjungfrau“ eine unterhaltsame Fortsetzung.

Badisches Staatstheater Karlsruhe / RUSALKA hier © Felix Gruenschloss
Badisches Staatstheater Karlsruhe / RUSALKA hier © Felix Gruenschloss

Antonin Dvorák schrieb seine vorletzte Oper um 1900, die heute das meist gespielte Musiktheaterwerk in tschechischer Sprache ist. Ein Stück, in dem sich auch die drängenden Probleme der Moderne spiegeln wie z.B. die Entfremdung des Menschen von der Natur, oder die Frage nach der Rolle der Geschlechter, die in unserer Gegenwart wieder eine bestechende Aktualität erhält.

Auch die Nähe zur Psychoanalyse Freuds - die zur gleichen Zeit entstand -, spiegelt sich in dieser „modernen Märchenoper“, mit ihren allgemein-gültige Themen, dem Symbolismus, und der Hinwendung zum Unbewussten.

In der Rezeption ist der Komponist Dvorak vor allem als Sinfoniker präsent, besonders mit der Sinfonie Nr. 9Aus der neuen Welt“, seinem Cellokonzert, den beliebten „Slawischen Tänzen“, seiner umfangreichen Kammermusik, dem „Requiem“ oder dem „Stabat mater“.

Wie die meisten Opernschaffenden an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, stand Dvorák lange unter dem Einfluss Richard Wagners. Mit Rusalka, in der er wieder die  Nummernoper durchscheinen ließ, entfernte er sich endlich in seiner Kompositionsweise vom übermächtigen musikdramatischem Vorbild, ohne dieses gänzlich zu verleugnen, Er fand zu einem eigenen Stil, der tief in der tschechischen Volksmusik verwurzelt ist, Vorstudien zu Rusalka waren seine sinfonischen Dichtungen „Die Mittagshexe“ und „Der Wassermann“, deren lyrischer Tonfall und volksliedhafte Einfachheit auch in seiner Oper zu finden sind.

Die Regisseurin Katharina Thoma, Bühne und Kostüme: Verena Hemmerlein, Videodesign: Torsten Repper und Licht: Rico Gerstner, zeigen ein Stück über das Erwachsenwerden, über die Unvereinbarkeit zweier Welten, über soziale Unterschiede, und die damit verbundenen Kommunikationsprobleme.Vor allem aber steht für Katharina Thoma das generationenübergreifendes Drama im Fokus und wird in  ihrer Inszenierung zum Dreh-und Angelpunkt. Das wird evident durch eine zusätzlich eingefügte Handlung um die Hexe „Jezibaba“, die unter einer traumatischen Erfahrung leidet, die sie auf Rusalka überträgt.

Sinnbild für diese Tragödie ist ein trostloses Bushaltestellen-Häuschen mit Plexiglas-Hintergrund, überdacht, mit Mülleimer und drei engen grünen Plastiksitzen, das sich praktikabel auf der Bühne verschieben lässt und leitmotivartig eingesetzt wird.

Dieses sieht man bereits vor der Ouvertüre auf der dunklen, leeren Bühne. Ein junges Mädchen kommt herein, setzt sich in das leere Häuschen und wartet. Kurz darauf eilt ein junger Mann hinzu, sie umarmen sich, ein kurzer glücklicher Moment, der jäh beendet wird, als zwei weitere Männer plötzlich dazwischen gehen, die junge Frau hinter die Bushaltestelle zerren und brutal vergewaltigen. Der Traum ist ausgeträumt, das Mädchen vernichtet, die Konsequenzen verheerend.

Nach der Ouvertüre befinden wir uns 25 Jahre später. Auf der dunklen Bühne hat sich nun eine karge Moorlandschaft ausgebreitet mit vereinzelten Schilfbüscheln, im Hintergrund zeigt eine Videoeinspielung dunkles Wasser mit Seerosen, im Vordergrund sitzt ein gut gelaunter Fischer mit Angelroute und Equipment, der Wassermann. Die drei munteren Elfen, ausstaffiert als hippe Jugendliche, setzen sich auf eine Hollywoodschaukel, die aus der Versenkung nach oben fährt, plauschen angeregt miteinander und necken den Wassermann. Die melancholische Rusalka mit langem weißen Elfenhaar und hellem Gewand, sprengt die fröhlichen Runde, denn sie hat ganz andere Sorgen, die sie dem Wassermann anvertraut: eine Seele wünscht sie sich wie die Menschen, einen Mann liebt sie aus der anderen Welt, mit ihm möchte sie zusammensein: “Fort von euch möcht‘ ich, (…) ich möcht ein Mensch sein und im Lichte leben“. Nur die Hexe Jezibaba kann ihr dabei helfen.

Ihre Liebessehnsucht offenbart sie als Naturwesen in ihrem berühmten „Lied an den Mond“, einem Höhepunkt der Oper, das von magischer Schönheit ist; ein seelenvolles Bekenntnis einer Seelenlosen, in dem sie in transzendente Bereiche dringt und symbolisch Abschied nimmt von ihrer bisherigen Welt. Die Bühne dreht sich und ist in blaues Licht getaucht, das auf ein riesiges, leicht wogendes Tuch projiziert wird, welches sich langsam  löst und Rusalka einhüllt. Ein starkes atmosphärisch dichtes Bild, das eine ideale Einheit von Musik und Szene schafft. Im Hintergrund erscheint das Porträt des Prinzen als riesige Projektion, changierend zwischen grün, blau und silbern.

Badisches Staatstheater Karlsruhe / RUSALKA hier das Ensemble © Felix Gruenschloss
Badisches Staatstheater Karlsruhe / RUSALKA hier das Ensemble © Felix Gruenschloss

Dann verschwindet der ganze Zauber und im Hintergrund taucht wieder das Bushaltehäuschen auf, bewachsen mit Efeu, das der Hexe Jezibaba jetzt als Behausung dient. Man erkennt sie sofort wieder: sie ist das Mädchen von damals, nun in die Jahre gekommen, eine Kreuzung aus Zauberin, Knusperhexe und weltwissender Erda, die ihre existenzielle Erfahrung aus der Jugend noch immer unbewältigt mit sich herumträgt.

In einer Videoeinspielung sieht man Ausschnitte der damaligen Vergewaltigung. Rusalka bleibt davon unberührt. Sie schlägt alle Warnungen in den Wind und wird von Jezibaba in einen Menschen verwandelt. Der Preis ist hoch: sie wird stumm sein und für ewig aus der Wasserwelt verbannt, wenn der Prinz sie nicht zurückliebt.

Die Hexe schneidet ihr unter allerlei Hokuspokus die Haare ab, auch erhält sie die gleiche Kleidung wie damals Jezibaba, dann geleitet diese Rusalka in die Bushaltestelle, die wieder zum Ausgangspunkt einer erneuten Tragödie zu werden droht. Der weiß gekleidete Prinz erscheint, nimmt, geblendet von ihrer Schönheit, die Sprachlose mit sich; „Holdester Traum du, süss und mild, bist du ein Mensch, bist ein Märchen?, …",  und wenn sie nicht gestorben sind …   Aber die beiden Liebenden schlittern bekanntlich direkt in die Katastrophe.

Die Welt des Prinzen wird als geometrischer Kasten in sterilem weiss gezeigt, mit begrenzter Spielfläche und drehbaren Türen, eine stylische Welt der Upperclass, in dem sich das Scheitern der Liebesbeziehung ereignet. Die Hochzeitsgäste sind weiß gekleidete, snobistische Vertreter der Oberschicht, die Champagner schlürfen und sich selbst und das gesellschaftliche Ereignis feiern. Der einzige Farbtupfer ist die fremde Fürstin in attraktivem, blutrotem Outfit, die den Prinzen mit ihrer provokativen sexuellen Anziehungskraft verführt und die unsichere Rusalka genüsslich mobbt. Die Sprach- und Namenlose aus prekären Verhältnissen, die ein Fremdkörper in dieser seelenlosen Welt ist, findet hier keine Heimat. Unfähig zur Kommunikation und voller Angst vor der körperlichen Hingabe, verliert sie den Geliebten, der mittlerweile an ihrer Liebe zweifelt, ohne sich je mit ihm verbunden zu haben. Die Regisseurin lässt Rusalka bei der Hochzeit in schlecht sitzendem Kleid wie eine Marionette, staksend und hölzern, tanzen. Die Fürstin bindet ihr die Hände zusammen, das Opfer lässt es wehrlos geschehen.

Vernichtet flieht sie mit dem Wassermann zurück in ihre Wasserwelt, wo nur noch die Verbannung auf sie wartet und als letzte Chance auf Rückkehr der Mord am Prinzen bleibt. Die Szene zeigt eine surreale Schneelandschaft, das Schilf ist zu gezacktem Eis gefroren, die Bühne in trostloses Einheitsgrau getaucht. Rusalka legt sich, nun selbst zur Eisprinzessin geworden, an den gefrorenen Teich, dem sie ihr Leid klagt.

Katharina Thoma, Regisseurin, taucht in der nächsten Szene in die sozialen Untiefen der Wasserwelt:  Die Haltestelle erscheint wieder, in der sich die drei coolen Nixen mit dem Heger treffen, der als Dealer die Mädels mit Drogen versorgt, die nun „high“ und völlig zugedröhnt in narzisstischer Manier herumalbern und Selfies machen.

Reuevoll, versehrt an Leib und Seele, auf eine Krücke gestützt, sucht der Prinz Rusalka auf. Er erfleht von ihr den Todeskuss, sie durchbricht den Fluch, vergibt ihm und erlöst den Geliebten. Rusalka selbst geht einsam einer ungewissen Zukunft entgegen.

Badisches Staatstheater Karlsruhe / RUSALKA hier Dorothea Herbert als Rusalka © Felix Gruenschloss
Badisches Staatstheater Karlsruhe / RUSALKA hier Dorothea Herbert als Rusalka © Felix Gruenschloss

Johannes Willig am Pult der Badischen Staatskapelle entlockte dem bestens aufspielenden Orchester eine reiche Farbpalette, sorgte für spätromantische sinfonische Opulenz und volksliedliedhafte Einfachheit. Er leuchtet Dvoráks schillernde Partitur differenziert aus, zeigt Präzision und Klarheit in allen Registern. Sphärische Harfenarpeggien, zart schwebende Holzbläser und elegische Streichergrundierung entführen in die mondene Welt des Zauberwesens. Mit glanzvollen Trompetenfanfaren und konzertantem Schwung ließ Willig die Polonaise in böhmischer Manier prunkvoll aufblühen.

Dorothea Herbert, in unvorteilhaftem Outfit, gab der Rusalka weiche seelenvolle Töne, fand im „Mondlied“ zu berührender Innerlichkeit und bewegte in der Arie im 3. Akt mit Leidensfähigkeit und dramatischen Momenten. Sie verfügt über ein schönes Timbre und mühelose Höhe, gegen die Orchesterwogen konnte sich ihre Stimme in der Mittellage nicht immer durchsetzen.

Vazgen Gazaryan war ein stimmlich und darstellerisch rundum prächtiger Wassermann, mit voluminösem und tragfähigem Bass, der in seiner hilflosen Wut energisch auftrumpft. Seine „Wehe“-Rufe waren von großem Format und gingen unter die Haut, dazu glänzte er mit bester Deklamation der schwierigen tschechischen Sprache. Sein väterlich-umsorgendes Wesen und Empathie machen ihn zu einer zutiefst menschlichen Figur.

Der sympathische Prinz von Rodrigo Porras Garulo überzeugte mit schlankem lyrischen Tenor, feinen dynamischen Schattierungen und schöner Höhe. Er vollzog die Wandlung vom leidenschaftlich Begehrenden zum Geläuterten absolut glaubhaft.

Die schillernde Hexe Jezibaba mit üppig-aufgetürmter Frisur, behängt mit Talismanen. Amuletten, Ketten und wallenden Tüchern, gab der vom Leben gezeichneten Frau eine geheimnisvolle, esoterische Aura. Sie wurde von Gundula Hintz mit reichen Mezzofarben und dramatischen Höhen ausgestattet.

Dorothea Spilger war als fremde Fürstin ein optischer und stimmlicher Glanzpunkt. Komplett in edlem Rot ausstaffiert, beherrschte sie die Szene und war sich ihrer Wirkung bewusst. Mit manipulativen Charme sowie temperamentvollen Sopranattacken war ihr der Prinz restlos ausgeliefert, Rusalka wurde zum hilflosen Opfer ihrer zerstörerischen Manipulationen. Gelegentlich neigte ihr durchschlagskräftiger Sopran zu Schärfen.

Ks. Armin Kolarczyk als Heger mit Lederjacke und roten Sneakers hat starke Auftritte. Er ist als subversive Figur mit kriminellem Potenzial verantwortlich für die Jezibaba Tragödie, außerdem verleitet er die Jugend zum Drogenkonsum. Seine schöne, mühelose Tenorstimme setzte er jederzeit wirkungsvoll ein. Stimmlich einwandfrei auch die drei Elfen Uliana Alexyuk, Jasmin Etminan, und  Florance Losseau, die auch als Küchenjunge mit klangvollem Sopran aufhorchen ließ, tadellos der Jäger von Merlin Wagner.

Der Badische Staatsopernchor unter der Leitung von Marius Zachmann präsentierte sich klanggewaltig, präzise und mit großer Spielfreude.

Viel Applaus und Bravorufe für einen begeisternden Opernabend.

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Hamburg, Staatsoper, DER FREISCHÜTZ - C. M. von Weber, IOCO

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17. 11.  Premiere   Als zweite Premiere der Spielzeit 2024-25 stand an der Hamburgischen Staatsoper Carl Maria von Webers „Freischütz“ auf dem Programm, diese romantische deutsche Oper, welche Natürliches mit Übernatürlichem verbindet und welche so einige Opern-Hits aus dem Wunschkonzert beinhaltet. Die Erwartungen waren hoch, doch nach der sensationellen Saison-Eröffnungspremiere „Trionfi“

By Wolfgang Schmitt