Hamburg, Staatsoper Hamburg, Manon - Jules Massenet, IOCO Kritik, 08.02.2022
MANON - Jules Massenet
- Tragödie einer Liebe -
von Wolfgang Schmitt
Erst im Dezember 2021 gab Pretty Yende ihr sensationelles Debüt an der Hamburger Staatsoper als Violetta in einer Aufführungsserie von La Traviata, nun ist sie wieder hier und präsentiert sich dem Hamburger Publikum als Manon. Aufgrund einer plötzlichen Erkrankung der vorgesehenen Sopranistin Elbenita Kajatzi erklärte sich Pretty Yende spontan bereit, die Manon relativ kurzfristig zu übernehmen, und es war phantastisch zu sehen, wie wunderbar professionell sie sich mit nur wenigen Proben in diese Inszenierung einzufügen und den Regie-Intentionen offenbar problemlos zu folgen verstand.
Über diese gelungene, aufregend spannende Inszenierung von David Bösch hatte ich bereits an dieser Stelle im Februar 2021 ausführlich berichtet.
In der jetzigen Wiederaufnahme-Serie gab es viele Umbesetzungen gegenüber dem Manon Video-Streaming - link HIER! - und der Publikumspremiere im Februar 2021. Den Des Grieux sang jetzt Enea Scala, ein junger italienischer Tenor von sympathischer Ausstrahlung und einer leicht angedunkelten, kräftigen klangvollen, in allen Lagen technisch perfekt sitzenden Stimme und mühelosem, durchschlagskräftigen Höhenregister. Aber auch in den lyrischen Passagen wie in seiner großen Arie im vierten Bild, „Ah fuyez douce image“ konnte er vollends überzeugen und seine Stimme sanft und gefühlvoll einsetzen. In seiner Darstellung als leidenschaftlich liebender und verzweifelt leidender Des Grieux ließ er ebenfalls keine Wünsche offen. Als Lescaut gefiel Thomas Oliemans aus den Niederlanden mit kernigem Bariton und machohafter Attitüde, besonders im ersten Bild des dritten Aktes, wenn er mit Kokain und Geldscheinen um sich wirft und in Rock-Star-Manier die Arie „O Rosalinde“ zum Besten gibt. Die Wandlung vom Zuhälter-Typ über den drogensüchtigen Lebemann bis hin zum heruntergekommenen Junkie konnte auch er eindrucksvoll darstellen.
Wilhelm Schwinghammer in der Partie des noblen Grafen Des Grieux mit seinem klangvollen, sicher geführtem Bass sah eigentlich etwas zu jung aus für diese Vaterrolle.
In der Partie des Guillot-Morfontaine, dem reichen, adligen Lebemann und Gutsbesitzer, bot James Kryshak als gedemütigter und rachsüchtiger Gönner Manons mit seinem hell timbrierten Charaktertenor auch darstellerische Intensität. Alexey Bogdanchikov als eleganter, dem Vergnügen nicht abgeneigter Adliger de Brétigny ließ seinen wohlklingenden Kavaliersbariton gewohnt zuverlässig hören, während David Minseok Kang dem brutal wirkenden, das Beil schwingenden schmierigen Wirt seine noble Bass-Stimme lieh. Einen aparten stimmlichen Gleichklang lieferten die „leichten Mädchen“ Pousette, Javotte und Rosette – Tahnee Niboro, Stephanie Wake-Edwards und Catrione Morison. Colin-André Schöning und Han Kim als Gardisten rundeten das engagiert singende und spielende Ensemble ab.
Vom ersten Moment ihres Auftritts an war Pretty Yende als Manon mit ihrer aparten Erscheinung der Mittelpunkt des Geschehens. Wie sie als „Mädchen vom Lande“ mit großen neugierigen Augen die schäbige Schenke betrat und sich staunend umblickte, die schrillen Kostüme der drei Mädchen bewunderte, die aufdringlichen Herren Guillot und Brétigny abwehrte - sie hatte sich die gesamte Szenerie schnell zu eigen gemacht. Auch ihren Auftritt im dritten Bild, dem „Las-Vegas-Casino“-Bild, als „Nachtclub“-Sängerin im Glitzerkleid mit der Arie „Je marche sur tous les chemins“ absolvierte sie glamourös. Ihre Szenen und Duette mit Des Grieux - im ersten Akt „Nous vivrons à Paris tous les deux“ klang es noch heiter, fröhlich und unbeschwert - im zweiten, dritten („N'est-ce plus la main“, „Oui, c'est moi“) und dem letzten Akt gerieten sie anrührend und hochemotional.
Gesanglich ließ Pretty Yende wiederum keine Wünsche offen. Wie bereits im Dezember als Violetta offenbarte sie auch hier als Manon ihren makellosen, warm timbrierten edlen Sopran mit glasklaren, silbrigen Spitzentönen und gestochenen, herrlich perlenden Koloraturläufen. Mit ihrer natürlichen, vollkommen ungekünstelten Art des Singens und den bestechenden Phrasierungen, insbesondere in der Arie „Adieu notre petite table“, zog sie das Publikum in ihren Bann.
Das Philharmonische Staatsorchester hatte einen sehr guten Abend, Dirigent Nicolas André war den Solisten ein einfühlsamer, aufmerksamer Begleiter, auch der von Eberhard Friedrich bestens einstudierte, in den oberen Seitenlogen platzierte, reduzierte Chor bekam seine Einsätze vom Dirigenten, so daß es auch hier keinerlei Unstimmigkeiten gab.
Am Ende gab es Ovationen, natürlich für Pretty Yende, ihrer wiederum sensationellen Leistung und ihrer Bereitschaft, diese Vorstellung so kurzfristig zu übernehmen, aber auch für Enea Scala, Thomas Oliemans und fürs Orchester unter der kompetenten Leitung von Nicolas André.
Manon an der Staatsoper Hamburg; die weiteren Termine 9.2.; 12.2.2022
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