Hamburg, Staatsoper, DON GIOVANNI, IOCO
31-10-2024
Der Schriftsteller und Komponist E.T.A. Hoffmann hatte Mozarts „Don Giovanni“ einmal als „die Oper aller Opern“ bezeichnet. Giovanni ist ein Casanova, Playboy würde man heute sagen, ein skrupelloser Verführer und ein Lebemann. Mit diesem Mörder und Frauenhelden, für den man trotz allem Sympathien hegt, hat Mozart gemeinsam mit seinem Librettisten Da Ponte 1787 wahrlich ein Meisterwerk komponiert.
Vor genau 5 Jahren hatte diese „Don Giovanni“-Inszenierung des Schauspiel-Regisseurs Jan Bosse an der Hamburger Staatsoper ihre Premiere. Sein Bühnenbildner Stéphane Laimé baute ihm monströse Kulissen, die nicht gerade das beschauliche Sevilla darstellen, sondern seine Bühnenbilder erinnern eher an einen einst feudalen Palazzo, an bröckelnde mit Graffiti beschmierte Hausfassaden mit zugemauerten Fensteröffnungen, oder an eine verfallene Fabrikruine. Giovannis Prunksaal schließlich zeugt von kalter Pracht und wird umrahmt von einem silbrig-metallenen Vorhang. Die Drehbühne ist ständig in Bewegung, auf ihr drehen sich auch die Kulissen. Zu jeder Szene, zu jeder Arie bietet sich eine andere Perspektive an, was aber auch eine gewisse Unruhe erzeugte, ebenso wie der Kameramann, der ständig über die Bühne lief, um die Gesichter der Protagonisten zu filmen und diese überdimensional auf die Kulissen zu projizieren. Ebenso die eingesetzten Scheinwerfer, die ins Publikum gerichtet waren und dieses blendeten, wirkte ziemlich störend.
Auch die vom Regisseur eingeführte stumme Rolle des Amor/Tod, die er Don Giovanni zur Seite stellt – ein blasses androgynes Wesen, welches sich bereits während der Ouvertüre auf der Bühne wälzt und herumtanzt, in den Kulissen herumturnt, per vorgefertigtem Video die Wände hochkriecht und während der gesamten Oper entweder im weißen Anzug als Giovannis Alter Ego oder im silbernen Lamettakleid als stille Beobachterin ständig im Geschehen war –, läßt die Frage nach dem Sinn aufkommen, wirkte eher störend und war eigentlich überflüssig, was die schauspielerische Leistung von Anne Müller aber nicht schmälern soll.
Als Don Giovanni gab Alessio Arduini sein Hamburg-Debüt. Jung und gut aussehend, ausgestattet mit einem warm timbrierten, viril klingenden Kavaliersbariton, verkörperte er auf ganz natürliche Art den jungen, charmanten Verführer mit einer gewissen erotischen Ausstrahlung, egal ob im weißen Anzug oder im silbernen Glitzer-Outfit (Kostümentwürfe von Kathrin Plath). Nicht wirklich machohaft und arrogant, sondern eher der sympathische, lebenslustige große Junge, dem es die Frauen leicht machen, der einfach tut, was ihm Spaß macht, ohne sich über mögliche Folgen irgendwelche Gedanken zu machen. Sängerischen Wohlklang versprühte er sowohl in seinem Duett mit Zerlina „La ci darem la mano“ als auch in seiner Champagner-Arie, mit perfektem Legato und starkem Ausdruck.
Ihm zur Seite, im dunkelroten Jogging-Anzug, stand der überaus witzige und spielfreudige Erwin Schrott als ein vorzüglicher Leporello, hin und her gerissen zwischen bedingungsloser Treue und absoluter Mißbilligung seinem Herrn gegenüber. Mit seinem kraftvollen, voluminösen Bass-Bariton von beeindruckender Prägnanz und absolut rollendeckender Präsenz war er der eigentliche Star dieser Vorstellung. Seine originell vorgetragene Registerarie und besonders seine humoresken Szenen im zweiten Akt bezeugten sein grandioses schauspielerisches Talent. Seine gemeinsamen Szenen mit Giovanni waren wunderbar eingespielt und wirkten sehr harmonisch, klangvolle Stimmkraft und darstellerische Präsenz beider Künstler waren hier perfekt vereint.
Narea Son sang die Donna Anna erstmals in dieser Wiederaufnahme und bot ein überzeugendes Rollendebüt. Beide Arien gerieten ohne Fehl und Tadel, innig gestaltet und von edlem Glanz. Rein schauspielerisch wurde ihr von der Regie her nicht allzu viel abverlangt. Ganz in schwarz gekleidet agierte sie meist dezent, so daß sie, besonders im zweiten Teil, vorn an der Rampe stehen durfte und sich bei „Non mi dir“ allein auf ihren Schöngesang konzentrieren konnte.
Als Don Ottavio glänzte wie schon in der Premiere vor fünf Jahren Dovlet Nurgeldiyev mit seinem makellosen, wohlklingendem Tenor von beeindruckender Schönheit. Seine beiden Arien „Dalla sua pace“ und „Il mio tesoro“ sang er überaus gefühlvoll mit viel lyrischem Schmelz und seidigem Glanz in der Höhe, so daß diese mit zu den Höhepunkten des Abends gerieten. Gewandet in einen pinkfarbenen Anzug war er der empfindsame, liebende Freund Donna Annas bis fast zur Selbstaufgabe, ein zart fühlender Mann quasi als Gegenbild zum oberflächlichen Giovanni, den er sogar mit einer Pistole bedroht.
Die herrische Donna Elvira im grauen Nadelstreifen-Anzug sang Rachael Wilson mit recht herb klingenden Zwischenfach-Sopran. Ihre Auftrittsarie „Ah fuggio il traditor“ geriet über Gebühr schrill und keifig mit etlichen vokalen Schärfen, und auch in ihrer Arie „Mi tradi quell'alma ingrata“ erklangen besonders in der unteren Mittellage und in der Tiefe rauhe unschöne Töne.
Hera Hyesang Park war die schöne junge Zerlina, die, hin und her gerissen zwischen der Liebe zu ihrem Masetto und der Aufmerksamkeit und den Versprechungen dieses noblen Giovanni, letztlich dessen Werben erliegt und hinterher blutverschmiert und verstört wieder aus der Kulisse hervorkommt. Charmant in ihrer Darstellung und vokal äußerst ansprechend mit ihrem warmen, virtuos eingesetztem lyrischen Sopran, nicht nur in ihren beiden Arien „Batti Batti“ und „Vedrai carino“, konnte sie auf ganzer Linie überzeugen.
Ihr Masetto wurde von David Minseok Kang mit noblem Bass bestens dargestellt. Ein enttäuschter hintergangener Verlobter, der gemeinsam mit seinen Kumpeln und mit Gummiknüppeln bewaffnet auf Rache an Giovanni sinnt.
Schließlich Alexander Roslavets, in der Premiere vor fünf Jahren noch als Masetto, ist nun quasi „aufgestiegen“, sang jetzt den Commentatore mit sonorer Bass-Fülle, gekleidet in ein weißes Totenhemd, und gestaltete souverän das packende Finale der Oper mit Giovannis „Höllenfahrt“.
Die musikalische Leitung des bestens disponierten Philharmonischen Staatsorchesters lag in den Händen von Francesco Ivan Ciampa, der an diesem Abend einen wunderbar präzisen, weichen, transparenten Schönklang entfalten konnte, stets eine ausgewogene Form zwischen Lyrik und Dramatik erreichte und den Sängern ein einfühlsamer Begleiter war. Das Publikum dankte am Ende ihm und dem Orchester für diesen wunderbaren Abend mit donnerndem Applaus, in den sämtliche Mitwirkenden einbezogen wurden.