Hamburg, Staatsoper, LA CLEMENZA DI TITO - W. A. Mozart, IOCO
La Clemenza di Tito, Hamburg: Musikalisch ist diese Neuinszenierung (Premiere am 28.4.2024) ein Glanzstück. Unter der kompetenten, inspirierenden Leitung von Adam Fischer spielte das verhältnismäßig klein besetzte Philharmonische Staatsorchester in einer
von Wolfgang Schmitt
Noch während Mozart in seinem letzten Lebensjahr – er starb am 5. Dezember 1791 – mit der Fertigstellung seiner Zauberflöte (Uraufführung am 30. September 1791 in Wien) beschäftigt war, komponierte er La Clemenza di Tito anläßlich der Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen. Für dieses Ereignis erbaten sich die „böhmischen Stände“ eine „Krönungsoper“ von einem berühmten Meister. Vorgesehen war eigentlich Antonio Salieri, der jedoch dieser Bitte wegen Arbeitsüberlastung nicht Folge leisten konnte, und so erhielt Mozart den Auftrag, eine Krönungsoper zu schreiben. Mozart und sein Librettist Caterino Mazzolà entschieden sich für ein Werk des italienischen Poeten Pietro Metastasio, La Clemenza di Tito, in dem die Lobpreisung eines gütigen Herrschers, wie sie in dieser Dichtung erzählt wird, als durchaus passend für die künftige hoffnungsvolle Regentschaft Leopolds II. in Böhmen angesehen wurde und diesem somit gehuldigt werden sollte.
Am 6. September 1791 – nur etwa drei Wochen vor seiner Zauberflöte - fand die von Mozart selbst geleitete Uraufführung seiner Oper La Clemenza di Tito im Prager Nationaltheater statt.
In der Folge erwies sich La Clemenza di Tito neben Don Giovanni und der Zauberflöte als eine der erfolgreichsten Opern Mozarts.
Angeblich soll Mozart den Tito in weniger als zwei Monaten komponiert haben. Die Komposition der Rezitative wurden aufgrund der Zeitknappheit von seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr übernommen. Auf diese Rezitative wurde nun in der Hamburger Neuproduktion verzichtet, was dem Werk und dem Handlungsablauf sichtlich gut tat.
Für die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen, deren Inszenierung eine Ko-Produktion der Hamburger Staatsoper mit der Opéra de Monte Carlo und dem Königlichen Opernhaus Kopenhagen ist, steht die psychologische Komponente im Vordergrund, die Interaktion zwischen den einzelnen Figuren und wie sie benutzt, ausgenutzt werden und sich manipulieren lassen.
Dieses gilt insbesondere für die Beziehung zwischen Vitellia und Sesto und was die eine dem anderen abverlangt. Servilia zeigt als einzige Figur Charakterstärke, sie steht fest zu Annio und erteilt Tito eine Abfuhr. Tito schließlich, maßlos betroffen von der Illoyalität und der Intrige seiner Freunde, ist in Jetske Mijnssens Interpretation hin und her gerissen zwischen Vergebung, Rache und Verzweiflung.
Die Regisseurin teilt die Oper in vier Kapitel auf: „Delizia“/Freude zu Beginn, wenn während der Ouvertüre eine zwanglose fröhliche Party stattfindet. „Potenza“/Macht, wenn Tito nun offiziell zum neuen Kaiser ausgerufen wird, womit die Unbeschwertheit seines Lebens vorbei ist und Konflikte heraufbeschworen werden. „Tradimento“/Verrat, wenn Tito das Opfer einer Intrige werden soll und man ihm nach dem Leben trachtet. Schließlich „Clemenza“/Milde, wenn er seinen Widersachern - seinen „Freunden“ - verzeiht, jedoch vor Enttäuschung selbst mit dem Erlebten nicht klar kommt, mit einer Pistole herumfuchtelt und sich diese am Ende an den Kopf setzt, es fällt allerdings kein Schuß. Dieser Schluß entspricht zwar nicht der eigentlichen Dichtung, sondern muß unter „künstlerischer Freiheit“ der Regisseurin abgebucht werden.
Musikalisch ist diese Neuinszenierung (Premiere am 28.4.2024) ein Glanzstück. Unter der kompetenten, inspirierenden Leitung von Adam Fischer spielte das verhältnismäßig klein besetzte Philharmonische Staatsorchester in einer ausgewogenen Balance gleichsam entspannt und aufwühlend. Fischer bewies viel Sinn für die Lebendigkeit und Natürlichkeit von Mozarts Musik, für Details und innigen Ausdruck gerade in der Behandlung der sehr gut disponierten Bläser, die ihre attraktiven Passagen vollends auszukosten wußten, und auch die Streicher verliehen schon von der Ouvertüre an dem gesamten Bühnengeschehen eine homogene, nahezu magische Klangwirkung.
Für das in seinen verschiedenen Grautönen vornehm und hochherrschaftlich wirkende Bühnenbild zeichnete Ben Baur verantwortlich, ebenso für die der heutigen Zeit entsprechenden Kostüme.
Eine reich gedeckte Tafel während der Ouvertüre ist das einzige Requisit, ansonsten bleibt die Bühne leer bis auf ein paar schwarze Holzstühle. Eine Feuerkette leuchtet im Hintergrund, wenn das Capitol brennen soll. Gegen Ende soll ein Baum gepflanzt werden als Symbol für Milde und Vergebung.
Die ausgefeilte Lichtregie von Bernd Purkrabek tut ein übriges zur Gestaltung der Szenerie, doch es sind die Protagonisten, die mit der Darstellung ihrer Rollen die Bühne beleben.
Allen voran die französische Mezzosopranistin Michèle Losier, die über eine ausgesprochen schöne Stimme verfügt und sowohl stilistisch als auch gesanglich einen hinreißenden Sesto präsentierte. So wie sie diesen in sich zerrissenen Charakter emotional, sensibel und mit Leidenschaft gestaltete, war es nur natürlich, daß sie der umjubelte Mittelpunkt des Abends war. Doch auch der Annio war beeindruckend: Kangmin Justin Kim, ein junger Countertenor von sympathischer Ausstrahlung, gefiel mit seiner strahlenden, geschmeidigen, gesangstechnisch perfekten Kopf-Stimme und seiner gewandten Darstellung in seinen Szenen mit Servilia. Diese wurde von Katharina Konradi gesungen. Ihr klarer, sicher geführter lyrischer Sopran hat einen zarten weichen Klang und sie glänzte mit anmutigem Spiel.
Vitellia ist die eigentliche Intrigantin in dieser Oper. Tara Erraught verfügt über eine starke Bühnenpräsenz, sie bewältigt diese Partie mit ihrem zu großen imposanten dramatischen Steigerungen fähigen Sopran voller Kraft und Expressivität sowohl in der Höhe als auch im tieferen Bereich. Sie scheut sich auch nicht, ihre Stimme mal scharf und keifend klingen zu lassen.
Der Schweizer Tenor Bernhard Richter sang den Tito, und er schien sich an diesem Premierenabend nicht in allerbester Form zu präsentieren. Seine Stimme ließ tenoralen Glanz vermissen, einige Unsicherheiten in der Intonation waren nicht zu überhören, und die sicherlich diffizilen Koloraturläufe bereiteten ihm einige Probleme. Darstellerisch wirkte er eher dezent und man hätte sich von ihm ein schärferes Profil für diese Rolle gewünscht.
Sein Begleiter Publio wurde von Han Kim mit dunklem fülligen Bass gesungen, und der von Eberhard Friedrich hervorragend einstudierte Staatsopern-Chor - die Herren in dunklen Anzügen, die Damen in dunklen Kostümen - war nicht nur musikalisch erfreulich, sondern erwies sich auch als szenisch sorgfältig gestaltet.
Diese Premiere in der Hamburger Staatsoper war ausverkauft, und das Publikum spendete reichlich Beifall ganz besonders für Adam Fischers exemplarisches Dirigat, sowie für Michèle Losiers Sesto und für Kangmin Justin Kims Annio. Kurzen höflichen Applaus gab es fürs Regieteam.