Hamburg, Staatsoper, DIE TOTE STADT - E. W. Korngold, IOCO
HAMBURG: Als Vorlage zu seiner Komposition diente Korngold der symbolistische Roman „Bruges-la-morte – Das tote Brügge“ des belgischen Schriftstellers Georges Rodenbach. Mit dem Libretto, welches Korngold gemeinsam mit seinem Vater Julius Korngold erarbeitete
von Wolfgang Schmitt
Erich Wolfgang Korngold (1897–1957) galt als musikalisches Wunderkind. Bereits mit 11 Jahren fing er an zu komponieren, als 19jähriger hatte er seine ersten beiden Opern, Der Ring des Polykrates und Violanta geschrieben. Die Tote Stadt erlebte seine Uraufführung 1920 gleichzeitig in Hamburg und in Köln. 1934 emigrierte er in die USA, wo ihm eine bedeutende Karriere als Komponist für Hollywood-Filme gelang und er zwei „Oscars“ gewann, 1936 für „Anthony Adverse - Ein rastloses Leben“, 1938 für „Robin Hood - König der Vagabunden“.
Seinem letzten Werk, der musikalischen Komödie „Die stumme Serenade“ von 1954, ward leider kein Erfolg beschieden, zu Unrecht, wie man feststellen konnte, denn 2021 gab es Inszenierungen dieses Werkes sowohl am Schleswig-Holsteinischen Landestheater in Flensburg als auch am Lübecker Opernhaus.
Als Vorlage zu seiner Komposition diente Korngold der symbolistische Roman „Bruges-la-morte – Das tote Brügge“ des belgischen Schriftstellers Georges Rodenbach. Mit dem Libretto, welches Korngold gemeinsam mit seinem Vater Julius Korngold erarbeitete, erschufen sie eine Handlung zwischen Wirklichkeit und Illusion.
Die Stadt Brügge, einst eine Hafenstadt und eine der bedeutendsten und reichsten Handelsstädte Europas, bis der Fluß Zwin versandete, die Stadt von der Nordsee aus nicht mehr von der Schiffahrt angelaufen werden konnte, verlor somit ihre internationale Bedeutung als Handelsmetropole und wurde zu einer tristen „toten Stadt“. Diese Tristesse des toten Brügge symbolisiert den Seelenzustand der Hauptperson Paul, dessen Frau Marie verstarb und der in einer morbiden Atmosphäre einen Reliquienkult treibt – ihr Haar, ihren Schal, ihre Laute hat er aufbewahrt – und in einer irrationalen Todesverehrung seiner toten Frau in Treue gedenkt.
Die Regisseurin Karoline Gruber will in ihrer Inszenierung aufzuzeigen, wie sich Paul bei seiner Trauerbewältigung in die Vergangenheit flüchtet, sich wünscht, solch ein Glück nochmals zu erleben. Bei ihr verwischen sich Wirklichkeit und Traum, wenn sich Pauls Haushälterin Brigitta anfangs in Marie verwandelt, ihr rotes Kleid, ihre blonden langen Haare trägt und wie diese dann zu Marietta mutiert. Gegen Ende der Oper stehen Brigitta und Marietta nacheinander hochschwanger auf der Bühne, und die Regisseurin möchte es schlussendlich dem Zuschauer überlassen, wie er mit ihren Regieeinfällen bezüglich Realität und Illusion umgeht. In der Premiere am 22. März 2015 wurde sie allerdings heftig ausgebuht.
Roy Spahn entwarf ein schlichtes, sparsames Einheitsbühnenbild, welches mit dem sandfarbenen Bühnenboden wie ein Strand oder wie der versandete Fluß Zwin wirkte, vor der Projektion wellenartiger blonder Haare auf dem Bühnenhintergrund. Dieser öffnet sich links und der Bug eines rostigen Dampfers ist zu sehen, auf den auch eine Häuserzeile der Stadt Brügge projiziert wurde.
Die eleganten, gutbürgerlichen und der damaligen Zeit entsprechenden Kostüme entwarf Mechthild Seipel.
Unter der Leitung von Yoel Gamzou präsentierte sich das groß besetzte Philharmoniche Staatsorchester in Bestform und bot ein facettenreiches, nuanciertes Klangbild, einen wahren Melodienrausch schwelgerisch romantischer, sinnlich verführerisch klingender Musik.
Korngolds vielschichtige Partitur zeichnet ein großartiges symphonisches Tongemälde, strotzt nur so von musikalischem Einfallsreichtum und klanglicher Raffinesse, bietet opulente Orchesterfarben, schillernde Instrumentation, gleitende Melodik und wechselvolle Rhythmik. Als Zuhörer konnte man sich der geradezu rauschhaften Wirkung dieser genialen, spätromantischen Musik einfach nicht entziehen.
Die überaus kräftezehrende Partie des Paul wurde wie bereits in der Premiere von Klaus Florian Vogt gesungen. Mehr als zwei Stunden steht er ununterbrochen auf der Bühne, und er gestaltete seine Rolle mit perfekter Diktion und imponierender darstellerischer Intensität. Sein heller, nicht wirklich farbenreicher Tenor gefiel vor allem in den zahlreichen lyrischen Momenten, während er in den höher liegenden dramatischen Passagen oftmals an seine Grenzen stieß, die Stimme eng wurde und die heldentenorale Kraft, Volumen und einen virilen Klang vermissen ließ. Daß er am Ende seiner ansonsten großartigen „Tour-de-Force“-Leistung noch die wunderschöne zarte lyrische Arie „Glück das mir verblieb“ dennoch mit gefühlvollem Wohlklang zu intonieren vermochte, ist ihm hoch anzurechnen.
Vida Mikneviciute in der Partie der Marie / Marietta mit langen blonden Haaren und roter Robe war eine grazile und gleichzeitig kokette Darstellerin, gab sich heiter und unbefangen, aber auch trotzig und impulsiv. Sie sang mit kraftvollem, wenn auch mit einem Vibrato behafteten jugendlich-dramatischem Sopran, dem sie aber auch zartere Lyrismen und sinnlichen Schmelz abgewinnen konnte.
Daniel Schmutzhard in der Doppelrolle des Frank / Fritz war darstellerisch sehr gefordert, mußte er doch immer mal wieder die Bordwand des rostigen Dampfers hinauf- und herabklettern. Mit den schwarzen Flügeln am Rücken wirkte er wie ein Todesengel. Stimmlich verströmte er baritonalen Wohlklang, und das nicht nur in seiner Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen“.
Die hier aufgewertete Partie der Haushälterin Brigitta im schwarzen Kleid und weißer Schürze, die sich dann in die blonde Marie in rotem Kleid verwandelte, war mit Katja Pieweck treffend besetzt, die ihren ebenmäßig klingenden Charaktersopran vor allem in den oberen Lagen herrlich aufblühen ließ.
Hervorragend besetzt war Mariettas elegant gekleidete Gauklertruppe mit Na'ama Shulman als Juliette, Yeonjoo Katharina Jang als Lucienne, Florian Panzieri als Victorin und Aaron Godfrey-Mayes als Graf Albert, die in ihren Auftritten mit schönstimmigem Gesang und agiler Spielfreude das Beste aus ihren Comprimario-Rollen machten.
Viele Plätze waren an diesem Mittwochabend, dem 12.6.2024 in der Staatsoper Hamburg leer geblieben. Doch die an Korngold und seiner Musik interessierten Opernbesucher überschütteten alle Beteiligten mit nicht enden wollenden Ovationen für diese in musikalischer Hinsicht mehr als gelungene Aufführung.
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