Hamburg, Staatsoper Hamburg, VENERE E ADONE - Salvatore Sciarrino, IOCO Kritik, 09.06.2023
VENERE E ADONE - Salvatore Sciarrino
- VENUS UND ADONIS - eine Geschichte von Liebe und Tod -
von Wolfgang Schmitt
Der Komponist Salvatore Sciarrino, Jahrgang 1947, wird mittlerweile als einer der bedeutendsten italienischen Komponisten des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts angesehen. Sein Kompositionsstil ist ungewöhnlich und nicht unbedingt das, was der normale Opernliebhaber von einer italienischen Oper erwartet. Doch ist Venere e Adone eigentlich nicht als Oper in herkömmlichen Sinne zu bezeichnen, auch wenn es so genannt wird. Dieses Werk ist eher als ein in Richtung des musikalischen Minimalismus gehendes Musiktheater zu etikettieren mit mehr oder weniger raffinierten Klängen, zarten Geräuschen, fragmentarischen Tongebungen, fragilen Gesangspassagen und mit teilweise sogar durchaus sinnlich klingenden Momenten.
Vor allem durch sein kammermusikalisches Schaffen gelangte Salvatore Sciarrino zu internationalem Ansehen als Avantgarde-Künstler. Auch in Deutschland fanden einige seiner Werke für Musiktheater Beachtung. So fand 1991 in Stuttgart die Uraufführung seines Einakters „Persephone e Andromeda“ statt. 1998 wurde bei den Schwetzinger Festspielen seine Kammeroper „Luci mie traditci“ („Die tödliche Blume“) uraufgeführt. Das Opernhaus Wuppertal hob 2009 seinen Einakter „La Porta delle Legge“ („Das Tor zum Gesetz“) aus der Taufe. Als deutsche Erstaufführung brachte die Berliner Staatsoper 2017 „Ti vedo, ti sento, mi perdo“ („Warten auf Stradella“) heraus.
Seine neueste Schöpfung Venere e Adone ist ein Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper. Die Uraufführung fand zu Pfingsten am 28. Mai 2023 statt. Es ist das 18. Werk des Komponisten, welches er für das Musiktheater geschrieben hat. Die besuchte Vorstellung am 6. Juni 2023 war die vierte in dieser Premieren-Serie.
Beeindruckend war die klangliche Umsetzung dieses Werkes durch das Philharmonische Orchester unter der Leitung von GMD Kent Nagano. Über das Bühnengeschehen wurde ein sphärischer, dissonanter Klangteppich ausgebreitet, der zunächst recht gewöhnungsbedürftig wirkte. Spontan drängte sich der Eindruck auf, daß sich der sonderbare Orchesterklang und die eigenartig wabernden Gesangspassagen der Solisten über weite Strecken anhörten wie bei einem rückwärts abgespielten Tonband, solch ein Vergleich trifft es hier am ehesten. Und möglicherweise mag Sciarrino solch ein Novum vorgeschwebt haben beim komponieren dieses Stücks, vielleicht war so etwas seine Intention bei der Erschaffung von neuen mysteriösen, überraschenden und kuriosen Tonkünsten.
Doch der ungewöhnliche Klang des Orchesters geriet schnell in den Hintergrund und wurde zur Untermalung dank der spannenden, der griechisch-römischen Mythologie entlehnten Handlung von Venus, der Göttin der Liebe und der Erotik, und Adonis, dem Sinnbild der männlichen Schönheit.
In der ausgefeilten Regie von Georges Delnon und in den dezenten, geschmackvollen und unaufdringlichen Bühnenbildern von Varvara Timofeeva in Kombination mit speziellen Lichteffekten (Carsten Sander) und stimmungsvollen Videoeinspielungen dunkler Wolken (Marcus Richardt) entwickelte sich das Geschehen von Venus, die ihren Gatten Mars mit Adonis hintergeht. Mit Hilfe von Amor will Mars die beiden Liebenden trennen, und so schmuggelt Amor einen Liebespfeil in Adonis' Köcher. Auf der Jagd nach „Il Mostro“, dem Ungeheuer - in der antiken Mythologie ein Eber -, trifft diesen der Liebespfeil Amors, so daß Il Mosto in Liebe zu Adonis entbrennt und diesen während des ungestümen Liebesspiels zerfleischt. Der Blick in die Augen bewirkt den Rollentausch der beiden. Adonis hat sich in Il Mostro verwandelt und er steht vor seinem eigenen zerfleischten Körper. Venus erkennt nicht, daß Il Mostro nun Adonis ist, und sie verzaubert den zerfleischten Körper in eine Anemonenblume. Die ewige Frage nach Liebe und Tod, was Liebe eigentlich ausmacht, ob der Tod immer das Ende bedeutet und ob die Liebe den Tod besiegen kann, bleibt auch hier offen.
Die von Marie-Thérèse Jossen entworfenen Kostüme waren recht phantasievoll, jedoch wirkten die langen beigefarbenen Kleider unter weißen Mänteln zumindest bei Mars und Vulcano recht eigenartig.
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Layla Claire, eine auch in moderner Musik erfahrene Sopranistin, war Venus ganz in Weiß gekleidet mit roten Augenringen, Randall Scotting sang den Adonis mit eckigem Countertenor, und Kady Evanyshyn lieh dem Amor ihren frischen lyrischen Mezzosopran. Evan Hughes sang Il Mostro mit seinem kräftigen, barock-geschultem Bass-Bariton, zunächst aus dem Off, während auf der Leinwand schlammartige Projektionen seiner Höhle zu sehen waren. Als Mars und Volcano waren der Tenor Matthias Klink und der Bass-Bariton Cody Quattlebaum besetzt, während die Sopranistin Vera Talerko und der Bariton Nicholas Mogg das Ensemble in der Doppel-Partie „La Fama“ ergänzten. Auch das achtstimmige Vokalensemble in gelben Kostümen überzeugte in seinen Chorszenen.
Als sich nach 70 Minuten der Vorhang senkte, seufzte ein älterer Besucher hinter mir „Gott sei Dank“. Dennoch war dies ein ungewöhnlicher Abend, der von dem nicht gerade zahlreich erschienenen, aber interessierten Publikum mit begeistertem Applaus für alle Mitwirkenden belohnt wurde.