Hellerau, Roboterkonzert der Dresdner Sinfoniker - Zukunft oder Spielerei? IOCO

HELLERAU bei Dresden: Eine Roboterin debütierte am Pult der Dresdner Sinfoniker zu dessen 25. Jahresjubiläum - Ein Blick in die Zukunft oder eine Spielerei? -Weder noch! ....

Hellerau, Roboterkonzert der Dresdner Sinfoniker - Zukunft oder Spielerei? IOCO
FESTSPIELHAUS HELLERAU @ wikimedia commons

Eine Roboterin debütierte am Pult der Dresdner Sinfoniker zu dessen 25. Jahresjubiläum - Ein Blick in die Zukunft oder eine Spielerei? -Weder noch!

von Thomas Thielemann

Beide waren bereits in der letzten Zeit des vergangenen Jahrtausends in Dresden bekannt, dass sie sich der Entwicklung neuer Formen der Darbietung unserer Musikkultur gewidmet hatten, als die hochkreativen Musiker Markus Rindt (*1967) und Sven Helbig (*1968) im Jahre 1998 die Projektorchester-Formation „Dresdner Sinfoniker“, bestehend aus Künstlern der Freien Szene sowie Musikern namhafter Orchester, ins Leben riefen. Unzählige ihrer außergewöhnlichen Musikinszenierungen waren bereits legendär, als sie anlässlich der 800-Jahrfeier der Stadt am 20. Juli 2006 die Balkone eines Hochhauses der „Prager Zeile“ für das „Hochhauskonzert“ umfunktionierten und Jonathan Stockhammer aus einem Krankorb in 35 Meter Höhe dirigieren ließen, damit sich ein Orchester auch mal in der Vertikalen anordnen konnte. Auch Teile des Dresdner Stadtviertels Prohlis wurden von den Dächern der Plattenbauten von den Sinfonikern mit Musik überflutet.

DRESDNER SINFONIKER - Roboterkonzert © David Sünderhauf

Das Jubiläumskonzert zum zehnjährigen Bestehen der „Dresdner Sinfoniker“ eröffnete das Gründungsmitglied Michael Helmrath mit seinem ersten Ferndirigat der Welt im Jahre 2008. Aus der Mitte der Londoner Straßenmusiker-Gruppe „Moshe Silbermann & seine Lakritzorgel“ wurde Helmraths Dirigat von John Williams „Ouvertüre zu Star Wars“ per Livestream zu den im Kulturpalast musizierenden Orchestermitgliedern übertragen.

Oft ging es den Sinfonikern bei ihren Projekten um gesellschaftlich relevante Themen: die „Symphonie for Palestine“ mit arabischen Musikern im Westjordanland, der musikalische Protest an der Grenze zwischen den USA und Mexiko sowie ihre Einmischung in die mangelhafte Aufarbeitung des Völkermords an armenischen Menschen.

Eine Außergewöhnlichkeit, selbst für die Dresdner Sinfoniker, war die Aufgabe, als Opernorchester für die Eröffnung des Opernhauses in Riad zu wirken. Das Haus war zwar bereits in den 1980er-Jahren für 2700 Besucher im Stil der damaligen Zeit am Rande der Wüste erbaut worden, denn der damalige König von Saudi-Arabien wollte europäische Kultur ins Land holen. Aber durch religiösen Widerstand gingen seine Pläne nicht auf. Erst nachdem im Lande wieder Musik, Gesang, Theater und Tanz erlaubt wurden, konnte das noch ungenutzte Haus grundsaniert und modernisiert, am 25. April 2024 eröffnet werden. Über eine Legende aus vorislamischer Zeit war vom saudischen Dichter Saleh Zamanan für den australischen Komponisten Lee Bradshaw ein Libretto geschrieben worden. Inszeniert hatte die Erstaufführung der Schweizer Daniele Finzi Pasca. Die britische Mezzosopranistin Sarah Connolly sang in arabischer Sprache die Titelrolle. Ein Chor war aus Brünn gekommen und der spanische Dirigent Pablo Gonzales leitete ein Orchester aus 62 Musikern der „Dresdner Sinfoniker“ gemeinsam mit 20 arabischen Instrumentalisten.

DRESDNER SINFONIKER - Roboterkonzert © David Sünderhauf

Mit diesem Lauschen am Puls der Zeit, ist es deshalb für den Intendanten der „Dresdner Sinfoniker“ Markus Rindt eine Selbstverständlichkeit, nach Wegen zu suchen, wie die technischen Entwicklungen der Computertechnik oder auch der künstlichen Intelligenz für den Musikbetrieb Bedeutung erlangen könnten. Markus Rindt suchte ohnehin nach Wegen, wie die immer komplexer werdenden Arbeiten jüngerer Komponisten auch dezidiert im Konzert gespielt werden könnten.

Besonders problematisch war das im Stück des in Weimar als Professor für Popularmusik lehrenden Wieland Reissmann (*1968) „#kreuzknoten“. Diese Komposition ist wegen seiner sich überkreuzenden komplexen Tempi von einem menschlichen Dirigenten eigentlich nicht zu meistern.

Ein Roboter der zusätzlichen  Bewegungen ermöglichte, sollte Abhilfe schaffen. In einer Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster „Centre for Tactile Internet with Human-in-the-Loop“ (kurz: CeTI) der Technischen Universität Dresden wurde eine Lösung gesucht und letztlich ein Robotersystem für die Aufgaben als Dirigent angepasst. „MAiRA Pro S“ ist eigentlich ein Industrieroboter-System der Metzinger Firma Neura Robotics, so wie man es in Industriebetrieben für besonders sensible Aufgaben findet, wenn Menschen und Roboter in unmittelbarer Nähe gemeinsam agieren. Das System verfügt deshalb über eine besondere sensorische „kollaborative“ Sicherheitstechnik, dem sogenannten Cobot. Auf einem Podest in der Mitte der U-förmig angeordneten Musiker-Podien waren im Saal des „Europäischen Kommunikationszentrums Hellerau“ in gebührendem Abstand die drei Manipulatoren mit ihren Armen aufgestellt. Ihre Arme, jeder mit sieben Gelenken ausgestattet, ermöglichte ihnen geschmeidige Beweglichkeit in beliebige Richtungen, so dass ihre Gelenkigkeit dem menschlichen Körperteil nahe kommt. An ihrer Spitze hatte man die Arme mit farbig leuchtenden, ausreichend langen Dirigierstäben ausgestattet und sie den Podien der Musiker zugewandt.

DRESDNER SINFONIKER - Roboterkonzert © David Sünderhauf

Die Versuche, mit einem Eingabestift, der über Kameraaufzeichnungen die Dirigierbewegungen eines Trainer-Dirigenten speichern sollte, scheiterten. Auch der Einsatz eines Datenhandschuhs, welcher den Roboterarmen die korrekten Dirigier-Bewegungen beibringen sollte, führte zu keinem praktikablen Ergebnis.

Letztendlich trainierten Michael Helmrath und die CeTI-Mitarbeiter des Professors Frank Fitzek die „Dirigentin“ so, wie ein Professor in der Musikhochschule arbeitet, wenn der Student zu langsam im Begreifen ist: sie packten die Arme der angehenden Dirigentin und zeigten ihr die flexiblen Bewegungen, die ihrerseits gespeichert wurden. Über die gewaltige, bis zur zufriedenstellenden Situation geleisteten Programmierarbeit, bevor die Dirigent-Schülerin alles begriffen hatte, sollte hier allenthalben nur als Andeutungen erwähnt werden.

Dank ihrer autark funktionierenden drei Arme, konnten die Trainer der Roboter-Dirigentin beibringen, dass sie das Orchester durchaus mit überkreuzenden Tempi leiten konnte. Es wurde durchaus möglich, dass ein Teil der Musiker langsam mit dem Spielen beginnt und das Tempo steigert, während der andere Teil der Musiker sich aus höherem Tempo zunehmend zurück nimmt. Ein Dirigat, das ein Mensch eigentlich nicht leisten kann.

Die Bewegungen der Arme der Roboterin waren zu runden organischen Abläufen klar gegliedert und wirkten weder Marionettenhaft noch maschinell. Auch ließ das Dirigat der „MAiRA Pro S“ durchaus den Dirigierstil ihres Trainers, in diesem Fall Michael Helmraths, erkennen, spulte aber stupide das Beigebrachte ab. Die zur Verfügung stehende Software begrenzte allerdings ob der Komplexität der Aufgabe auch die Impulsivität des Dirigats.

Zum Projekt „Robotersinfonie“ gehörte auch eine Schülerarbeit „Spot.Me“, mit welcher der Choreograf Norbert Kegel mit Gymnasiasten eine Choreografie für eine Zusammenwirkung von Menschen und dem Laufroboter-Hund des CeTI- Exzellenzcluster entwickelte. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden als Film im Konzert gezeigt, aber erst im Finale richtig zur Wirkung gebracht.

Für das Konzert war ein hybrides Programm zusammengestellt worden, um die Momente der Begegnung eines künstlerisch-maschinellen Produktes samt seiner Präzision mit den menschlichen Fähigkeiten im Zusammenwirken zu demonstrieren.

Im ersten Konzert-Teil waren mit dem Dirigat des Norwegers Magnus Loddgard (*1979) Kompositionen zu hören, die über einen gemeinsamen Rhythmus verfügten, an dem sich das gesamte Orchester orientieren konnte. Die sehr Blechbläser-lastige Besetzung spielte am Beginn mit viel Perkussion, die Uraufführung „f.A..lling.l..i..nes. (better stay human- bleib besser menschlich) des Markus Lehmann-Horn (*1977), eines Grenzgängers zwischen klassisch-zeitgenössischer und elektronischer Musikwelt. Magnus Loddgard dirigierte das aus acht Waldhörnern, vier Trompeten, vier Tuben und vier Schlagzeugern nebst einem Druckluftgerät bestehende Orchester mit Begeisterung und sichtlicher Freude.

Dem folgten die Kompositionen „Voyager II (op. 97; 2022)“ der Griechin Konstantia Gourzi (*1962) phantastisch gespielt von den acht Waldhörnern. Dazu, allerdings in voller Blechbläser-Besetzung, als deutsche Erstaufführung „Colours of Seikilos“ des in Weimar lehrenden Wieland Reissmann (*1968).

DRESDNER SINFONIKER - Roboterkonzert © David Sünderhauf

Nach der Pause räumte Magnus Loddgard seinen Platz am Pult und übergab die Dirigate seiner „Kollegin MAiRA Pro S“ für ihre „Interpretation“ der Uraufführung Wieland Reissmanns „#kreuzknoten“ für zwei der Dirigier-Manipulatoren. Nun stand im Mittelpunkt, wie hören sich die polyrhythmischen Klangfolgen an und wie reagierten die Musiker, die gewohnt sind, auf geringste Gesten, Bewegungen des Dirigenten zu achten und auf sein Mienenspiel einzugehen. Vor allem, wie nahmen die Besucher die ungewohnten Klangkombinationen auf. Letztere Reaktion fühlte sich, trotz des Beifalls für mich etwas zurückhaltend an. Ich zumindest hätte mir eine unmittelbare Wiederholung der „#kreuzknotenReissmanns gewünscht.

Der ob seines virtuosen Umgangs mit seinen Instrumenten bekannte Jazz-Pianist und Keyboarder der Dresdner Sinfoniker Andreas Gundlach (*1975) hatte quasi als Würdigung der vorbereitenden Arbeiten des Jubiläumskonzertes eine Hommage an die technischen Möglichkeiten unserer Zeit „Semiconductors´s Masterpiece, das Meisterwerk der Halbleiter“ beigetragen. Das Orchester war für die Aufführung auf seinen Segmenten angeordnet: links die Tuben, rechts die Trompeten und im Mittelteil die Hörner sowie das Schlagwerk. Jede Gruppe hatte sich streng an den gegenüber befindlichen Dirigierstab zu orientieren. Keiner durfte langsamer oder schneller werden. Obwohl die drei Segmente unterschiedliche Rhythmen, allerdings mit dem gemeinsamen Nenner Achtelnoten, spielten, kamen faszinierende Klangbilder zu Stande. Und da nicht einer der Musiker aus seinem Rhythmus kam, entwickelte vor allem Gundlachs Werk den Zuhörern ein expressives Klangerlebnis und wurde so zum emotionalen Höhepunkt des Konzertes.

Zur allgemeinen Freude waren bei der Aufführung sämtlicher der bis dahin gespielten Werke auch ihre Schöpfer anwesend.

DRESDNER SINFONIKER - Magnus Loddgard - Roboterkonzert © David Sünderhauf

Mit dem Experiment, wollten die Dresdner Sinfoniker vor allem zeigen, wie sich durch den Robotereinsatz die menschlichen Ausdrucksmöglichkeiten rhythmisch erweitern lassen. Sie wollten auf jeden Fall den Eindruck vermeiden, dass der Mensch-Dirigent im Musikleben überflüssig werden könnte. Deshalb übernahm zum Abschluss des Abends Magnus Loddgard wieder den Taktstock und beschloss das Konzert mit „Musica Celestis, dem Musikziel“ des Amerikaners Aaron J. Kernis (*1960), das zwar ursprünglich für Streicher komponiert, aber auch im Blechbläser-Arrangement ein stimmiges Finale lieferte.

Den begeisterten Schluss-Applaus nahmen alle am Gelingen des Abends Beteiligten vor der Zuhörer-Tribüne entgegen, als sich der im Film bereits aktive Roboterhund in Persona unter die Menge mischte und als Zugabe zu den schmissigen Klängen aus „Star wars“ mit Cantina eine mitreißende Tanzeinlage lieferte.

Fazit: Der Weg, bevor Orchester und Roboter-Dirigenten im Sinne einer wirklichen künstlichen Intelligenz miteinander agieren könnten, hat offenbar noch etwas Strecke vor sich. Aber möchte ich denn in meinen Konzertbesuchen eine derartige Richtung einschlagen? Bereits derzeit schränkt meinen Musikgenuss ein, wenn ich im Konzert eines oft gehörten Dirigenten angstvoll erwarten muss: gleich setzt er seine berühmte Pause oder nun holt er Schwung zu häufig erlebter Dynamik. Da würde ich künftig lieber von meinem Sitzplatz aus, mit Mitteln der künstlichen Intelligenz, allein für mich, Einfluss auf die Interpretation nehmen wollen.

Auf jeden Fall konnten wir mit den Dresdner Sinfonikern einen Blick in einen Seitenweg der technischen Entwicklungen im Musikbetrieb erhaschen, der experimentierfreudigen Komponisten Möglichkeiten eröffnet, ihren Inspirationen folgen zu können.