Hamburg, Staatsoper Hamburg, Manon Lescaut - Giacomo Puccini, IOCO Kritik, 29.09.2021
Manon Lescaut - Giacomo Puccini
15.9. - Konzertante Aufführung auf Festivalniveau
von Michael Stange
Giacomo Puccini war der letzte große Zauberer der italienischen Oper. Seine Melodien treffen die Nerven, rütteln auf und lassen gleich einem Hollywood-Thriller das Blut in den Adern gefrieren. Diesen Cocktail hat er schon in seiner dritten Oper Manon Lescaut gemixt. Sie zeigt den ganzen Puccini, der seine blutig reißerischen Opernstoffe auf italienische Art, mit verzweifelter Leidenschaft zelebriert.
Er war damit noch mehr als Richard Wagner oder Richard Strauss der zentrale Vorreiter der heutigen Filmmusik. Er verdichtete seine Dramen pointiert auf wirksame Effekte und rollte sie in einzigartiger plakativer Wirkung aus. In seine Fußstapfen trat dann Erich Wolfgang Korngold mit seinen Opern und den Filmmusiken zu Errol Flynn-Filmen.
In Manon Lescaut reiht Puccini Szenen aus dem Roman L’histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut des Abbé Prévost. Der arme Adlige des Grieux verliebt sich in das Bürgermädchen Manon. Sie fliehen gemeinsam aber wenig später wird sie von ihrem Bruder mit dem reichen Geronte verkuppelt. Als sie erneut mit des Grieux fliehen will sorgt Geronte mit der Beschuldigung des Diebstahls von Schmuck für ihre Verhaftung und Verurteilung. Sie wird nach Amerika verbannt. Nach einer gemeinsamen Überfahrt stirbt Manon erschöpft in des Grieux Armen.
Leidende Frauen, die am Ende sterben, Gewalt, Ausbeutung und Tod sind zentrale Elemente in Puccinis Oevre. Die Radikalität der leidenschaftliche Liebe und sinnlichen Passion Prévosts als Alltagsstoff wird durch Puccinis ausgewählte dramatische Szenen noch gesteigert und mit dramtischer, neuartiger melodischer Extase angereichert. Seine Opern nehmen so viele Elemente späterer Dramen des Films vorweg. So war seine Fanciulla del West der erste vertonte Western. Massenets Manon wird hier um das das Drama, die dunklen Seiten der Protagonisten, Ausweglosigkeit und die Verzweiflung gesteigert.
Puccini rettete mit seinen Kompositionen Ende des neunzehnten Jahrhunderts die tonale Oper als genussvolle Kunstform über die Jahrhundertwende und ergänzte sie um wirkungsvolle Stoffe und geniale musikalische Einfälle. Dies war sein bis heute wirkendes Markenzeichen und Erfolgsmodell. Er badete sein Publikum in sinnlicher Musik, rauschhaften Emotionen und fing es wie ein Magier ein. Seinen Interpreten hat er einiges abverlangt. Puccinis Werke zeichnen sich durch schwierige kompositorische Einfälle und mächtige Orchesterwogen, die die Protagonisten gesanglich und darstellerisch extrem fordern aus. Dies macht große Aufführungen selten und zu immensen Herausforderungen für die Protagonisten.
In Hamburg ist das in dieser konzertanten Aufführung vollendet gelungen. Nach der der fulminanten Manon Massenets wurde nun ein mitreißender Puccini gegeben. Sind die Beteiligten suggestiv sowie involviert, kann das Konzert kann tiefer zum Kern des Werks vordringen, weil sich das Werk allein trägt und sich Fragen zur Deutungen der Inszenierung oder zu welchem Stück das Bühnenbild gehört, nicht stellen.
Das Orchester war auf der Bühne platziert, der Chor coronagerecht in den äußeren oberen Rängen positioniert und die Sänger agierten vor dem Orchester. Der Hörbarkeit der Musik kam dies sehr zu Gute. Die Hamburgische Staatsoper mit ihren vier Rängen gleicht im Innenraum einem hochkant stehenden Schuhkarton. Aus dem breiten aber in der Tiefe nicht üppig dimensionierten Orchestergraben klingt das Orchester je nach Sitzplatz manchmal leise, verschattet und wenig detailreich. Die Orchesterfarben offenbaren sich nicht in der Vielfalt, wie bei der Positionierung auf der Bühne. So entfaltete sich in dieser Aufführung eine selten gehörte Orchesterpracht.
Ein immenser Faktor für das Gelingen des Abends war das Dirigat von Francesco Ivan Ciampa. Er debütierte an der Hamburgischen Staatsoper. Mit 39 Jahren ist er einer der gefragtesten und musikalisch reifsten jüngeren italienischen Dirigenten. Er leitete zahlreiche der diesjährigen Aufführungen in der Arena von Verona, studierte in Rom, war unter anderem Assistent von Antonio Pappano und ist derzeit neben zahlreichen internationalen Gastverpflichtungen Leiter des Philharmonischen Orchesters von Benevento. Er riss das Philharmonische Staatsorchester mit Verve und Glut mit. Schwelgerische Tempi, glutvolle Attacke, pulsierende Vitalität und immense Melancholie und eine differenzierte Umsetzung der Nuancen der Partitur der fügten sich ineinander. Die Musiker waren immens konzentriert und unglaublich involviert. Die Vielfalt der Klangfarben, spielerische Qualität und Ausdrucksvariationen waren von einzigartiger Qualität. Großer Applaus nach dem Vorspiel zum 3. Akt und nach der Vorstellung dankten ihm und dem Orchester diese phänomenale Leistung.
Der Chor meisterte trotz der schwierigen Positionierung seine Aufgabe mit großem Einsatz und klangschönem Ton.
Charmant spitzbübisch und eloquent trat Intendant Georges Delnon vor der Vorstellung auf die Bühne und schilderte die Schwierigkeiten Kristine Opolais für die erkrankte Sona Yoncheva zu gewinnen. Erst zwei Stunden vor der Vorstellung war sie von Riga über Warschau eingetroffen und rettete die Vorstellung.
Kristine Opolais ist eine versierte, glühend leidenschaftliche Puccini-Interpretin, die sich in ihren Rollen verzehrt. Nach ihrem jüngsten Erfolg als Tosca auf der Grazer Schlossbergbühne zeigte sie sich dramatisch noch involvierter vermittelte ein eindringliches Portrait von Manons Leidenschaft und Seelenqualen. Mit berückendem Timbre, immensem Stimmumfang und großer Wandlungsfähigkeit lieferte sie von inniger Liebe bis zur tiefen Verzweiflung ein bewegendes Portrait aller Facetten der liebend leidenden Frau. Sie ist eine der großen Puccini Stimmen dieser Tage und erweckt mit ihrer Bühnenpräsenz selbst konzertant die Rollen in beeindruckender Suggestivitä?t.
Brian Jagde war mit seinem dramatischen klangschönen Tenor eine idealer des Grieux. Er vereint ein baritonales Fundament, eine klangschöne Mittellage und eine metallische Höhe. Schon als Fremder in Korngolds Wunder der Heliane machte er 2019 in Berlin Furore. In den ersten beiden Akten setze er seine mächtigen Stimmmittel rauschhaft unbekümmert ein. Ab dem 3. Akt fand er zu subtilen Tönen und inniger Gestaltung. Seine Leistung wäre noch beglückender gewesen, wenn er seine später eingesetzten sinnlichen Farben schon vom Anfang ausgespielt hätte. Ein eindrucksvoller Tenor.
Kartal Karagedik hat mit dem Lescaut seine Entwicklung zum dramatischen italienischen Bariton mit dieser überragenden Rolleninterpretation gekrönt. Noch mächtiger und intensiver als im Hamburger Ballo in Maschera konnte er mit bass-baritonaler Markanz und klangschöner mächtiger Höhe punkten. Intensiv gestaltet er das Duett mit Manon und prunkte mit belkantesker Stimmkultur. Als Geronte lieferte Tigran Martirossian ein rollendeckendes Portrait. Als Musikant überzeugte Gabriele Rossmanith mit leuchtendem Sopran.
Eine grandiose Aufführung. So macht Oper Spaß. Beachtlich, zu was für einer Hochform die Hamburgische Staatsoper nach der langen Corona-Pause gefunden hat. Als nächste konzertante Aufführung wäre eine Forza del Destino mit der gleichen Besetzung willkommen.
---| IOCO Kritik Staatsoper Hamburg |---