Hamburg, Opernloft, ROMEO ET JULIETTE, C. Gounod, IOCO
Premiere 24.01.2024
Das umfangreiche Schaffen des französischen Komponisten Charles Gounod (1818 – 1893) besteht – neben zahlreichen Messen, Oratorien und Schauspielmusiken – aus insgesamt 12 Opern. Einige Achtungserfolge konnte er mit seinen ersten drei Opern, u.a. „Le Docteur malgré lui“ (1857) nach Molières gleichnamiger Komödie erzielen. Doch erst seine vierte Oper, „Faust“ (1859), bescherte ihm den ersehnten Durchbruch als anerkannter und gefeierter Komponist der französischen „Opéra lyrique“. Hoch geschätzt wurde Gounod nunmehr aufgrund seines einzigartigen Kompositionsstils, einer Kombination aus französischer Romantik und italienischem Belcanto, geprägt von ausdrucksstarken Melodien, die die Emotionalität der Charaktere verdeutlichen und diese zum Leben erwecken. Einen ähnlich großen Erfolg wie mit dem „Faust“ konnte Gounod mit seinen nachfolgenden Opern nicht mehr erreichen, wobei „Mireille“ (1864) gegenwärtig noch auf vielen französischen Bühnen zu erleben ist, und „Romeo et Juliette“ (1867), wohl aufgrund Shakespeares literarischer Vorlage, sich auch international größerer Beliebtheit erfreut.
Wie im Hamburger „Opernloft“ an der Elbe im Stadtteil Altona üblich, werden die zu inszenierenden Opern auf etwa 90 Minuten gekürzt und in eine eigene spezielle Handlung verpackt. So geschah es nun auch mit Gounods „Romeo et Juliette“, Premiere 24.1.2025, auf vier Personen reduziert, und von Regisseurin Susann Oberacker in die heutige Zeit versetzt, in der die beiden Protagonisten verschiedenen Lagern angehören und dennoch zueinander finden – eine Idee, die eigentlich gar nicht schlecht ist, wenn man an Bernsteins „West Side Story“ denkt oder an den Film „Romeo & Juliet“ von 1996 mit Leonardo di Caprio und Claire Danes.
Statt der wie bei Shakespeare und Gounod zerstrittenen Familien Montague und Capulet sind es hier jedoch die „Roten“, zu denen Romeo gehört, und die „Blauen“, Julias Abteilung.
Beim Einlass in den Zuschauerraum bekam das Publikum dementsprechend ein rotes oder ein blaues Armband, je nachdem, auf welcher Tribünen-Seite der mittigen Spielfläche sich sein Platz befand.
Begonnen wurde auch nicht mit der Ouvertüre, sondern mit einer Rock-Nummer, und da die vier Protagonisten von der Kostümbildnerin Almut Blanke sehr schrill und salopp ausstaffiert worden waren, wähnte man sich zunächst eher in einem Rock-Konzert als in einer Kammeroper, zumal die beiden Nebenfiguren (Stephano und Lorenzo) sich hier als „Einpeitscher“ verdingen mußten und das Publikum zum Trampeln, Klatschen und Schreien zu animieren hatten.
Romeo trug einen „Hoodie“ und Baseball-Cap, Julia zerrissene Jeans und ein helles bauchfreies Top. Ihnen zur Seite standen Stephano als Romeos Begleiterin im Gypsy-Look, und Lorenzo, bei Shakespeare und Gounod eigentlich Pater Lorenzo, als Julias Freund und Beschützer, dessen Kostüm an den Highlander-Film erinnerte.
Die mittige Spielfläche bestand aus treppenartig zusammengesetzten Podesten, in deren Mitte sich die drei Musiker, Piano, Kontrabass und Klarinette, befanden. Einzige Ausstattung waren ein paar große Kissen für die Liebesszenen des jungen Paars.
In Anna Galushenko hatte das Opernloft ideale Interpretin für die Partie der Julia gefunden. Schlank und schön mit langen blonden Haaren, grazil in ihren Bewegungen, agil im temporeichen Erklimmen der Podeste setzte sie unermüdlich die Regie-Anforderungen perfekt um. Mit ihrem warm timbrierten, klaren Koloratursopran glänzte sie sogleich in der kleinen Ariette, um gleich danach in die herrliche Walzerarie „Je veux vivre“ geradezu jubelnd, mit perfekten Koloraturläufen und feinem leichtem Vibrato überzugehen. Ebenso eindringlich gelang ihr die große Szene „Dieu quel frisson“, in der sich die rein lyrischen als auch die dramatischen Qualitäten ihrer leuchtenden Sopranstimme offenbarten.
Auch ihr Romeo, Songyan He, konnte in diesem Rahmen mit seinem kräftigen, wohltönendem lyrischen Tenor überzeugen, der lediglich in der Höhe manchmal an seine Grenzen stieß, ansonsten jedoch mit den Klippen seiner Partie gut zurecht kam. Seine Arie „Lève toi soleil“ geriet gefühlvoll, ebenso seine Duette mit Julia, „Ange adorable“, „O nuit divine“, und ihr Schlußduett, wenn sie, anders als bei Shakespeare, hier bei schwächer werdendem bläulichen Scheinwerferlicht gemeinsam in den Tod gehen. Sowohl gesanglich als auch in ihren Interaktionen harmonierten die beiden trefflich miteinander.
Alina Behling als Romeos Begleiterin Stephano und „Einpeitscherin“ der roten Abteilung brachte ihren dunklen, apart timbrieren Mezzosopran in der Arie „Que fais tu blanche tourterelle“ zur Geltung, sang den hier eingefügten Judy-Garland-Klassiker „Somewhere over the Rainbow“, und bot sich mit Lorenzo ein heftiges Wortgefecht aus drastischen, teilweise geschmacklosen Hass-Tiraden, denn den Hass, dieses mittlerweile überstrapazierte Wort, zwischen den beiden Familien bzw. Gruppen, wollte die Regisseurin damit zum Ausdruck bringen und daß dies eine der Ursachen dafür war, daß die beiden Liebenden letztlich in den Tod getrieben wurden.
Die Partie des Pater Lorenzo ist bei Gounod eher klein, hier wurde sie jedoch aufgewertet, indem Lorenzo – Timotheus Maas mit weichem Bass-Bariton – als Julias intensiv agierender Freund der Anführer der blauen Abteilung war und somit der Gegenspieler Stephanos. Für ihn wurden zwei Pop-Songs als Duette mit Stephano in die Handlung eingebaut, von denen die Regisseurin meinte, sie würden hier gut hinein passen, nämlich den Alphaville-Hit „Forever young“ (bei dem das Publikum zum Mitsingen animiert wurde), und Louis Armstrongs „What a wonderful World“.
Der Farbenreichtum von Gounods wunderbarer Musik ließ sich in diesem Rahmen nur mit Klavier, Klarinette und Kontrabass natürlich nicht wirklich einfangen, doch unter der musikalischen Leitung des Pianisten Esteban Ravanal war es dennoch ein interessanter und recht poppiger Abend, wenn auch nicht unbedingt für eingefleischte Operngänger und Liebhaber besonders der französischen Oper. Aber die Begegnung mit Songyan He und Anna Galushenko und ihre großartigen Leistungen waren den Besuch allemal wert.