Hamburg, Staatsoper Hamburg, TANNHÄUSER - Richard Wagner, IOCO Kritik, 26.04.2022
TANNHÄUSER - Richard Wagner
- Nach Burnout im Dschungel: Ohne sinnliche Lust inszeniert - aber glänzend musiziert -
von Michael Stange
Tannhäuser ist im Stress. Kornél Mundruczós Inszenierung (Premiere 24.04.2022) zeigt ihn als alternden Hippie im Dschungel, vielleicht in Thailand oder auf Goa. Als er erwacht erblickt er die verlotterte Venus im Bademantel und eine Schar von Hippies, die seine Kinder sein sollen. Von Erotik und Zauber keine Spur. Auch ansonsten lädt die Bruchbude nicht zum Verweilen ein, weil Venus eine schlecht gekleidete Furie ist. Diese Eindrücke dürften ihm den Ort derart verleidet haben, dass er sich an die Heimat und den Klang der Kirchenglocken erinnert. Nach längerem Palaver mit der schäbigen gewalttätigen Schabracke also nichts wie weg. Durch die gespielte längere Pariser Version wird die Flucht erheblich verzögert.
Nach der Abreise landet er in einem Ausläufer des Dschungels und trifft auf seine alten Jagdkumpels. Die Gesellschaft auf die er trifft, macht die Sache nicht besser. Da er aber nun schon einmal da ist, entschließt sich Tannhäuser seinen alten Kumpanen zu folgen und sich in der früheren Heimat umzuschauen. Motiv: die Erinnerung an die Halle der Sängerfeste und Elisabeth, die erotisch berückende Nichte des Jagdherren und Landgrafen Herrmann.
Im folgenden Akt der nächste Schock. In einer kahle Halle, der Hamburger Luisa Miller Inszenierung entlehnt, versehen mit einem riesigen, eine mittelalterliche Minnegesellschaft darstellend Wandteppich, stößt er auf eine spießige Truppe von Jägern. Mit ihren roten Fräcken sehen sie aus, als seien sie gerade durstig von einer Fuchsjagd zurückgekehrt. Ein weiterer Hit sind die imitierten Jagdtrophäen von weißen Hirschen aus Plastik mit Glühbirnen. Da wird nicht mal geschossen, sondern Deko-Schrott aus China bestellt. Die Erinnerung an die Atmosphäre und die Nichte des Jagdpatriarchen Elisabeth hat ihn komplett getrogen. Sie ist eine kurz geschorene verlotterte Frau im Look von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die eine Rede im Deutschen Bundestag oder einen Truppenbesuch vorbereitet. Zudem kungelt sie schon vor der Begegnung mit Wolfram. Schwerer Schock. Aus ist‘s. Das kurz zuvor gefühlte ungestüme Drängen nach Elisabeth ist Tannnhäuser schnell vergangen.
Nun kommt ihm aber der rettende Gedanke, dass ihn die Bande natürlich wieder rausschmeißen wird, wenn er von freier Liebe und Lust singend fabuliert, obwohl er nichts von dem zuvor erlebt hat. Gedacht getan, die tumbe Gesellschaft glaubt dem keuschen Helden und schmeißt ihn raus. Auf nach Rom um Buße zu tun.
Im dritten Akt wieder die bergig bewaldeten Gegend des 1. Aktes, die an den Walkürenfelsen oder den den Grunde des Rheins einer Wagner Inszenierung vergangener Tage erinnert. Im Finale fantasiert Tannhäuser vom Zauber der Venus. Eingedenk der Spelunke des 1. Aktes und dem Wissen, dass seine Vorstellungen vom Zauber der Venus leerer Wahn sind, müssen die Zuschauer beim Wunsch nach Rückkehr in die verkommene Touri-Hütte zumindest schmunzeln. Fraglich bleibt, ob Tannhäuser nicht alle reingelegt hat und gar nicht in Rom war. Sein Look in blütenweißer Hose und blauem Pullover sprechen eher dafür, dass er um die Ecke auf ein Bier an der Alster oder in Toms Peerstall war.
Erwähnenswert auch das Programmheft: Ein kundiger Artikel von Julian Krüper erinnert an die Hamburger Tannhäuser-Interpreten der Vergangenheit und lädt anhand trefflicher Stimmanalysen und vieler Beispiele zu akustischen Museumsbesuchen bei großen Sängern ein. In der Aufstellung der bisherigen Hamburger Aufführungen im Programmheft findet sich auch, dass der wegen seiner Homosexualität in den dreißiger Jahren inhaftierte und verfolgte Hans Grahl dort zwei aufeinanderfolgende Tannhäuser Premieren gesungen hat. Dass Grahl gleichfalls ein bedeutender und stimmmächtiger Hamburger Tannhäuser war ist akustisch belegt. Ihn kann man nicht auf Youtube aber in der 2. Box der lange vergriffenen Edition des Labes Koch „Wiener Staatsoper live“ ein Jahr nach seiner Hamburger Haftentlassung 1938 als Parsifal in Wien hören.
Klaus Florian Vogt ist Tannhäuser: Seine Stimme wird in diesem Artikel des Programmhefts als helle, manchmal beinahe ins Knabenhafte changierende Stimme beschrieben, die nicht den üblichen Klangerwartungen an Wagners schwere Helden entspricht. Dies trifft zu, weil er infolge des weißlichen Farbtons seiner Stimme sein Timbre nicht verändern und keine baritonalen oder verschatteten, sinnliche berückenden Töne durch Variationen der Stimmfarben produzieren kann. Für diese unsinnliche Tannhäuser-Produktion ist dies aber ein immenser Vorteil. Hier steht ja kein sinnenfroher Lust und Liebe preisender Protagonist auf der Bühne, dem man seine Abenteuer mit Venus neidet, sondern ein Unerfüllter, der leidet und zumindest auf der Bühne nichts von dem erlebt hat, was er besingt. So entsteht in der gesanglichen Interpretation durch Verzicht auf jede Sinnlichkeit ein völlig anderes Rollenportrait als das Tradierte. Vogt ist als Protagonist stimmlich überaus sicher und ihm gelingt in der zweiten Hälfte der Romerzählung eine intensive Gestaltung. Ein Gewinn ist zudem seine ungemein wortdeutliche Gestaltung der Partie.
Jennifer Holloway als Elisabeth erscheint optisch so, als habe sie mindestens eine Woche im Kostüm geschlafen. Die Partie singt sie entsprechend müde und ohne gewinnende oder verlockende Momente. Dadurch verdeutlich sie ihren maßgeblichen Anteil an der Flucht Tannhäusers. Schon in der Mittellage wird die Stimme wackelig und hohe Töne werden unter hörbarer Kraftanstrengung produziert.
Christoph Pohl war ein ungemein klangschöner Wolfram. Mit ansprechend vollem Heldenbariton war er ein ernstzunehmender Widersacher Tannhäusers um die Gunst Elisabeths. Schon bei der Begrüßung Tannhäusers im 1. Akt ließ er aufhorchen und gestaltete mit lyrischem Einschlag seinen Beitrag des Sängerkriegs. Im 3. Akt gestaltete er mit bestrickenden Kantilenen das Lied an den Abendstern und überzeugte mit dramatischer Wucht im Streit mit Tannhäuser im Finale. Georg Zeppenfeld gab einen lyrischen klangschönen Landgrafen Hermann mit warmen Stimmklang deutlicher Textur und großer Autorität.
Daniel Kluge als Walther von der Vogelweide, Levente Páll als Biterolf, und Jürgen Sacher als Heinrich der Schreiber überzeugten in ihren Partien durch ungemein schönen Gesang gepaart mit schauspielerischer Involviertheit. Tanja Ariane Baumgartner war eine Venus mit gaumig kehliger Mittellage und teilweise stark gestemmten Spitzentönen. In ihrem Bademantel gemahnte sie eher an eine unansehnliche Reinigungskraft. Ihre Vulgarität entlud sie in der körperlichen Gewalt gegenüber Tannhäuser.
Der Hirt war Florian Markus, der seine anspruchsvolle Rolle mit betörendem Knabensopran und großer darstellerischer Teilnahme ausfüllte. Eine erfrischende Idee, den Hirten mit einem Sänger zu besetzen, dessen Timbre dem des Protagonisten gleicht.
Die Glanzleistung des Abends verbuchten Dirigent, Chor und Orchester. Kent Nagano war ein begnadeter, erfahrener und kundiger Sachwalter von Wagners Werk. Elegisch ging er das Vorspiel an und nahm das Bacchanale verhalten innig, als sei es eine Erinnerung an lange vergangene Lust. Tannhäusers Dialog mit Venus wird detailliert ausgefeilt, der Pilgerchor zelebriert und das Finale aufleuchtend genommen. Orchestrale und chorale Pracht durchfluten den 2. Akt. Elegisch und mit dramatisch ekstatischem Feuer der 3. Akt. Die Romerzählung wird zurückhaltend und innig genommen und im Finale fulminant gesteigert. Die Sänger trägt er auf Händen.
Bei Wagner und Strauss ist Kent Nagano in seinem Element und präsentiert mit dem glänzend aufgelegten Hamburgischen Staatsorchester einen musikalisch fulminanten Tannhäuser. Zum Gelingen trug maßgeblich der exzellente Chor unter der Einstudierung von Eberhard Friedrich bei. Frenetischer Applaus schon vor dem 2. und 3. Akt und am Schluss belohnten diese Meisterleistungen.
Ein musikalisch packender Tannhäuser mit interessanten Solistinnen und Solisten in einer optisch gefälligen Inszenierung
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