Hamburg, Staatsoper, PETER GRIMES - Benjamin Britten, IOCO Kritik

Viel zu selten sind Benjamin Brittens Opern an der Hamburger Staatsoper zu hören. Die jetzt wieder aufgenommene Peter Grimes-Produktion hatte ihre Premiere 1998. Die am 11. Februar '24  besuchte Vorstellung war tatsächlich erst die 21ste in 25 Jahren.

Hamburg, Staatsoper, PETER GRIMES - Benjamin Britten, IOCO Kritik
Staatsoper Hamburg © Kurt Michael Westermann
  • Hetzjagd in einem kleinen englischen Fischerdorf

 von Wolfgang Schmitt

Viel zu selten sind Benjamin Brittens Opern an der Hamburger Staatsoper zu hören. Die jetzt wieder aufgenommene Peter Grimes-Produktion hatte ihre Premiere 1998, und diese am 11. Februar '24  besuchte Vorstellung war tatsächlich erst die 21ste in 25 Jahren.

Peter Grimes ist Brittens zweite Oper – seine erste, Paul Bunyan, 1941 uraufgeführt, war kein großer Erfolg –, mit der die Londoner Sadlers Wells Opera im Juni 1945 nach dem Ende des 2. Weltkrieges wieder eröffnet wurde.

Benjamin Britten - Büste in seiner Heimat Aldeburgh @ IOCO

Bittens Peter Grimes basiert auf einer Erzählung des englischen Poeten George Crabbe (1754 – 1832) und erzählt die Geschichte eines Außenseiters in einem Fischerdorf an der englischen Ostküste, der durch Fleiß und Arbeitseifer als Fischer zu Ansehen und Wohlstand kommen und die Lehrerin Ellen Orford heiraten möchte. Seine Lehrjungen holt er sich aus dem Waisenhaus, die er ausnutzt und offenbar auch mißhandelt. Zwei dieser Lehrjungen sterben und für die Bewohner des Fischerdorfes steht fest, daß Peter Grimes sie ermordet hat. Geächtet von der Dorfgemeinschaft, rät ihm Captain Balstrode, aufs Meer hinauszufahren und sein Boot zu versenken, also Selbstmord zu begehen.

Das von Wolfgang Gussmann entworfene Bühnenbild ist stets düster, egal ob im Gerichtssaal, am Hafen oder in der Kneipe, und besteht hauptsächlich aus Treppenstufen. Die Inszenierung lag damals in den Händen von Sabine Hartmannshenn und wurde für diese Wiederaufnahme von Petra Müller perfekt und detailgetreu aufbereitet. Insbesondere die Bewegungen des Chors, der sich ständig auf den Treppen herauf und herab zu begeben hatte, gelangen hier meisterhaft.

PETER GRIMES - Copyright Hans Jörg Michel

Überhaupt ist Peter Grimes auch eine Chor-Oper, und der bestens disponierte, von Eberhard Friedrich wie immer hervorragend einstudierte Staatsopernchor trug gesanglich wie auch darstellerisch wesentlich zum Gelingen dieses eindrucksvollen Abends bei.

Aber auch das Philharmonische Staatsorchester präsentierte sich unter der Leitung von GMD Kent Nagano in allerbester Form. Es illustrierte das dramatische Bühnengeschehen mit einer unbeschreiblichen Eindringlichkeit, einer Klangvielfalt und einer Ausdruckskraft, welche die beklemmende Spannung über zweieinhalb Stunden aufrecht erhalten konnte. Britten schuf mit seiner genialen Komposition schier unerschöpfliche Farbvariationen, manchmal volksliedhaft wirkende Passagen, manchmal sogar an amerikanische Musicals erinnernde Melodien.

Insbesondere auch die orchestralen Zwischenspiele, die „Sea Interludes“, stellten die Vielschichtigkeit des Werkes und die reichhaltige  Ausdruckspalette der Komposition dar und gaben dem dynamisch bis filigran aufspielendem Orchester die Möglichkeit zu brillanter sinfonischer Entfaltung.

Ein Glücksfall dieser Aufführung ist Gregory Kunde in der Titelpartie. Gekleidet in einem hellen Seemanns-Pullover, verfügt er über eine imposante Bühnenpräsenz und eine darstellerische Intensität, die er sowohl in der sensiblen und introvertierten Seite des Charakters als auch in der Unbeherrschtheit und der Brutalität gegenüber seines Lehrjungen vollends auskostete. Seine Stimme klingt noch immer kraftvoll und strahlend in der Höhe, aber auch Grimes' Verletztheit, seine Angst und zuletzt den Wahnsinn konnte er stimmlich eindrücklich umsetzen.

Jennifer Holloway gefiel optisch als blonde Ellen Orford, die Grimes liebt, mit ihm leidet und die schließlich an ihm verzweifelt. Sie verfügt über einen höhensicheren Sopran, weniger durchschlagskräftig im unteren Register, störend ist jedoch ihr starkes Vibrato, so daß insbesondere die wunderschöne lyrische „Embroidery“-Arie ziemlich enttäuschend klang.

Iain Paterson als Captain Balstrode war ein behäbig wirkender, humpelnder, alter Seebär mit verhalten klingendem, manchmal kraftlos wirkendem Bariton.

PETER GRIMES hier zum Schlussapplaus das Ensemble - vorne Gregory Kunde (Peter Grimes) @ Wolfgang Radtke

Als schrullige Mrs. Seldey zog die Altistin Rosie Aldridge alle Register der komischen Alten und Hobby-Detektivin. Clare Presland war eine temperamentvolle Auntie mit Brille und roten Haaren, allerdings schien ihre Stimme für ein Haus wie die Hamburger Staatsoper eine Nummer zu klein.

Mannstoll und temperamentvoll gaben sich ihre Nichten Na'ama Shulman und Claire Gascoin, beide mit Brille und in blauer Schuluniform.

Die weiteren Partien waren adäquat besetzt mit Florian Panzieri in der lyrischen Tenor-Partie des Bob Boles, Nicholas Mogg als der Apotheker Ned Keene mit seinem klangvollen Bariton, dem jungen Bass Liam James Karai als Fuhrmann Hobson, der für Peter Grimes die „Ware“, den neuen Lehrjungen (Bo Dietrich) aus dem Waisenhaus holen soll, Jürgen Sacher als salbungsvoller Pfarrer Adams, sowie Joshua Bloom als Bürgermeister und Anwalt Mr. Swallow.

Leider war die Staatsoper nicht ausverkauft. Doch das interessierte Britten-Publikum zeigte sich dankbar für diesen grandiosen Abend und überschüttete am Schluß die Solisten, Choristen und den Dirigenten mit nicht enden wollenden Ovationen.