Hamburg, Staatsoper Hamburg, IL TRITTICO – Giacomo Puccini, IOCO Kritik, 30.03.2023
IL TRITTICO – Giacomo Puccini
– Mitreissende Deutung von Axel Ranisch: die Bindungen des Lebens und der Tod – Brillante Ensembleleistung –
von Michael Stange
Il trittico gehört zu Giacomo Puccinis eigenwilligsten aber auch vielschichtigsten Werken. Die Vorstellung, einen Dreiteiler mit unterschiedlichen Operneinakter zu komponieren beschäftigte ihn seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Tragisches und Gesellschaftskritisches wollte er mit Komischem vermischen. Ohne dass er eine konzeptionelle Idee oder einen Stoff vor Augen hatte entstanden am Ende aus dieser Idee die Erbschaftskomödie Gianni Schicci, das auf einem in Paris liegendem Binnenschiff spielende Eifersuchtsdrama Il tabarro und Suor Angelica, wo die Tragödie einer jungen Frau geschildert wird, die um ihr Leben und ihr Kind betrogen wird.
Hundertzweiundzwanzig Jahre nach der deutschen Erstaufführung des Il trittico in Hamburg und achtzehn Jahre nach der letzten Hamburger Premiere kehrte das Werk am 24.3.2023 an die Hamburgische Staatsoper zurück.
Trailer – Il Trittico an der Staatsoper Hamburg
Gianni Schicci spielt im Florenz des 13. Jahrhunderts. In diesem Werk schlägt sich Giacomo Puccinis lebenslange Verehrung für die Abgründe von Dante Alighieri (1265 – 1321) nieder. Bei Dante war Gianni Schicci nur eine winzige Episode. Im 8. Höllenkreises findet er sich unter den Fälschern, weil die Rolle des verstorbenen Donatis spielte und ein Testament über dessen Eigentum machte, indem er hauptsächlich sich selbst begünstigte. Dante steckte die historisch belegte Figur des Schicchi ins Inferno, vielleicht auch, weil seine Frau Gemma, die aus eben dieser Familie Donati stammte, die Schicchi geschädigt hatte. Bei Puccini ist die Handlung naturgemäß ausgeschmückter. Eine versteckte Leiche, vertauschte Rollen im Haus des Toten, wo Gianni Schicci mit verstellter Stimme sowie Nachtmütze dem Notar ein neues Testament Donatis diktiert, sind die prägenden Momente. Dem Betrug Schiccis geben die hinters Licht geführten Verwandten aus Furcht klein bei, weil sie den Verlust einer Hand und die Verbannung aus Florenz fürchten müssen, wenn ihr Schwindel auffliegt.
Musikalisch bestimmt das jähe Aufbrausen der ersten Takte des Vorspiels das Werk, weil diese Motive wiederkehren, als sich Schicchi beim Diktieren des Testaments nach dem Maulesel auch noch das Haus überschreibt. Spätestens dort wird den anderen sein Betrugsplan offenbar. Musikalisch herrschen rastlose Motorik und hüpfenden Bässe vor. Puccini erreicht hier eine musiksprachliche Modernität, die von harmonischen Spannungen und teils dissonierenden Schichten des Klanges geprägt ist.
In Tabarro hat Puccini seine Orchestrierung und seine Klangfarben weiterentwickelt. Moderne tonale Einflüsse drücken sich auch durch die Sirene und Autohupe zu Beginn aus. Ein Markenzeichen von Puccini war auch, dass er mit seinen Werken oft Drama, Blut und ungeschönte Lebenswirklichkeit auf die Bühne brachte. Insofern ist der Tabarro auch eine Fortsetzung der „Wild-West-Oper“ La fanciulla del West. Der sozialkritische Aspekt ist nun im Arbeitermilieu angesiedelt. Puccinis eigener Alterungsprozess klingt an, als er Giorgetta eingangs feststellen lässt, dass aus der Pfeife ihres Mannes Michele kein weißer Rauch mehr pafft (“dalla tua pipa il fiumo bianco non sbuffa più“). Dies kann als doppeldeutige Anspielung auf seine erloschene Sexualität oder das Erkalten ihrer Beziehung aufgrund des Todes ihres Kindes ausgelegt werden. Die metaphorischen Bedeutungen der Szenen und mancher Objekte wie etwa der Pfeife, die später zum Auslöser der Katastrophe wird, sind in der Musikpsychologisch tiefgründig ausgelotet. Musikalisch ist Suor Angelica mit Orgel und zwei Klavieren besetzt, enthält ein an Franz Schreker erinnerndes transzendentes Fernorchester und besticht durch Poesie, Schmerz und Sehnsucht.
Drei Einakter erzählen in Il trittico Geschichten, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Im Verlaufe zeigt sich aber, dass die verbindenden Motive der Werke Fragen und Aspekte der Suche nach Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und der Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben sind. Allen drei Stücke eint konkret ein vorausgegangener Tod, in Gianni Schicci ein Verwandter, im Tabarro und in Suor Angelica die Söhne Giorgetta und Angelicas. Diese Tode sind Motoren der Handlung.
Der Tod ist auch in Axel Ranischs Regie zentraler Baustein. Für ihn geht es geht in allen drei Stücken um Bindungen zu Kindern, Partner und Familie. So verbindet er die Figuren zu einer Lebens- aber auch Schicksalsgemeinschaft. Als Aufhänger seiner Inszenierung hat er eine Rahmenhandlung entwickelt, die im Film- und TV-Milieu spielt und dadurch die Werke auch inhaltlich verknüpft. Diese Verbindung stellt die von Ranisch erdachte Schauspielerin Chiara de Tanti dar. Die drei wichtigsten Stationen ihrer Karriere sind Puccinis Stücke. Bei Ranisch debütiert sie in einer kleinen Rolle als Nonne in Gianni Schicchi, einer italienischen Sitcom aus den neunziger Jahren. Dort lernt sie den berühmten Schauspieler und Komödianten Silvio Bonta kennen und lieben. Im Arthouse-Film Il tabarro spielen beide zusammen, Chiara brilliert mehr als er, erhält einen Darstellerpreis, woran am Ende wegen Bontas Eifersucht die Ehe zerbricht. Der gemeinsame Sohn Alfonso bleibt bei der Mutter, leidet extrem unter der Trennung seiner Eltern, wird zunehmend depressiv und nimmt sich schließlich im Alter von 16 Jahren das Leben. Zeitgleich wird Chiara de Tanti die Rolle der Ordensschwester Angelica angeboten, die ebenfalls ein Kind verloren hat. Schon während der Probenarbeit kann sie zwischen Rolle und Realität nicht unterscheiden und nimmt sich wie die Nonne, die sie spielt, das Leben.
Regisseur Axel Ranisch erweckt diese fiktive Figur in Videoeinspielungen zum Leben. Weggefährten wie ihre Schwester (Ursina Lardi), ihre Agentin (Katharina Hoffmann) sowie viele andere wie beispielsweise die Regisseure Tom Tykwer kommen zu Wort. Wie in einer Erinnerungsdokumentation erzählen mit besonders eindringlichem Spiel Ursina Lardi als Schwester, Katharina Hoffmann als ketterauchende Agentin und Gustav Peter Wöhler als Regisseur von Suor Angelica in eindringlichen und authentisch wirkenden Monologen von ihren Erinnerungen an die Tote. Vor den Oper ist dies ein packende und mitreißende Einführung in die Stücke, weil die dramatische Dichte, mit der erzählt wird, die Zuschauer tief in die Theaterwelt und den Kosmos Puccinis begleitet. Auch in den Videoeinspielungen zwischen den Stücken transportieren tiefe Melancholie und des Todesnähe. Verblüffend, dass dies in der verschobenen Premiere zu Zwischenrufen führte. In der dritten Aufführung lauschte ein verständigeres Publikum aufmerksam und gebannt.
Die Inszenierung des Gianni Schicci spielt in einer Villa, die den Charme der Siebziger Jahre atmet. Die Verwandten verstecken den scheinbar verstorbenen Donati im Bettkasten und machen sich auf die Suche nach dem Testament. Als er wieder zu Bewusstsein ersticken sie ihn und lassen durch Gianni Schicci das Testament fälschen. Ranisch schafft hier durch rasche bunte Personenführung und schrille Kostüme eine herrliche Komödie voller Bewegung und Klamauk. Düster inszeniert ist Il tabarro auf einem dunklen Kahn im Nebel des Hafens. Kostüme und Bühnenbild atmen die Beklemmungen und Düsternis des Ortes. Im Psychodrama Suor Angelica vermischt Ranisch das Leben von Suor Angelica und Chiara de Tantis. Das Stück beginnt auf der Probenbühne des Studios. Offen ist dann, ob Suor Angelica oder Chiara de Tanti vor dem Filmstudio vom Tode ihres Kindes erfahren. Das Ende des Stückes spielt in einer Szenerie die die Kreuze eines Friedhofes, Theatergestühl und das Bett aus Gianni Schicci zeigt. Ein Kind im Alter des Sohnes von Chiara de Tanti sitzt auf dem Kinogestühl. Ein Kind im Alter des Sohnes von Suor Angelica fährt über die Bühne und interagiert mit ihr. Als sie sich zum Freitod entscheidet erhebt sich Chiara de Tantis Sohn aus dem Kinogestühl und umarmt sie. Sie nimmt das Gift und bittet um Vergebung. Dramatisch packend und dicht wird der Abend so zu Ende geführt.
Gianpaolo Santi gelingt es gemeinsam mit dem Philharmonischen Staatsorchester die Partituren seelen- und glutvoll auszuleuchten. Die drei Werke zeichnet eine große musikalische Spannbreite auf. Weisen die Arien des Schicchi „O mio babbino caro“ und „Firenze è come un albero fiorito“ noch in Richtung Boheme geht das Duett aus Il tabarro Duett „Il fiammifero acceso!“ zwischen Luigi und Giorgetta schon in Richtung Turandot. All diese unterschiedlichen Strömungen erklangen in einer höchst differenzierten und eindringlichen Wiedergabe. Die Musik griff schon zu Beginn die den auslotenden Ansatz Ranischs auf und folgte der Inszenierung dadurch in großer Dichte. Selten hat man das Philharmonische Staatsorchester einen ganzen Abend so differenziert spielen hören. Die unterschiedlichen Charaktere der Werke, das Komödiantische, die Dramen und das Tragische kamen so in einer immens differenzierten Farbpallette zum Erklingen. Das Orchester läuft zu Höchstform auf und ist den Sängern ein emphatischer Begleiter.
Elena Guseva verfügt über einen ungemein intensiven und klangschönen lyrisch dramatischen Sopran. Die Stimme zeichnet sich durch eine wohlige Tiefe, eine warme Mittellage aus. Auch in den höchsten Lagen blüht ihr fülliger Sopran und schwingt frei in den Raum. So kann sie vehemente Attacke und Seelendrama miteinander verbinden. Dadurch füllt sie die unterschiedlichen Rollen der Giorgetta und der Angelica in beglückender Weise aus. Sowohl die Leidenschaft Giorgettas und ihre verzehrende Intensität in ihrer Suche nach Liebe als auch Angelicas Seelendrama, das deutlich mehr Innerlichkeit erfordert, ließ sie so betörend erklingen. Eine große Sängerin und eine grandiose Leistung.
Roberto Frontali gestaltet die Titelpartie in Gianni Schicchi und die des Michele in Il tabarro. Sein Bariton war mit seinem fahlen, schattigen Timbre für den Michele wie geschaffen und er ließ dessen Seelendrama mit dramatischer Wucht erstehen. Den Gianni Schicci gab er mit Elan und Witz, blieb der Rolle aber hinsichtlich der Komik einige Facetten schuldig. Insgesamt zwei überaus gelungenen Rollenportraits.
Luigi in Il tabarro war Najmiddin Mavlyanov der seinen prächtig prunkenden dramatischen Tenor mit Wucht und Macht einsetzte. Gerade diese Energie, aber auch die durchgehend sicher geführte Stimme machte Luigi zu einem potenten Nebenbuhler Micheles.
Lauretta in Ginanni Schicci war Narea Son, die mit hellem leuchtenden Sopran und frischem Spiel Braut und Tochter Schiccis verkörperte. Langer Beifall dankte ihr ihre Arie „O mio babbino caro“. Den tenorseligen Liebhaber Rinuccío gab mit frischem durchschlagskräftigem Tenor Oleksiy Palchykov. Seine Arie „Firenze è come un albero fiorito“ bot er mit großer Leuchtkraft und jugendlichem Überschwang dar. Als Due amanti im Il tabarro wiederholten Beide ihre Leistung.
Katja Pieweck prunkte als La Frugola, La Zia Principessa und Zita mit voluminösem und farblich ausgezeichnet differenziertem Mezzosopran und entwickelte insbesondere als Zia satanisch Boshaftigkeit.
Der Chor der Hamburgischen Staatsoper und die Alsterspatzen als Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper rundeten das Geschehen musikalisch ab.
Eine überaus gelungene und stimmige Inszenierung, die schon jetzt einer der Höhepunkte des Hamburger Repertoires ist. In ihrer Stimmigkeit und Suggestivität war die Aufführung dank der Einfälle und der bewegende Regie Axel Ranischs und der großartigen Ensembleleistung ein Meilenstein im Hamburger Musiktheater, der Spielzeit und Repertoire grandios bereichert.