Hamburg, St. Pauli Theater, DIE DREIGROSCHENOPER - Bertolt Brecht, IOCO Kritik, 19.01.2023
DIE DREIGROSCHENOPER - Bertolt Brecht, Kurt Weill
- wunderbar singende, tanzende Protagonisten mit fesselnden Video-Projektionen -
von Wolfgang Schmitt
Bertolt Brechts Dreigroschenoper in der Vertonung von Kurt Weill erlebte 1928 ihre Uraufführung in Berlin und avancierte zum erfolgreichsten Musiktheaterstück der damaligen „Weimarer Republik“. An seiner Aktualität hat das Werk mit seiner Kapitalismus-Kritik bis heute nichts eingebüßt. Brecht bezeichnete seine Dreigroschenoper als „episches Theater“, welches das Ziel haben sollte, gesellschaftliche Konflikte und soziale Ungerechtigkeit darzustellen.
Dem St.Pauli-Theater ist mit dieser Neuproduktion in der Regie von Peter Jordan und Leonhard Koppelmann ein großer Wurf gelungen. Diese Inszenierung, besuchte Vorstellung 15.01.2023, hat Biss und Charme, sie verfügt über ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Brecht'scher Belehrung und Weill'scher Unterhaltung. Trotz der vielen Szenen, in denen Unrecht und Elend das Thema waren und die sozialen Mißstände thematisiert wurden, richtete sich jedoch insgesamt gesehen das Augenmerk auf Kurt Weills exemplarische Musik, die hier glänzend und verfeinert dargebracht wurde von den Musikern des Theater Orchester Hamburg unter der inspirierten Leitung von Uwe Granitza.
Kurt Weills Komposition ist allein schon wegen der zahlreichen Songs ein Selbstgänger. Allein der Song vom Mackie Messer stürmte als „Mack the Knife“ in den Fünfziger Jahren in der Interpretation von Bobby Darin, Ella Fitzgerald oder Louis Armstrong die internationalen Hitparaden. Aber auch andere Lieder wie der Kanonenboot-Song, die Ballade der Seeräuber-Jenny, der Barbara-Song, oder die Balladen vom „angenehmen Leben“ und von der „Sexuellen Hörigkeit“ sind im Laufe der Jahrzehnte zu echten Gassenhauern geworden.
Kurt Weills Kompositionen sind eine Mischung aus populärer Schlager- und Tanzmusik der damaligen Zeit, angereichert mit Jazz-, Swing- und auch Blues-Elementen. Sie weisen eine Klarheit und Einfachheit, eine starke melodische und bezeichnende harmonische Eigenart auf, die sein Werk auch noch heutzutage charakteristisch und interessant erscheinen läßt. Umgesetzt wurde dieses durch das brillant und schwungvoll aufspielende Orchester und durch ein hoch engagiertes Ensemble mit den sieben sehr gut singenden Schauspielern und einer Gruppe von sechs Tänzern, die sogleich nach der Ouvertüre und der „Moritat von Mackie Messer“ mit einer fast schon glamourösen Revue-artigen Show das gespannte Publikum auf einen grandiosen Abend einstimmten. Überhaupt trugen die vielen Tanzszenen in der Choreographie von Harald Kratochwil ganz erheblich zum großartigen Gesamteindruck dieses Abends bei.
Die Bühne war bis auf ein paar Requisiten leer, sie wurde ausgefüllt von den wunderbar agierenden, singenden und tanzenden Protagonisten. Auf der Bühnenrückwand gab es wechselnde, stimmungsvolle und den jeweiligen Szenen entsprechende Video-Projektionen von einer dunklen Straßenschlucht in London mit dem „Mond über Soho“, oder einem angedeuteten Pferdestall, in dem die Hochzeit von Macheath und Polly stattfinden soll (Grafische Animation von Meike Fehre und Lichteffekte von Dorle Reisse). Die von Barbara Aigner entworfenen phantasievollen Kostüme, frivole Glitzerkleidchen für die Damen, Nadelstreifenanzüge für die Herren, paßten perfekt zur gesamten Szenerie.
In der Rolle des Macheath gefiel Michael Rotschopf in elegantem Dandy-Outfit mit Gamaschen, weißen Glacéhandschuhen, dunkelrotem Hut und einem Clark-Gable-Bärtchen. Mit seiner baritonal eingefärbten Stimme konnte er auch gesanglich, und hier besonders in seinem Zuhälter-Song (mit Jenny) und dem Grabschrift-Lied überzeugen.
Gustav Peter Wöhler war der Bettlerkönig Peachum, der aus dem Elend der Armen noch Kapital schlägt. Gleich zu Beginn imponierte er mit seinem Morgenchoral und dem „Anstatt-dass-Song“ (mit Mrs. Peachum). Auch überraschte er im Verlauf der Handlung mit kleinen Tanzeinlagen inmitten des Ensembles.
Als seine Frau, Celia Peachum, hinterließ Anne Weber sowohl darstellerisch als auch sängerisch einen starken Einruck, besonders im von ihr hinreißend gesungenen Barbara-Song und in der Ballade von der sexuellen Hörigkeit.
Anneke Schwabe war eine intensiv spielende, manchmal etwas zu schrille Polly, die die eigentlich ernste Ballade der Seeräuber-Jenny eine Spur zu lustig interpretierte. Herrlich dagegen waren ihre Szenen mit Lucy, ihrem „Schlagabtausch“ und dem Eifersuchts-Song. Die dralle Lucy in ihrem recht kurzen Kostüm wurde mit kräftiger Sopranstimme gesungen von Veronica Fleer. Sie ist die Tochter von Tiger Brown, dem obersten Polizeichef Londons und gutem altem Freund von Macheath, ansprechend gespielt und gesungen von Stephan Schad.
Als Spelunken-Jenny, der früheren Geliebten von Macheath, die ihn schließlich verrät, beeindruckte Nadja Petri mit einer dunklen, warmen, geheimnisvollen Mezzo-Stimme im Zuhälter-Song mit Macheath und später im Salomon-Song.
Aus dem exzellenten Ensemble in den Rollen der Tänzer, der Bettler und der Huren seinen stellvertretend Felicia Jackson und Christopher Hemmans genannt, die zusätzlich die kleinen Rollen der Pastorin und des Constables Smith übernommen hatten.
Die Begeisterung des Publikums war einhellig, und so kann man davon ausgehen, daß diese geglückte, ausgewogene Inszenierung einige Jahre im Spielplan des St. Pauli-Theater bleiben wird.