Hannover, Staatsoper Hannover, DER VAMPYR - Heinrich Marschner, IOCO Kritik, 13.04.2022
DER VAMPYR - Oper von Heinrich Marschner
- Viel Sympathien für einen Vampir -
von Karin Hasenstein
- "Doch früher sprenge - ein Vampyr -
- Als Leichnam deines Grabes Thür',
- Wohn' gräßlich dann im eig'nen Haus,
- Und saug das Blut der Deinen aus,
- Daß so bei Tochter, Schwester, Weib
- Der Lebensstrom versiegt im Leib.
- Dir ekle vor dem Mahle; doch
- Dein Leichenleben frist' es noch.
- Lord Byron: The Giaour, 1813
Der Komponist der Oper Der Vampyr, Heinrich Marschner (1795 - 1861), tritt zu Beginn des Jahres 1831 seine Stelle als Königlich Hannoverscher Kapellmeister am Opernhaus der Stadt an. Zu diesem Zeitpunkt ist er 36 Jahre alt und bereits ein gefeierter Komponist. Drei Jahre zuvor hatte seine Oper Der Templer und die Jüdin in Leipzig erfolgreich Premiere gefeiert. Marschner erweiterte die Anzahl der Aufführungen und vergrößerte die Anzahl der Mitglieder der Hofkapelle. Damit ebnete er den Weg zu einem modernen großen Symphonieorchester. In dieser Zeit bringt er auch zwei seiner eigenen, heute kaum mehr gespielten Opern zur Uraufführung. Am Königlichen Hoftheater, wie das Opernhaus jetzt hieß, erhielt Marschner seine Beförderung zum Generalmusikdirektor, eine Position, die ähnliche Befugnisse innehatte, wie heute der Chefdirigent oder Intendant.
In Berlin gelang Marschner ein großer Erfolg an der Hofoper Berlin mit der Uraufführung seines Werkes "Hans Heiling" 1833. Mit der erfolgreichen Uraufführung von Der Vampyr 1828 und Hans Heiling gilt Marschner als einer der wichtigsten Vertreter seiner Komponistengeneration.
Marschners Wahl seiner Stoffe, seine musikalische Dramaturgie und seine Orchestrierung sowie ein besonderer Vokalstil machen ihn zu einem modernen und typischen Vertreter seiner Zeit. Es sind die unheimlichen Hauptrollen, das Übersinnliche, die britische Schauerliteratur und die Sagenstoffe, die seine Opern zu bedeutsamen Werken der deutschen Romantik machen. Seine Themen sind mit denen Carl Maria von Webers verwandt und führen hin zu einer späteren Generation. Viele Motive und Versatzstücke finden sich 15 Jahre später in Richard Wagners Oper Der Fliegende Holländer. Auch hier spielt ein Außenseiter die Hauptrolle, der in der "normalen" Gesellschaft nicht akzeptiert wird und ankommt. Die Ähnlichkeit der Rolle des Holländers und des Lord Ruthwen, die Ballade der Senta und die der Emmy, in der ein "bleicher Mann" besungen wird, drängen sich förmlich auf.
DER VAMPYR - hier Trailer der Staatsoper Hannover youtube Staatsoper Hannover [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Die deutsche Romantik und das Unheimliche
Die deutsche Spieloper weist die Besonderheit auf, dass das Libretto neben dem gesungenen Text auch eine Menge gesprochenen Text enthält. Dem Regisseur Ersan Mondtag ist diese Dialogebene sehr wichtig. Aufgrund der aus dem Biedermeier stammenden Texte, die heute etwas verquast anmuten, hat Till Briegleb eine komplett neue Dialogfassung auf Grundlage des Librettos von Wilhelm August Wohlbrück verfasst.
Des weiteren wurden als Allegorie des Außenseiters drei neue Figuren hinzugefügt: Ahasver, der ewige Jude, Astarte, die Liebesgöttin und Lord Byron als historische Figur, der Bürgerschreck, der die erste Vampirnovelle verfasst hat. Diese drei Figuren wandern einzeln oder gemeinsam durch diese Inszenierung und kommentieren die Handlung oder interagieren mit den anderen Figuren.
Die Figur des Blut saugenden Vampirs wurde in die heutige Zeit versetzt zum einen als Gestalt eines Außenseiters schlechthin, der zum Sündenbock abgestempelt und verfolgt wird, zum Anderen in Form des modernen Blutsaugers, eines Ölbarons, der die Natur ausbeutet und Menschen beherrscht aufgrund seines Reichtums und seiner Macht.
Die Handlung wurde in drei Bühnenbilder übersetzt:
- Das erste Bild zeigt die verfallende Synagoge von Hannover, die in der Reichspogromnacht 1938 zerstört wurde.
- Das zweite Bild stellt das ebenfalls zerstörte Braunschweiger Stadtschloss dar, inklusive der Shoppingmall, die es heute beherbergt.
- Das dritte Bühnenbild zeigt einen Friedhof mit Kapelle, welche von zehn riesigen Nonnenstatuen bewacht wird. Das Portal ziert der Kopf von Lord Byron.
Die Besucher werden eingeladen, diesen verschiedenen Metaphern nachzuspüren. Jedes der drei Bilder von Ersan Mondtag ist sehr detailliert, eindrucksvoll und bietet den perfekten und schlüssigen Hintergrund für die dargestellten Szenen.
- Die zerstörte Synagoge als Vampirschloss in Kombination mit dem kongenialen Licht (Sascha Zauner) funktioniert perfekt als Ort, an dem das Unheimliche, Düstere in Gestalt des Vampyrs wohnt.
- Das Stadtschloss als Konsumtempel liefert den optischen und thematischen Hintergrund für den Ölbaron, Sir Humphrey, Laird van Davenaut. Das Schloss als Symbol für Macht und Reichtum, die Shoppingmall als Ort des Konsums und Aussaugens der Menschen und Ausbeutung der Natur.
- Im letzten Bild bedient sich der Regisseur zusätzlich der Drehbühne, um vom Friedhof auf die Kapelle wechseln zu können. Sehr eindrucksvoll ist der Moment, als die zehn überlebensgroßen Nonnenstatuen, die das Portal säumen und bewachen, zum ersten Mal sichtbar werden. Den Werkstätten der Staatsoper Hannover gebührt ein besonderes Lob für die Umsetzung dieser drei beeindruckenden Bühnenbilder.
Die Handlung
Da die Opern von Heinrich Marschner einem breiteren Publikum eher unbekannt sind, soll hier zunächst etwas näher auf die Handlung eingegangen werden.
Erster Akt
Der Vampyr Lord Ruthwen muss der Vampyrmeisterin Astarte schwören, drei junge Frauen zu opfern, um ein weiteres Jahr leben zu können. Er malt sich aus, wie er den schönen jungen Frauen Blut und Leben aussaugt.
Ahasver, der ewige Jude, und Astarte, die Vampyrmeisterin und Liebesgöttin begegnen einander. Sie beschreibt Ahasver die Welt der Verstoßenen und Dämonen. Lord Ruthwen ist der berühmteste Vertreter der Gattung der Vampire und gleichzeitig ein Wiedergänger des britischen Schriftstellers Lord Byron.
Das erste Opfer des Vampyrs ist Janthe, die Ziehtochter des Kardinals Berkley. Berkley sucht Janthe und folgt ihren Schreien, findet sie jedoch nur noch tot in der Vampyrhöhle. Er sticht auf Ruthwen ein, der verwundet vor der Vampyrhöhle zurückbleibt. Dort findet Edgar Aubrey ihn. Ruthwen bittet ihn, ihn zur Heilung seiner Wunden in die Strahlen des Mondes zu legen. Dadurch erkennt Aubrey ihn als Vampyr. Er leistet einen Schwur, dass er Ruthwen nicht verrät, da dieser ihm einst das Leben gerettet hat.
Edgar Aubrey wird bereits von seiner Geliebten Malwina erwartet, die Geburtstag hat. Sie will Edgar ihrem Vater, dem Ölmagnaten, als ihren Verlobten vorstellen.
Der Vater bestätigt, dass Malwina bald eine glückliche Braut sein wird, jedoch hat er den reichen Earl von Marsden als zukünftigen Ehemann vorgesehen. Malwina weigert sich, Aubrey erklärt van Davenaut, dass er Malwina aufrichtig liebt, aber der Vater besteht auf seiner Wahl des Ehemannes, da er ihm sein Wort gegeben hat. Der Zukünftige erscheint und Edgar erkennt in ihm Lord Ruthwen, kann jedoch nichts sagen, weil er aufgrund des Schwurs seine Identität nicht preisgeben kann. Die Hochzeitsfeier beginnt, Malwina und Edgar bleiben verzweifelt zurück.
Zweiter Akt
Vor dem Schloss findet eine ausgelassene Feier statt. Ahasver weiß, dass der Rausch schnell in Hass und Gewalt umschlagen kann und ist angewidert. Astarte und Lord Byron unterhalten sich über Liebe und Krieg. Sie wirft ihm seine skandalöse Vergangenheit als verführerischer und treuloser Dandy vor.
Emmy erwartet ihren Bräutigam George. Sie hat von Janthe erfahren, die am Tage ihrer Hochzeit von einem Vampyr getötet wurde und singt eine traurige Ballade über einen Vampyr.
Lord Ruthwen tritt als Earl von Marsden auf und schenkt Emmy einen wertvollen Ring zur Hochzeit. Bräutigam George ist eifersüchtig als er merkt, dass seine Braut dem Earl bereits verfallen ist.
Ruthwen fragt Astarte im Hinblick auf Aubrey, auf wessen Seite sie steht. Sie beteuert, stets auf der Seite der Außenseiter zu sein, der Verfluchten und Gedemütigten. Daher würde sie jemanden wie Aubrey, der die Entrechteten zu Monstern erklären würde, niemals unterstützen.
Ruthwen stellt Aubrey zur Rede und setzt ihn unter Druck, wenn er seine Identität preisgibt. Aubrey erkennt die Ausweglosigkeit seiner Lage. Er fürchtet um Malwinas Leben. Er warnt George, seine Braut Emmy von Marsden fernzuhalten.
Vor dem Schloss feiern die vier Trinker ausgelassen, worüber die Frau des einen, Suse Blunt, sehr erbost ist. Suse zettelt eine Revolution an, es fallen Schüsse, und George bringt auf seinen Armen Emmys Leiche. Ein Leichenzug formiert sich zu ihrer Bestattung. Unterdessen können Malwina und Aubrey Malwinas Hochzeit mit Marsden nicht verhindern.
Aubrey warnt Davenaut, seine Tochter dem Earl Marsden zur Frau zu geben. Malwina bittet um einen Tag Aufschub, aber Ruthwen besteht auf der sofortigen Hochzeit. Aubrey bezichtigt Ruthwen schließlich vor allen Gästen als Vampyr. In diesem Moment schlägt die Uhr Eins, die Frist von Lord Ruthwen, die drei Frauen zu töten, ist verstrichen. Er unterliegt wieder der Macht der Vampyrmeisterin Astarte und stürzt zu Boden. Die Gäste, Davenaut, Malwina und Aubrey feiern die Bestrafung und Vernichtung des Vampyrs und somit ihre Freiheit und blicken in eine glückliche Zukunft.
Ahasver und Ruthwen bleiben ohne Erlösung zurück, verdammt zur Unsterblichkeit.
Die Musik
Die Oper Der Vampyrvon Heinrich Marschner entsteht in den Jahren 1827/ 1828 und gelangt am 29. März 1828 im Theater der Stadt Leipzig zur Uraufführung.
Der Vampyr ist eine Große romantische Oper in zwei Akten und vier Bildern. Das Libretto von Wilhelm August Wohlbrück basiert auf dem Schauspiel Der Vampyr oder die Todten-Braut von Heinrich Ludwig Ritter (1822), das wiederum auf der Erzählung Der Vampyr von John Polidori beruht. Eine weitere Vertonung aus demselben Jahr stammt von Peter Joseph von Lindpaintner.
Marschners Oper gilt als Höhepunkt einer Mode der Biedermeierzeit, in der viele Geschichten über Vampire entstanden sind. Die Tonsprache ist zwischen dem volkstümlichen deutschen Lied und, wenn auch noch sehr vorsichtig, dem italienischen Belcantostil angesiedelt. Auch stellt Der Vampyr ein wichtiges Bindeglied dar zwischen den Opern Carl Maria von Webers und denen Richard Wagners, hier namentlich Der Fliegende Holländer.
Die Orchesterbesetzung ist damit relativ groß besetzt; enthält folgende Instrumente:
- Holzbläser zweifach besetzt (zwei Piccolo, zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, Serpent.
- Blechbläser (vier Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen)
- Pauken, Schlagzeug: Tamtam, Glocken, Donnermaschine
- Streicher, Bühnenmusik (zwei Hörner, zwei Trompeten)
Die Tonsprache der Oper ist, entsprechend ihrer Entstehung 1827/ 1828, der Frühromantik zuzuordnen. Der Streicherapparat wird ergänzt von doppelten Holzbläsern und einer recht üppigen Besetzung an Blechbläsern, namentlich vier Hörnern. Die Instrumente aus dem Bereich Schlagwerk wie Tamtam, Glocken und Donnermaschine sind typisch, um die musikalischen Effekte der Naturbeschreibungen und dramatischen Stimmungen zu erzeugen.
Die Ouvertüre dauert knapp acht Minuten und wird bei geschlossenem Vorhang gespielt. Die Holzbläser befinden sich auf der linken, die Blechbläser auf der rechten Seite des Orchestergrabens, die Kontrabässe in der Mitte.
Die Musik der Ouvertüre kommt beschwingt daher, wirkt locker und leichtfüßig, die Flöten stellen die Themen vor. Das Tempo ist Allegretto, die Tonart A-Dur.
Das Ohr hört deutliche Anklänge zu Carl Maria von Weber, insbesondere zum Freischütz. Der Duktus ist lebhaft, voranschreitend, energisch. Das Unheimliche, Finstere der Handlung kommt hier noch nicht zur Geltung.
Der Vorhang öffnet sich zum ersten Bild/ ersten Akt:
Die Bühne wird beherrscht von einem finsteren Gebäude, der Vampyrhöhle. Es ist der zerstörten Synagoge von Hannover nachempfunden. Zwischen den zwei Türmen steht hinter einem zerstörten Davidstern Astarte, die Vampyrmeisterin. Auf einem kleinen Hügel vor dem Gebäude lagern mystische und unheimliche Gestalten, Vampyre, Untote, Geister, Phantasiewesen mit entfernt menschlichen Zügen. (Kostüme: Josa Marx)
Das beeindruckende Bühnenbild wird durch die Beleuchtung (Licht: Sascha Zauner) buchstäblich ins rechte Licht gerückt. Die farblich wechselnde Beleuchtung verändert die Stimmung auf der Bühne und verleiht der Szene eine mal finstere, mal poppige Ästhetik, vor allem bei den Auftritten Lord Byrons.
Zum ersten Stück des Chores ist das Gebäude in rotes Licht getaucht, Assoziation zum Blut, das der Vampyr vergießen wird. Unter Einsatz des Flugwerks schwebt Astarte vom Turm herab und verlangt Lord Ruthwen den Schwur ab. Er muss drei junge Frauen opfern, um ein weiteres Jahr existieren zu können.
Riesige Fledermauswesen kommentieren seinen Schwur. Schon spürt der Vampyr große Lust, neues Leben in sich zu saugen: "Ha! Welche Lust, aus schönen Augen/ An blühender Brust neues Leben/ In wonnigem Beben/ Mit einem Kusse in sich zu saugen!"
Ahasver betritt die Szene und unterhält sich mit Astarte. Jonas Grundner-Culemann ist in der Spielzeit 2021/ 22 Gast an der Staatsoper Hannover. Der Schauspieler wurde in Köln geboren und studierte an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Mit seiner wohlklingenden Sprechstimme und in einem schlichten weißen Gewand beherrscht er auf subtile Weise sofort die Bühne.
Eine junge Frau im weißen Nachthemd mit langen schwarzen Haaren tritt auf. Sie ist laut ihrer Arie "teurer Eltern einzige Freude", doch "nun lohne ich sie mit ewigem Leide". Man ahnt bereits, dass Janthe das erste Opfer des Vampyrs wird.
"Ach, ich muss sie ja betrüben, ewig, ewig dich zu lieben, obwohl Vernunft dagegen spricht."
Lord Ruthwen nutzt diese Gelegenheit sofort für sich, beißt sie und saugt ihr das Leben aus. Der Chor fragt sich verwundert "Wo kann sie sein?" und auch Sir Berkley, der Kardinal, sucht seine Ziehtochter. Die Musik ist getrieben, schreitet voran, dominiert von Streichern und Schlagwerk. Der Kardinal findet Janthe im Vampirschloss und sticht auf Lord Ruthwen ein. Dieser sinkt verletzt zu Boden: "Weh mir! Meine Kräfte weichen! Müßig wird die Zeit verstreichen, kann ich nicht die Höh' erreichen um dort sterbend mit den Augen Mondesstrahlen einzusaugen, die mir neue Kräfte geben zum Leben. Schrecklich! Allgerechter! Alles, alles öd und leer, graue Stille rings umher!"
Der Vampyr bittet Ahasver, in die Mondstrahlen gelegt zu werden, um weiterleben zu können.
Eine schräge Figur tritt auf, die sich schon vom Kostüm her wesentlich von den anderen unterscheidet. Während der Vampyr einen edlen silbrig glänzenden Anzug mit fledermausartigen Ärmeln trägt, erscheint Lord Byron in einem knalligen pinfarbenen Anzug mit fliederfarbenem Rüschenhemd und lila Perücke.
Während der gesamte gesungene und gesprochene Text der Oper auf Deutsch ist, ist das nun folgende Stück von Lord Byron auf Englisch: "There's a vampyre in my bed!"
Das zweite Bild spielt im Schloss von Davenaut. Als Bühnenbild wird hier das Braunschweiger Stadtschloss gewählt. Das Schloss wurde im Krieg komplett zerstört. Nur die Fassade wurde im ursprünglichen Stil wieder aufgebaut. Dahinter verbirgt sich jedoch kein Schloss mehr sondern eine Shoppingmall.
Hier steht der Konsumtempel für den Reichtum von Malwinas Vater, der in die Rolle eines reichen Ölmagnaten schlüpft. Er bezieht seinen Reichtum daher, dass er die Natur ausbeutet, quasi aussaugt, und ist somit ein moderner Vampir.
Malwina wartet im Schloss ihres Vaters auf ihren Verlobten Edgar Aubrey. "Heiter lacht die goldne Frühlingssonne auf die bunte neugeschmückte Flur. Ach, alles, was ich sehe, ist der Abglanz nur von meines Herzens nie geahnter Wonne."
Malwina (Mercedes Arcuri) trägt ein türkisfarbenes Kleid, das, ihre Herkunft unterstreichend, mit einem Muster aus Shell-Emblemen bedruckt ist. mit farblich passenden Stiefeln und Mantel und ihren langen blonden Haaren wirkt sie wie eine Barbiepuppe aus den Siebzigerjahren.
Die Geburtstagsgesellschaft ist komplett in schwarz gekleidet, die Frauen schieben schwarze Kinderwagen vor sich her oder tragen riesige Einkaufstaschen, sämtliche Accessoires sind in schwarz gehalten. Im Vordergrund spielen vier Kinder, die aussehen wie kleine Aliens, mit Luftballons und umlagern einen Popcornverkäufer. Die Gesellschaft mutet ein bisschen nach Gothic oder Lack-Leder-Szene an, wobei das glänzende Schwarz für das Öl steht und somit für das, was Lord von Davenaut seinen Reichtum eingebracht hat.
Der Vater präsentiert Malwina den von ihm auserkorenen Ehemann, Earl of Marsden, diese erklärt ihm jedoch, dass sie ihn nicht heiraten kann, weil sie seinen Mitarbeiter Edgar liebt und heiraten will.
Solonummern und harmonische Ensembles wechseln einander ab und wieder fühlt man sich an den Freischütz erinnert. Malwina versucht ihren Vater umzustimmen, jedoch vergeblich. Schon bekommt der vermeintliche Earl of Marsden alias Lord Ruthwen wieder Oberwasser und stellt fest "Lachen kann ich seiner Wut, denn sein Schwur hält ihn gefangen, Mägdlein mit den Rosenwangen, bald ist mein dein süßes Blut!"
Das nächste Bild zeigt die Hochzeitsgesellschaft, die Malwina als Braut preist: "Blume des Hochlands, du Davenaut-Rose, winden wir dir zum heutigen Fest, Blumen und Blüten im Zephirgekose, winden wir dir zu dem heutigen Fest.”
Die Braut betritt die Szene im gelben Kleid. Ihr Vater erscheint mit Lord Ruthwen und ein Jubelchor erklingt: "Heil, Heil dem Hause Davenaut! (...) Heil, Heil, Heil, Heil, jedem, der mit ihm verwandt."
Davenaut ist bereit, seine Tochter an den Vampyr, den vermeintlichen Earl of Marsden zu verschachern, und überdeutlich drängt sich die Parallele zum späteren Fliegenden Holländer auf, zum einen thematisch, zum anderen von der musikalischen Struktur her. Aubrey erkennt den Vampyr. Dieser erinnert ihn an seinen Schwur. Malwina erbittet ein Frist bis Mitternacht.
In das Ensemble der Solisten fällt der Chor mit ein und der Vater bittet alle hinein: "Zum Feste lad ich euch alle ein, jubeln soll alles und fröhlich sein!" Dazu bringt die Hochzeitsgesellschaft Lilien, die Totenblumen, herbei und schwarz verpackte Geschenke. Malwina sinkt ohnmächtig zusammen.
Das nächste Bild zeigt den Chor als heitere Gesellschaft vor dem Stadtschloss bzw. der Shoppingmall. "Munter, edle Zecher, munter, köstlich ist der Wein! Seht, die Sonne geht schon unter, Lasst uns fleißig, fleißig sein!" Vor dem Schloss stehen nun Bierzeltgarnituren auf grüner Wiese, das Gebäude wird bezeichnet mit "Astarte Corp." und "Baal Mall".
Die Fenster sind beleuchtet mit Leuchtstoffröhren, deren Licht farblich wechselt, zu Beginn ist es grün. Ahasver erscheint und beginnt zu reden, der Chor erklingt weiter aus der Ferne als Echo, das fröhliche Treiben geht weiter. Lord Byron bewegt sich zum Tanz des Chors in grotesker Zeitlupe. Die Braut, Emmy, erwartet ihren Bräutigam George in schwarzen Hotpants. Sie hat gehört, dass Janthe am Tage ihrer Hochzeit vom Vampyr getötet worden ist und ist in großer Sorge. Als der vermeintliche Lord Marsden Emmy einen wertvollen Ring zur Hochzeit schenkt, ist George rasend vor Eifersucht. Emmy lässt sich mit Ahasver und Lord Byron zum Picknick auf dem Hügel vor der Mall nieder.
Das folgende Stück mag als Vorlage für die Ballade der Senta gedient haben, in beiden ist die Rede von einem "bleichen Mann", hier der Vampyr, dort der Holländer, beide fordern eine Frau zur Gemahlin, die einem anderen versprochen ist. "Sieh, Mutter, dort den bleichen Mann!" Der Chor antwortet "Denn still und herrlich sag ich's dir, der bleiche Mann ist ein Vampir!"
Manchmal lässt einen das Libretto auch schmunzeln, so zum Beispiel an der Stelle "Zeigt eine sich gewogen, so wird sie ausgesogen!" Die Prognose für Emmy ist allerdings düster: "Nun geht sie selber, glaubt es mir, heraus als grausiger Vampir!"
Till Briegleb flicht immer wieder auch lokalen Witz in seine Textfassung, zum Beispiel als der Vampyr in dieser Szene erscheint und verkündet "Ein Geschäft führt mich nach Braunschweig." Das Verhältnis Hannover zu Braunschweig scheint ein wenig so zu sein, wie das zwischen Köln und Düsseldorf... jedenfalls sorgte die Ankündigung doch für einige Lacher im Publikum.
Das folgende Ensemble erinnert wieder stark an den Freischütz, und der Satz "Mein Herz schwankt zwischen Furcht und Liebe" drückt genau jene Faszination aus, die der Vampyr auf seine Opfer ausübt.
In der nächsten Szene schmückt eine bunte Lichterkette das Schloss, vor dem zwei zerbrochene Säulen liegen. Die beiden Bräutigame treffen sich und eilen hinfort. Die Bühne dreht sich, gibt den Blick auf mit Tüchern verhangene Möbel frei. Der Vampyr lacht, die Braut zögert, schließlich gibt sie nach "Wohl, es sei, ich folge dir." Die Bühne dreht erneut zum Schloss und der Chor stimmt ein Trinklied an. Die Musik ist leicht und beschwingt, geradezu tänzerisch. Vier Trinker erscheinen und werden von Suse zurechtgewiesen. Sie zettelt eine Revolution an und preist die echte Freiheit. Flugblätter werden verteilt, Fahnen geschwenkt. Plötzlich fällt ein Schuss - Emmy ist tot!
An einen Choral erinnert das Chorstück "Freuden und Leiden im irdischen Leben..." Die ausgelassene Freude der Feier schwenkt jäh um in tiefe Trauer "Jetzt gehen wir bang und schwer ihre Leiche zur Gruft zu bestatten." Diese düstere Stimmung wird betont durch die zehn riesigen Nonnenskulpturen, die auf den Trauerzug herabblicken.
Malwina und Aubreyerscheinen und flehen um Rettung: "Wer Gottesfurcht im frommen Herzen trägt, im treuen Busen reine Liebe hegt, dem muss der Hölle dunkle Macht entweichen, kein böser Zauber kann ihn je erreichen!" Hinter ihnen schreiten die schwarz gekleideten Trauergäste durch das Nonnenportal. Die Gäste kommen, Tabletts mit Gläsern werden gereicht, der Chor stimmt einen Jubelgesang an. Der Vater drängt nun auf Hochzeit. "Triumph! Das Ziel ist nah!"
Der Chor mahnt "Haltet ein! Die Zeit vergeht, es wird zu spät!" Die Bühne dreht, wird sind auf einem Friedhof. Nebel bedeckt die Bühne. Lord Ruthwen wird enttarnt: "Dies Scheusal hier ist ein Vampyr!"
Malwine singt "Wer Gottesfurcht im frommen Herzen trägt" und der Chor fällt ein. "Den Himmel sehe ich offen. Es steiget aus der finsteren Nacht der Tag empor mit Strahlenpracht. Dem Ewigen sei Preis und Dank, ihm schalle unser Lobgesang." Astarte schwebt nach oben, der Vampyr sinkt unter ihr zusammen. Dir Uhr schlägt Eins, seine Frist ist um und er ist vernichtet.
Der Vampyr von Heinrich Marschner ist eine Große romantische Oper, die den Vampirmythos und die Lust am Gruseln aufgreift. Man fühlt sich sehr in den Biedermeier und in die Geschichten von Lord Byron versetzt. Ein großes Kompliment in der Hannoveraner Inszenierung von Ersan Mondtag gebührt den Werkstätten für die Umsetzung dieser phantastischen Bühnenbilder. Sie bieten den perfekten Rahmen für das Mystische, Gruselige, Unheimliche. Die Kombination von Bühnenbildern und Licht ist handwerklich sehr gelungen und vermittelt die perfekte Illusion der mystischen Welt der Vampyre.
Leider wurde insgesamt etwas Potential verschenkt. Die Atmosphäre hätte ruhig noch viel düsterer und märchenhafter sein können. Das Enfant terrible, Lord Byron, genial dargestellt von Benny Claessens, sprengt oftmals die Szene und stört das wohlige Gruseln, und manchmal denkt man auch "Geh weg...", was auch ein Zuschauer lautstark zum Ausdruck brachte, allerdings etwas deutlicher formuliert. Die andere hinzugedachte Figur des Ahasver (Jonas Grundner-Culemann) hingegen vermag die Zuschauer mitzunehmen. Wenn Grundner-Culemann mit seiner äußerst angenehmen und sanften Sprechstimme die Szene kommentiert, gibt er dem Zuschauer Impulse, nimmt sie mit in das Seelenleben der Figuren. Auch die weibliche hinzugedachte allegorische Figur der Astarte (Oana Solomon) fügt sich gut ein in die Geschichte. Sie hat die Macht, sogar über den Vampyr, dessen Dasein auf Erden sie schließlich beendet, als er, seine Aufgabe nicht erfüllend, unter ihre Macht zurückfällt.
Gesungen wurde an diesem Abend durchweg solide auf gutem Niveau. Besonders zu erwähnen ist Michael Kupfer-Radecky in der Titelrolle des Vampyrs Lord Ruthwen. Er gestaltet die Rolle mal schmeichelnd und lockend, mal teuflisch und bedrohlich. Stimmlich wie darstellerisch gibt der Bariton die Rolle mit großer Bühnenpräsenz sehr überzeugend. Seine weiblichen Oper sind ihm mindestens ebenbürtig. Petra Radulovic gestaltet die kleine Rolle der Janthe mit mädchenhaftem Charme und zarter Verletzlichkeit.
Nikki Treurniet brilliert als Emmy und ist so stark in ihrer Rolle, dass man sie gar nicht als Opfer wahrnimmt. Rührend drückt sie ihre Liebe zu ihrem Verlobten und ihren Glauben daran aus, dass schon alles gut werden wird. Ihr strahlender Sopran ist höhensicher und stets präsent. Sopran Mercedes Arcuri als Malwina überzeugt erneut mit großer stimmlicher Bandbreite und darstellerischer Vielseitigkeit. Die Rolle der Tochter des reichen Ölbarons liegt ihr hervorragend in der Stimme. Der georgische Bass Shavleg Armasi singt und spielt sich als Vater, der seine Tochter an den vermeintlichen Earl of Marsden verschachert, bassgewaltig in die Herzen des Publikums. Daniel Eggert, Norman Reinhard und Philipp Kapeller runden das Ensemble wie gewohnt souverän stimmlich wie darstellerisch auf hohem Niveau ab.
Ein großer Dank gebührt auch GMD Stephan Zilias, der das Niedersächsische Staatsorchester Hannover sicher und mit viel Gefühl für die Kontraste in Marschners Partitur durch den dreistündigen Opernabend führt. Er gestaltet die stillen geheimnisvollen Stellen ebenso wie die lauten vorandrängenden mit großer Präzision und lotet die Musik am Übergang zwischen zwei Epochen sensibel aus. Vieles deutet bereits auf Weber und Wagner hin, vieles ist aber auch noch in der Klassik verwurzelt. Den Solisten ist er dabei ein zuverlässiger Partner und versierter Begleiter.
Das Publikum dankt allen Beteiligten mit lang anhaltendem Applaus. Dieser Beifall verstummt, als ein Chorbass vortritt und auf den Krieg in der Ukraine hinweist. Auf der Bühne werden Noten verteilt und das gesamte Ensemble stimmt einen ukrainischen Choral, "Prayer for Ukraine" von Mykola Lysenko, an um zu zeigen, dass das Ensemble der Staatsoper Hannover für eine offene und freie Gesellschaft und für ein Miteinander in Frieden einsteht. Das Publikum hat die Darbietung stehend angehört und wohl niemanden ließ dieser eindringliche Appell nach Frieden und Toleranz unberührt.
Wer die Große romantische Oper liebt und Lust hat, sich auf ein selten gespieltes Werk einzulassen, dem sei Der Vampyr in Hannover sehr ans Herz gelegt.
DER VAMPYR an der Staatsoper Hannover; die weiteren Termine 21.4.; 23.4.; 30.4.; 6.5.2022
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