Hamburg, St. Pauli Theater, MOTOWN - The Music Show, IOCO Kritik, 04.09.2018
MOTOWN – The Music Show
“STOP!“ – drei Handflächen strecken sich zum Publikum – “In the Name of Love!”
Von Rolf Brunckhorst
Drei zappelige Schultern bewegen sich fingerschnipsend nach unten, der Anfang eines genialen Motown-Songs und seiner verblüffend einfachen aber wirkungsvollen Choreographie. Dieses Rezept hat, wie der Moderator dem Publikum später erklären wird, unzählige Male in den Hitparaden der 60er Jahre eingeschlagen. Berry Gordy, oberster Chef der Plattenfirma Tamla-Motown, erklärt sein Erfolgsrezept ähnlich: Man nehme eine eingängige Melodie, einen Text, der eine kurze Geschichte erzählt, kreiere einen Sound, der in den leicht basslastigen Transistorradios der Detroiter Kids und den Autoradios ihrer Eltern mitreißend wummert, und nehme dieses Produkt mit den besten Studiomusikern der Welt auf. Finaler Test: Jugendliche aus Detroit werden gefragt, ob sie für einen geschenkten Dollar lieber eine Tüte Eis oder die neueste Motown-Scheibe kaufen würden. Die meisten Jugendlichen werden zur Platte gegriffen haben, denn Motown war in den 60er Jahren eben der „Sound of Young America“.
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Die Kreativität der Motown-Musiker läßt sich erahnen, wenn man liest, daß in einer Woche des Jahres 1968 die Top-Ten allein aus fünf Motown-Nummern bestand. Die Plätze 1 bis 3 waren für Motown reserviert. Im Jahre 1966 hat Berry Gordy ca. 65 % all seiner Single-Veröffentlichungen in den „Hot Hundred“ untergebracht. Andere Firmen bewegten sich vergleichsweise bei 10 % Trefferquote. Seine Künstler waren Superstars spätestens dann, wenn sie von ihrer Gruppe gelöst eine Solokarriere angefangen hatten. Die wichtigsten bzw. bekanntesten Künstler waren zweifellos die Supremes, aus denen Diana Ross hervorgegangen ist. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollte sie sich als Superstar profilieren. Nicht nur auf dem ihr eigenen Felde der Musik setzte sie Maßstäbe, auch als Schauspielerin war der Lohn für ihre brillante Leistung in „Lady sings the Blues“ eine Oscar-Nominierung. Eine ganze Reihe von späteren Solosängern entsprangen den
Temptations, z.B. David Ruffin, Eddie Kendricks, Dennis Edwards, und Ali-Olli Woodson. Der Harmonie-Gesang der Temptations galt als unvergleichlich. Die Four Tops hatten den einzigartigen Levi Stubbs als stimmliches Flaggschiff, dessen brodelnde Intensität von keinem seiner Kollegen erreicht wurde. Marvin Gaye und Stevie Wonder wetteiferten um den Titel als musikalisches Genie, während Martha Reeves & the Vandellas und die Marvelettes mit ihren brillanten Gesangsarrangements die Fans in die Plattenläden trieben. Niemand will Michael Jackson und seine Brüder vergessen, aber man könnte tagelang weiter tippen, wenn man alle Motown-Gesangsgruppen und Solisten würdigen wollte.
Diese kurze Motown-Biographie hätte nun auch Gegenstand der Motown-Show sein sollen, aber wie soll man mit drei Sängern und zwei Sängerinnen und neun Instrumentalisten diese Geschichte auf die Bühne bringen? Es ging, es ging sogar sehr gut, weil die Macher dieses Musicals ein paar richtige Grundsatzentscheidungen getroffen hatten: Es wurde keine der Motown-Solokünstler oder –Gruppen direkt imitiert, sondern fünf hochindividuell timbrierte, stimmlich ausgezeichnete Künstler interpretierten die Motown-Songs mit wechselnden Soloaufgaben und zum Teil eigenwilliger Instrumentierung der Songs. Dabei konnte es passieren, daß nur drei Temptations auf der Bühne standen, oder Solonummern zu Duetten umgeformt wurden. Das alles funktionierte so selbstverständlich, daß es dem Publikum fast den Atem verschlug, es reagierte aber nicht still, sondern vom ersten Song an wurde mittaktiert, mitgeklatscht, getanzt und mitgesungen. Das Publikum war mit den meisten Songs vertraut, Texthilfe vonseiten der Sänger wurde selten benötigt. Als im zweiten Teil die ersten Takte von „I can‘t help myself“ ertönten, kippte die Publikumsstimmung von begeistert auf frenetisch; die beiden oberen Ränge verwandelten sich dank er großzügigen Raumfreiheit in einen Tanzpalast. An welcher Stelle das Stück zuende war und der Zugabenteil begann, konnte man nicht mehr auseinander halten, zu sehr waren alle damit beschäftigt, genügend Stimmung zu entfachen, um weitere Zugaben zu erzwingen.
Geduldig bezog die Band mehrfach wieder ihre Plätze und lieferte noch ein paar Kostproben des geliebten Motown-Sounds, den Sänger und Musiker zweieinhalb Stunden zelebriert haben. Ein besonderes Dankeschön gebührt dem Choreographen Andrew Hunt, der so gut mit der Materie vertraut war, daß er bei verschiedenen Songs Teile der Original-Choreographie einarbeitete. So konnte das immer wieder aufjuchzende Publikum Smokey Robinsons berühmten Monkey-Dance beim Song „Mickey’s Monkey“ der Miracles, das berühmte Schulterzappeln der Four Tops und natürlich die eingangs erwähnte „Stop! In the Name of Love“-Choreographie der Supremes wiedererkennen und sich an die seligen Jahre erinnern, als diese Auftritte noch Bestandteil der wöchentlichen Fernsehshows waren. Großer Dank gilt den fünf hoch-engagierten Stimm-Akrobaten Siggy Davis, Taryn Nelson di Capri, Wilson Michaels, David Johnson und Koffi Missah, sowie den neun Bandmitgliedern.
Eine Frage bleibt zum Schluß allerdings offen: Warum mußten, besonders zu Beginn des zweiten Teils so viele Nicht-Motown-Nummern in das Stück geschummelt werden? Es gäbe noch Hunderte von Motown-Hits, die besser in diesen Rahmen gepaßt hätten, und dann hätte man seine Referenz auch Künstlern wie Edwin Starr, Chris Clark oder den Velvelettes erweisen können. Dieses wäre ein Wunsch für hoffentlich weitere zukünftige Auftritte in Hamburg.
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