Hamburg, Staatsoper Hamburg, FUCKING AMAL – unser kleines Scheisskaff - Jugendoper, IOCO Kritik, 27.01.2022
FUCKING AMAL - unser kleines Scheisskaff - Uraufführung
- Eine Story vom Coming-out -
von Wolfgang Schmitt
Im Jahre 2002 hatte die Hamburgische Staatsoper die Opera piccola ins Leben gerufen mit der Intention, in diesem Rahmen Aufführungen von kleinen Opern für Kinder und Jugendliche zu präsentieren, um sie auf diese Weise an die Kunstgattung „Oper“ heranzuführen. Den Beginn machte damals im Februar 2002 die Uraufführung von Hans-Werner Henzes Pollicino.Als Spielstätten für die Opera piccola stehen die große Probebühne, die Opera Stabile, oder auch die Kampnagelfabrik zur Verfügung.
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Nun feiert die Opera piccola am 21.1.2022 ihr 20jähriges Jubiläum mit der Uraufführung einer Jugendoper, Fucking Amal – unser kleines Scheisskaff, komponiert von Samuel Penderbayne, einem jungen Australier, jetzt in Berlin lebend, der den Hamburger Opernbesuchern schon von seiner Uraufführung I.th.Ak.A aus dem Jahre 2017 her ein Begriff ist. Inspiriert wurde er zu seiner neuen Komposition durch den schwedischen Film Raus aus Amal aus dem Jahre 1998. Es ist die Geschichte einer Gruppe von pubertierenden 15- bis 16jährigen Teenagern in einer öden schwedischen Kleinstadt, sie gehen zur Schule, haben Langeweile, feiern Partys, erste Liebschaften bahnen sich an - wie es halt so üblich ist in solch einem spießigen kleinen Kaff.
Da ist Agnes, die bei ihrem besorgten, sie anrührend umsorgenden Vater Olaf lebt; da sind Elin und Jessica und deren genervte, gestresste, alleinerziehende Mutter Birgitta, die mehrere Jobs hat um ihre Töchter zu versorgen. Dann gibt es noch den machohaften, draufgängerischen Markus, Jessicas Freund, und den schüchternen Johan, der in Elin verliebt ist. Schließlich noch Viktoria, die eigentlich keiner mag. Agnes hat Geburtstag und hat alle eingeladen, es kommt aber nur Viktoria, die aber gleich wieder geht. Schließlich kommen Elin und Jessica, sie finden Agnes'Tagebuch und lesen, wie sehr sie in Elin verknallt ist. Es gibt schon ein Gerücht, Agnes sei lesbisch, und Jessica wettet m it Elin, ob sie sich wohl traut, Agnes zu küssen. Sie tut es, versetzt damit Agnes' Gefühle in Turbulenzen. Auch Elin scheint sich ihrer sexuellen Präferenz nicht so ganz sicher zu sein. Nach einigen weiteren Verwicklungen bekennen sich Agnes und Elin zu einander und outen sich vor ihren Mitschülern.
Die in teils salopper Jugendsprache verfassten Texte, gespickt mit derber Wortwahl, stammen vom Regisseur Alexander Riemenschneider, dem Dramaturgen Johannes Blum, sowie Wieland Johannes Stahnecker und dem Komponisten selbst. Samuel Penderbayne bezeichnet sein Werk als „Jugendoper“. Kleine Arien von Agnes und von Elin klingen durchaus opernhaft, ebenso einige Gesangspassagen von Birgitta und Olaf. Aber auch Musical-Elemente, Jazz-Einflüsse und ein gewisses Quantum Pop sind in seine Komposition eingeflossen. Es gibt viele lyrisch-melancholische Momente insbesondere bei Agnes, die an Janacek erinnern, dramatischer Chorgesang fast wie bei Britten, raffinierte Instrumentierungen, die Gedanken an Bernstein, beispielsweise an sein „Age of Anxiety“ aufkommen lassen. Das unter der einfühlsamen Leitung von Ingmar Beck spielende Orchester, bestehend aus Mitgliedern des Philharmonischen Staatsorchesters und des Felix Mendelssohn Jugendorchesters konnte die Intentionen des Komponisten wunderbar umsetzen, es spielte virtuos, klangschön, setzte dramatische Akzente oder nahm sich vollends zurück, so daß nur die Streicher zart und leise flirrten oder die Percussions mal sanft, mal effektvoll eingesetzt wurden.
Die Spielfläche, entworfen von David Hohmann, bestand aus zwei rotierenden Podesten, links das unaufgeräumte Jugendzimmer von Elin und Jessica, rechts Agnes' ordentliches Zimmer mit einem Bücherregal.
Die witzigen, schrill-bunten Kostüme und die Sechzigerjahre-Frisuren/Perücken kreierte Lili Wanner (möglicherweise inspiriert durch das Video zum 1997er Welt-Hit „Barbie Girl“ von Aqua). Begleitet und untermalt wurde die ganze Inszenierung durch allerlei geometrische und andere Video-Illustrationen von Philipp Kronenberg an der Rückwand der Spielfläche.
Alle Solisten waren hervorragend in Gesang, Spiel und Charakterisierung ihrer einzelnen Partien: Kady Evanyshyn als Agnes mit ihrem hier melancholisch klingendem lyrischen Mezzosopran, Larissa Wäspy mit hell timbrierten fröhlichen lyrischen Sopran als Elin, Ida Aldrian als ihre Schwester Jessica mit prägnantem Mezzo, Marie-Dominique Ryckmanns als die unbeliebte Viktoria, deren edlen Sopran wir bereits aus „Pierrot lunaire“ und als Sophie Scholl kannten, sowie Hubert Kowalkczyk mit seinem kernigen, virilen Bass als Markus und der lyrische Bariton Nicholas Mogg, der wie bereits beim Märchen im Grand Hotel auf schüchterne Liebhaberrollen spezialisiert zu sein scheint, so auch hier als Elins „erster Versuch“.
Katja Pieweck als Birgitta, die überforderte Mutter zweier pubertierender Töchter, und Peter Galliard als Agnes' fürsorglicher Vater hatten berührende Momente mit einem Zwiegesang, in welchem sie sich rückblickend an ihre eigene Jugendzeit erinnerten.
Höchst engagiert sangen und spielten die Mädchen und Jungen des Young Classx Ensembles, sehr intensiv in den diversen Chorpassagen, allerdings trugen sie während der gesamten Vorstellung, auch während des Singens, ihre Corona-Masken, so daß sie manches Mal dumpf und Text-unverständlich klangen.
Die Staatsoper sollte diese Inszenierung unbedingt fürs Fernsehen aufzeichnen lassen, um sie so einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Auch könnte diese Produktion durchaus in Konkurrenz zur schwedischen Filmvorlage von 1998 treten – diese Oper würde den Sieg davontragen.
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