Hamburg, Staatsoper Hamburg, LADY MACBETH VON MZENSK - D. Schostakowitsch, IOCO Kritik, 25.01.2023
LADY MACBETH VON MZENSK - Dmitri Schostakowitsch
- Gewalt als Gesellschaftsnorm ersetzt die Liebe -
von Michael Stange
Angst, Verzweiflung, Selbstverleugnung und der Zwang, die Schöpferkraft politischen Repressalien und einer möglichen Verurteilung unterzuordnen prägten Dmitri Schostakowitschs (1906-1975) Leben. Werk und Wirkung wurden so wesentlich von seiner tragischen Biografie geprägt. Er steht beispielhaft für das Grauen des Stalinismus und die Lage politisch Verfolgter in der Sowjetunion. Für Schostakowitsch und seine Zeitgenossen waren Todes- oder Existenzängste zeitlebens prägend. Verfolgung erfolgte subtil und ohne Regeln. Zumindest in den dreißiger Jahren waren neben Schostakowitsch auch hohe Funktionäre oder Militärs stets im Ungewissen, ob sie den nächsten Tag noch in Freiheit erleben oder in den Gulag geschickt oder erschossen würden.
Aus deutscher Perspektive ist diese unberechenbare Art der Verfolgung, der Schostakowitschs ausgesetzt war, weniger bekannt und dadurch schwerer nachvollziehbar. Im Dritten Reich, der DDR oder teilweise auch in der frühen Bundesrepublik, gab es einen gewissen Kodex, was der Kunst und Künstlern erlaubt war, was sie zu leisten hatten und wer von vornherein wegen bestimmter Kriterien wie Herkunft oder politischer Einstellung vom Kunstbetrieb ausgeschlossen war. Im Dritten Reich waren Missliebige und Verfolgte von vornherein verboten, wurden vertrieben oder verfolgt. Ausnahmen lassen sich im Musikbereich nahezu an einer Hand abzählen. Prominente Beispiele im 3. Reich waren 1933 der Fall Paul Hindemith, die Uraufführung der Oper Die Schweigsame Frau von Richard Strauss im Jahre 1934 oder die Absetzung der Oper Das Schloss Durande des Schweizer Komponisten Otmar Schoeck 1943 vom Spielplan der Berliner Staatsoper; auf Intervention Hermann Görings.
In der Sowjetunion lag der Fall anders. Schostakowitsch soll sich hinsichtlich seiner Verfolgung dahingehend geäußert haben, dass Stalin nicht die Spur einer Ideologie, keine Ideen, keine Theorien, keine Prinzipien besaß. Er benutzte von Fall zu Fall die vorhandenen Möglichkeiten, um seine Untertanten optimal zu tyrannisieren, in Furcht und Schrecken zu halten. Tyrannen und Henker haben keine Ideologie, sie sind nur von fanatischer Machtliebe besessen. So war er nach dem Verbot der Lady Macbeth von Mzensk auf Weisung Stalins in einer hoffnungslosen Lage.
Schostakowitschs „Memoiren“, bringen trotz ihrer zweifelhaften Authentizität sein Leben und seine Überlebensstrategie auf den Punkt. Als eine spezielle Form der Selbstverteidigung wird dort dargestellt, dass Künstler, wollen sie nicht gesteinigt werden, behaupten müssen, sie schrieben an dem und dem Werk dessen Titel bombastisch klingen muss. Dazu schreibt man ein Quartett und empfindet leise Befriedigung. Den Potentaten aber erklärt man, eine Oper „Karl Marx“ oder „Junge Garde“ reife heran. Dann verzeihen sie dir das Quartett als Freizeitbeschäftigung und lassen dich in Ruhe. Unter dem mächtigen Schutz dieser „schöpferischen Pläne“ kann man dann ein Jährchen oder zwei unbehelligt leben. Selbst wenn Solomon Volkov die Aussagen Schostakowitschs erfunden hätte, bringen sie sein wirkliches Leben auf den Punkt. Die Ironie der Aussage „verniedlicht“ makaber das Leben des Komponisten. In Wahrheit lebte Schostakowitsch bis in die fünfziger Jahre in ständiger Todesangst, musste immer damit rechnen, in Ungnade zu fallen, wenn er keine „systemtaugliche“ Musik schrieb.
Diese Situation erzeugte sein widersprüchliches Schaffen zwischen Gewolltem und Sagbaren.
Wie auch Bulgakow in Der Meister und Margarita zeichnete Schostakowitsch zunächst in seiner Oper Die Nase ein bizarres Sittengemälde der Gesellschaft und des Staates. Schon diese Oper wurde nach sechzehn Vorstellungen 1930 von den Spielplänen genommen. Man warf ihr damals das Fehlen eines positiven Helden, den Einfluss westeuropäischer Kompositionsmethoden sowie den so gennannten Formalismus vor. Diese Einschätzung seines Schaffens prägte das Bild Schostakowitschs in der Sowjetunion bis in die sechziger Jahre.
Insofern hat Katerina Ismailova, die Protagonistin der Lady Macbeth von Mzensk, auch etwas Autobiografisches. In ihrer und der russischen Welt, in der sich Schostakowitsch später befand, gab es keine gesunde Wirklichkeit, in der Menschen sich frei entfalten konnten. Schostakowitsch und seine Heldin waren geschundene Kreaturen die in oppressiven Systemen ihren Weg suchen mussten.
Mit der Oper Lady Macbeth von Mzensk hat Schostakowitsch auch die Unterdrückung der Frau und ihren Kampf um Emanzipation portraitiert. Nach einer literarischen Vorlage von Nikolai Leskow komponierte Schostakowitsch ein Werk, in dem die Titelheldin Katerina, eine bürgerliche Kaufmannsfrau, ihren Mann mit dem Arbeiter Sergej betrügt. Als ihr Schwiegervater dies entdeckt ermordet sie ihn mit Rattengift. Ihren Mann, der das Paar bei seiner Rückkehr nahezu in Flagranti ertappt, ermorden Sergej und Katerina gemeinsam. Dafür zur Zwangsarbeit verurteilt stürzt sich Katerina in der Verbannung von einer Brücke. Zuvor ermordet sie ihre Nebenbuhlerin Sonjetka, mit der Sergej sie betrogen hat.
Motiv für diese Morde sind besessene Leidenschaft, die Liebe zu einem Mann und am Ende der Wahnsinn Katerinas, der sie zu diesen Taten und in den Tod treibt. Schostakowitsch ergänzte diese Vorlage aber mit wesentlichen eigenen Interpretationen.
Dramatisch ist Katerina für Schostakowitsch eine Frau, die an den alptraumhaften Zuständen im vorrevolutionären Russland scheitert und die durch die Gesellschaft und ihre Zwänge in ihr Verbrechen stürzt. Diese Zustände, die herrschende Zwänge und die Willkür wollte er beschreiben.
Die Musik ist keine reine Begleiterin, sondern auch das im Untergrund Wirkende, das die Wahrheit beschreibt. Fesselndes und Abstoßendes sind Elemente des Klangbildes. Groteske Walzerpersiflagen paaren sich mit überzeichneten Galopps. Volksliedfetzen blitzen auf, es wird geflüstert und Anlehnungen an altrussische Chöre erklingen. Die Musik der Verführungsszene von Katerina und die Attacke der Männer auf Aksinja sind tonale Gemälde voller Brutalitäten und Banalitäten. Musikalische Überzeichnungen, Parodie und Groteske zeichnen das Bild einer verrotteten Gesellschaft. Anlehnungen an Hindemith, Krenek, Alban Berg und Mahler werden durch Schostakowitsch mit immenser Erfindungskraft zu einer kraftvoll packenden eigenen Musiksprache geformt.
Die Oper ist durch eine eigenartige neurotische Suggestivität geprägt mit der sie abstößt aber zugleich fasziniert. Ihre immense Eindringlichkeit packt die bei den Zuhörern bei den Nerven und lässt zuweilen den Gedanken aufblitzen, man können sich zu den Personen auf der Bühne entwickeln, wenn man ihr lang genug ausgesetzt sei.
Die in Russland geborene Filmregisseurin Angelina Nikonova führte Regie. Einfühlsam hat sie in ihrer ersten Opernregie das Werk auf die Bühne gebracht. Sie und die Bühnen- und Kostümbildnerin Varvara Timofeeva führen durch Schostakowitschs Welt und lassen genug Raum für das selbstständige Eintauchen der Zuschauer in die Handlung.
Die ersten drei Akte spielen in einem landwirtschaftlichen Betrieb. Ein Wirtschafts- und ein Wohngebäude, das durch ein senkrecht stehendes Bett gekennzeichnet beherrschen in den ersten Akten die Bühne. Der 4. Akt spielt am Liegeplatz eines Frachtkahns den die Gefangenen ziehen. Dieses dörfliche Milieu mutet durch die Kostüme und die Projektion der winterlichen Natur auf der Leinwand im Hintergrund zunächst so idyllisch an, so als sei man zu einem Spaziergang eingeladen.
Bald aber merkt man, wie es brodelt. Im romantisch anmutenden Dorf langweilt sich Katerina, der Schwiegervater quält sie und die Dorfbewohner missachten und respektieren sie nicht. Diese Ausgangslage verdeutlicht, dass das Böse unterschwellig herrscht und nicht sofort sichtbar ist. Die Charaktere sind durch die Personenführung scharf und nachvollziehbar gezeichnet. Die dramatische Entwicklung wird durch die lebendige und einfühlsame Gestaltung der jeweiligen Charaktere behutsam begleitet.
Dies macht die Inszenierung an der Staatsoper Hamburg so eingängig. Schostakowitsch hat mit der Lady Macbeth von Mzensk der vergangenen, seiner und unserer Zeit den Spiegel vorgehalten. Im Verlauf des Stückes beschleicht den Zuschauer Dank der farbenfrohen Bilder der Eindruck, die Gewalt bliebe immer unter der Oberfläche ungeachtet der Herrschaftsform. So tragen die Polizisten, die Katerina und Sergej festnehmen die Uniformen der Sowjetzeit der siebziger Jahre.
Da liegt auch der Gedanke nicht fern, dass Gewalt in der Gesellschaft Russlands von Leskov über Schostakowitsch bis zu Putin nie geendet hat und diese maßgebliche gesellschaftliche Prägung auch Ursache für die Verbrechen in der Ukraine und ihre Billigung durch eine breite Mehrheit in der Bevölkerung sind.
Als Katerina Ismailova debütierte Camilla Nylund. Burschikos gekleidet im ersten Bild, wie ein wohlhabender Kaufmann, muss sie sich der Wirklichkeit stellen und von ihrem Schwiegervater und den Angestellten vieles erdulden. Stimmlich gelingt es ihr ausgezeichnet diese verletzte geschundene Seele darzustellen. Ihre lyrisch leuchtende Stimme bleibt stets in der Gesangslinie. Dramatische Attacke paart sie mit kantablem Schmelz und ekstatischen Ausbrüchen. In den dramatisch-theatralischen Passagen überzeugt sie durch ihre warmen Stimmfarben. Leidenschaftlich wirft sie sich in die Rolle, die sie mit ihrer eindringlichen Gestaltung phänomenal gestaltet. Ein großes Rollendebut.
Als ihr Liebhaber Sergej glänzt Dmitry Golovnin. Mit hellem, trompetenhaft durchschlagskräftigem aber zugleich klangschönem und farbenreichem Tenor gestaltet er raffiniert und psychologisch differenziert den egoistischen Widerling mit Charme, Verschlagenheit und Brutalität. Vincent Wolfsteiner, gerade noch gefeierter Siegfried im konzertanten Dresdner Ring, überzeugt als Sinowij Borissowitsch Ismailow mit glühendem aufbrausendem höhensicherem Heldentenor. Zwei große Tenöre. Weitere Auftritte in anderen Partien wären ein großer Gewinn.
Alexander Roslavets verkörperte Boris Timofejewitsch Ismailow. Er glänzte mit profundem wandlungsfähigem Bass, mächtiger Attacke und grandioser Bösartigkeit. Eindrucksvoll mit großem Stimmeinsatz und gestalterisch packend, präsentierte er den brutalen Widerling.
Carole Wilson war eine Aksinja mit Attacke und großer Spielfreude. Karl Huml gab mit profundem Bass und großer Komik den Polizeichef. Auch das übrige Ensemble überzeugte durch große stimmliche Leistungen und darstellerischen Einsatz.
Kent Nagano leitete das ungemein exakt und auftrumpfend spielende Philharmonische Staatsorchester mit großem Einsatz und einem immensen Gefühl für die Sänger. Er entfesselte Schostakowitschs Urgewalten mit tiefem Gespür für die ironischen und tragischen Momente der Partitur.
Unter der Leitung von Eberhard Friedrich entfaltete der Chor der Hamburgischen Staatsoper sein ganzes Können und trug maßgeblich zum Erfolg der Premiere bei.
Die beindruckende musikalische Gestaltung gepaart mit der eingängigen Inszenierung können das grandiose Stücke einem breiten Publikum weit über die Operngemeinde hinaus vermitteln.
Ein großer Premierenabend, vom begeisterten Publikum frenetisch bejubelt.