Hamburg, Staatsoper Hamburg, IL TURCO IN ITALIA - Gioacchino Rossini, IOCO Kritik, 16.02.2023
IL TURCO IN ITALIA - Gioacchino Rossini
- Wunderbare, etablierte Inszenierung - Selim kommt nicht mit einem Schiff, sondern schwebt auf einem fliegenden Teppich am Strand von Neapel ein -
von Wolfgang Schmitt
Im Alter von 22 Jahren schrieb Gioacchino Rossini die Oper Der Türke in Italien. Die Uraufführung 1814 dieses Auftragswerkes der Mailänder Scala war allerdings für ihn kein Erfolg, denn das Publikum hielt dieses Werk eher für einen Abklatsch seiner im Jahr zuvor aus der Taufe gehobenen Italienerin in Algier. Rossinis (links seine Gruft in Paris) ironisch gemeinte Intention mit dem Türken in Italien war jedoch, daß, nachdem es schon eine Anzahl von Opern gab, deren Handlungen im Orient spielen, er die Geschichte umdreht, jetzt einmal einen Orientalen in Europa anlanden läßt und er die sich daraus ergebenen witzigen und Klischee behafteten Verwicklungen satirisch erzählen wollte.
Die Geschichte dieser „Opera buffa“ geht auf eine Romanvorlage von Caterino Tommaso Mazzola zurück. In dieser geht es um den Poeten Prosdocimo, der gerade eine Schreibblockade hat und seine Nachbarn beobachtet, um sich von diesen inspirieren zu lassen. Diese sind der reiche ältere Don Geronio und seine junge allzu lebenslustige Frau Fiorilla, die erotischen Abenteuern nicht abgeneigt ist und sich derzeit einen Liebhaber namens Don Narciso hält.
Trailer - Il Turco in Italia youtube Staatsoper Hamburg
[ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]Der türkische Fürst Selim ist in Neapel eingetroffen und die erste Frau, der er begegnet und die ihn sogleich fasziniert ist Fiorilla. Doch in Neapel trifft Selim auch seine ehemalige Geliebte Zaida wieder, die einst vor ihm floh, weil er sie aus Eifersuchtsgründen verstoßen hatte und töten wollte. Selim möchte Fiorilla von Don Geronio nach guter alter orientalischer Sitte abkaufen, was dieser natürlich ablehnt. Im Verlauf der Handlung gibt es Eifersuchtsszenen, den Versuch einer Entführung, Verwechselungen auf einem Maskenball. Und letztlich gibt es ein Happy-End, indem Fiorilla reumütig bei ihrem Gatten Geronio bleibt und Zaida mit Selim in dessen Heimat zurückkehrt.
Die aus dem Jahre 2005 stammende höchst ideenreiche Inszenierung von Christoph Loy ist noch immer, hier am 10.2.2023, herrlich anzusehen. Herbert Murauer zeichnete verantwortlich fürs Bühnenbild und die Kostüme. Die Bühne ward in rostrot ausgeschlagen, und auf eine sich langsam hin und her bewegende Zwischenwand wurde der Golf von Neapel mit Strand, Booten und dem Vesuv im Hintergrund projiziert. Herrlich war gleich der Beginn, wenn noch während der Ouvertüre etwa 30 Choristen nach und nach aus einem kleinen Wohnwagen heraussteigen, mit Tischen und Stühlen bepackt, und ihr Zigeunerlager aufschlagen. Auch die Ankunft des Türken Selim, der hier nicht mit einem Schiff ankommt, sondern auf einem fliegenden Teppich am Strand von Neapel einschwebt, war eine originelle Idee.
Die Musik ist „Rossini pur“, und das Philharmonische Orchester musizierte differenziert und mit trefflich abgestuften Tempi im Einklang zum turbulenten Bühnengeschehen unter der inspirierten Leitung von Giacomo Sagripanti, der das hochkarätige Ensemble sicher durch die Klippen dieser anspruchsvollen Partitur geleitete. Es gibt herrliche Szenen- und Arien-Einleitungen, virtuose Passagen und andere raffinierte Feinheiten. Das Ende des ersten Aktes gipfelt in einem fröhlichen Finale. Die Arien dieser Oper weisen eigentlich keinen sehr hohen Bekanntheitsgrad auf, klingen aber recht apart, besonders die der Damen und des Tenors, während die Bass-Arien oftmals etwas grob und polternd anmuten.
Mit der Partie der Donna Fiorilla gab die Koloratursopranistin Elena Tsallagova ihr Hamburger Staatsopern-Debüt. In ihren Arien und Szenen spulte sie ein wahres Rossini-Koloraturfeuerwerk ab. Ihre sicher geführte Stimme verfügt über einen reinen Klang, und ihre wunderbar perlenden Koloraturläufe wurden gekrönt mit perfekt sitzenden Spitzentönen in ihren Arien „Non si da maggiore“ und „Se lo zefiro so posa“. Ihre Klage-Arie im zweiten Akt, „Squallida veste bruna“, wenn sie den Abschiedsbrief ihres Gatten liest, singt sie emotional, wunderschön phrasiert mit herrlichen Legati und strahlendem Höhenregister. Mit ihren lebendigen und geschmeidigen Bewegungen sowie ihrer charismatischen Bühnenpräsenz war sie stets der Mittelpunkt des gesamten Bühnengeschehens.
Paolo Bordogna in der Partie ihres ältlichen, wohlhabenden Ehemannes Don Geronio, der seine untreue junge Frau kaum zu bändigen weiß, nutzte die Gelegenheit, in seiner Bravour-Arie seinen kräftigen Bass-Bariton vorzuführen und die buffoneske Qualität seiner Partie besonders in der Duell-Szene mit dem Türken herauszukehren.
Als türkischer Sultan Selim präsentierte sich Tigran Martirossian mit seinem voluminösen Spielbass. In seinen Arien – im ersten Akt „Che bel canto, che presenza“ - klang seine Stimme sehr solide in typischer Rossini-Manier. Darstellerisch verzichtete er glücklicherweise auch bei den ausgedehnten komödiantischen Einlagen auf übertriebenes Chargieren, so daß er seiner Partie des Sultans eine ihm gebührende Seriosität und Würde verlieh.
Die zentrale Figur der Oper ist jedoch der Dichter Prosdocimo, der die Fäden der Handlung zieht und die Protagonisten zu manipulieren versucht, weswegen er vom Türken und von Geronio mehrfach Prügel bezieht. Der amerikanische Bassbariton Theo Hoffmann gab mit dieser Partie sein Hamburger Staatsopern-Debüt. Auch wenn der Prosdocimo keine großen Arien hat, so war er dennoch stets präsent in den Ensembles und ließ sein attraktives Stimm-Material mit eleganten Phrasierungen hören. Auch darstellerisch meisterte er alle von der Regie vorgegebenen Aktionen.
Ein weiterer Haus-Debütant war der lyrische Tenor Mingjie Lei in der Partie des Liebhabers Don Narciso. Ein junger chinesischer Sänger von sympathischer Ausstrahlung und einer warmen, klangvollen, in allen Lagen perfekt geführten Stimme und mühelosem Höhenregister, geradezu ideal für Rossinis anspruchsvolle Tenorpartien. Und so bescherte ihm seine große exponierte Koloratur-Arie „Tu seconda il mio disegno“ auch den Jubel des begeisterten Publikums.
Claire Gascoin war eine große schlanke, exotische Zaida, die nicht nur mit ihrem samtweichen lyrischen Mezzosopran gefiel, sondern auch durch ihren gekonnt vorgetragenen Bauchtanz, mit dem sie Selim umgarnen wollte. Ihr erster Auftritt vor dem Wohnwagen im Zigeunerlager und die späteren Eifersuchts-Szenen mit Fiorilla waren brillant. Der Tenor Seungwoo Simon Yang in der kleinen Partie des Albazar rundete das hochklassige Solisten-Ensemble ab.
Stimmlich und auch szenisch war der von Christian Günther exzellent einstudierte Staatsopern-Chor stets auf der Höhe, erfüllte die von der Regie geforderten mannigfachen Aufgaben und zeigte, wie man in einer musikalischen Komödie pointiert singt und spielt.
Das begeisterte Publikum quittierte diese herausragende Vorstellung am Ende mit Ovationen für Chor und Orchester sowie für sämtliche Solisten.