Hamburg, Staatsoper Hamburg, Lucia di Lammermoor - Gaetano Donizetti, IOCO Kritik, 24.10.2021
LUCIA DI LAMMERMOOR - Gaetano Donizetti
von Wolfgang Schmitt
Eigentlich sollte die Premiere von Lucia di Lammermoor an der Staatsoper Hamburg schon am 7. März 2021 stattfinden, doch der Corona-Lockdown machte dieser Planung einen Strich durch die Rechnung. Immerhin wurde diese Neuproduktion damals fürs Streaming aufgezeichnet, und man konnte sie sich ab Mai ansehen.Nun endlich, am 19. Oktober, ging diese Produktion als „Publikumspremiere“ über die Bühne.
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Das Bühnenbild von Christian Schmidt war zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Der Zuschauer blickt in ein Treppenhaus, welches eher an das Entrée einer russischen Mietskaserne erinnert als an ein verwunschenes schottisches Schloss, rechts davon das Arbeitszimmer von Enrico Ashton mit wuchtigem Schreibtisch und einem Pferdekopf-Gemälde, darüber in der 1. Etage das karge Zimmer Lucias mit einem breiten Bett. Den Fokus ihrer Inszenierung legt Regisseurin Amélie Niermayer auf die Rolle der Frau in einer Männerwelt, ihre Unterdrückung durch dieselben, und ihre Rebellion, die schließlich in dem hier nun sehr anschaulich dargestellten Mord an ihrem Bräutigam gipfelt. In zwei Szenen treten Enrico und Lucia als Kinder auf, die veranschaulichen, daß Enrico seine Schwester bereits im Kindesalter unterdrückt und gemaßregelt hat. Des weiteren gibt es gleich zu Beginn wie auch später im Verlaufe der Handlung Videoprojektionen von acht Multi-Kulti-Frauen, deren Vorbild südamerikanische Kämpferinnen gegen die Unterdrückung der Frau sein sollen, jedoch auch ohne diese – in neueren Opernproduktionen offenbar leider unvermeidlichen – Videoproduktionen (von Jan Speckenbach in der Choreographie von Dustin Klein) hätte diese Inszenierung ihre eindrückliche Wirkung nicht verfehlt.
Der Chor ward wiederum in den Seitenlogen platziert, auf der Bühne agieren neben den Protagonisten 15 maskierte Statisten. Lucia trägt ein rotes Kleid, die Männer Maßanzüge, Enrico zu Beginn eine Reiterkluft mit Stiefeln, Arturo Bucklaw ein dandyhaftes Outfit in beige und cremefarben, Edgardo ist in schwarzgraues Leder gekleidet (Kostüme Kirsten Dephoff).
Der Braut-Akt geriet zu Beginn allzu karnevalesk, als die 15 Herren Statisten plötzlich in giftgrünen Taftkleidern mit Puffärmeln und Jungfernkränzen auf den Köpfen die Szene betraten und Lucia in ihrem aufwendigen Brautkleid huldigten.
In der Titelpartie der Lucia konnte Venera Gimadieva stimmlich überzeugen. Ihr Sopran verfügt über einen samtenen Klang mit strahlendem oberen Register und perfekt sitzenden Spitzentönen. Darstellerisch machte sie das beste aus ihrer Partie, besonders intensive Momente hatte sie in ihrer Szene mit Enrico, als sie ihn auch physisch attackiert, und in der drastischen Szene, als sie, in ihr Brautkleid gehüllt, ihren ihr aufgezwungenen ungeliebten Bräutigam Arturo massakriert. Ihre Wahnsinnsszene, die man sich noch weitaus intensiver gestaltet gewünscht hätte, wurde hier von der Glasharmonika statt von der gewohnten Flöte begleitet.
Die Überraschung des Abends war Oleksiy Palchikov als Edgardo, den wir bislang in rein lyrischen Tenorpartien hörten. Sein stimmschöner, hell timbrierter, metallischer Tenor erwies sich als kraftvoll, und sowohl in der Höhe als auch im tieferen Register kamen dessen Klangfarben vorzüglich zur Geltung. Seine beiden Arien im letzten Bild gerieten zu den Höhepunkten des Abends, auch in seiner Darstellung des verzweifelten Liebenden ließ er keine Wünsche offen.
In der Streaming-Aufzeichnung war Francesco Demuro der Edgardo. Auch er war ein eher lyrischer Tenor von sympathischer Erscheinung und angenehmem Stimmklang. Seine Spitzentöne gelangen jedoch manchmal dissonant, doch konnte auch er als intensiver Darsteller punkten. Alexey Bogdanchikov bewältigte die Partie des Enrico souverän und notengetreu, sein Bariton ist angenehm timbriert und volltönend, darstellerisch agiert er dramatisch autoritär. In der Streaming-Aufzeichnung war Christoph Pohl der Enrico, er nahm mit klangschönem Bariton und eleganter Erscheinung für sich ein.
Alexander Roslavets bot als Raimondo seinen intakten Bass. Die beiden Tenöre Daniel Kluge als Normanno und Seungwoo Simon Yang als dahingemeuchelter Bräutigam Arturo, sowie die Altistin Kristina Stanek als Lucias Vertraute Alisa füllten ihre Partien zuverlässig aus.
Das Philharmonische Orchester unter der kompetenten, umsichtigen Leitung von Giampaolo Bisanti bot teils mitreißende Dramatik, teils unsentimentale Durchsichtigkeit, auch dem von Christian Günther perfekt einstudierten, in den Seitenlogen platzierten Chor gab er aufmerksam die Einsätze, so daß es keinerlei Unstimmigkeiten zwischen Bühne, Orchester und Chor gab und keine Wünsche offen blieben.
Am Ende dieser „Publikumspremiere“ gab es nicht enden wollenden Beifall für den Dirigenten und das Orchester, für die Lucia und ganz besonders für Edgardo
Lucia di Lammermoor an der Staatsoper Hamburg, die weiteren Termine: 23.10.; 26.10.2021, 5.1.; 8.1.; 11.01.; 14.01.2022.
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