Hamburg, Opernloft, CARMEN - G. Bizet, IOCO

Hamburg, Opernloft, CARMEN - G. Bizet, IOCO
Ljuban Zivanovic, Johanna Bretschneider copyright Inken Rahardt

von Wolfgang Schmitt 

Als erste Premiere in der neuen Spielzeit bot das Opernloft im Alten Fährterminal –  direkt an der Elbe gelegen im Stadtteil Altona – „Carmen“ von bzw. besser gesagt nach Georges Bizet. Denn wer an diesem Abend eine herkömmliche, spanisch-folkloristische Inszenierung erwartet hatte, der wurde enttäuscht bzw. eines besseren belehrt. Denn die Opernloft-Intendantin und Regisseurin Inken Rahardt hatte die Idee, diese „Carmen“ nicht vor einer Zigarettenfabrik und nicht vor einer Stierkampf-Arena in Sevilla, auch nicht bei den Schmugglern im Gebirge, sondern in einer Karaoke-Bar spielen zu lassen. Das ist nun auch nicht wirklich neu, denn ihre Inszenierungen spielen eigentlich alle meist in ähnlichen Etablissements - „Tosca“ in einer Pizzeria, „La Traviata“ in einem Spielcasino, „La Boheme“ in einem Disco-Club.

Johanna Bretschneider, Aline Lettow copyright  Inken Rahardt
Johanna Bretschneider, Aline Lettow copyright Inken Rahardt

Nun sind wir also in einer Karaoke-Bar namens „Voilà“ gelandet. Die Chefin dieser Bar heißt Micaela, und die rassige Bar-Frau heißt Carmen. Beide stehen hinter dem breiten, U-förmigen Bar-Tresen, mixen die ganze Zeit Cocktails und servieren diese demjenigen Publikum, die das Glück haben, in der ersten Reihe zu sitzen. Am Tresen sitzt ein Gast namens José, der ziemlich verliebt in Carmen ist, und auch sie findet ihn nett. Doch dann stellt Micaela einen neuen Kellner ein, Escamillo. Und damit nimmt die Tragödie ihren Lauf, denn auch Escamillo verliebt sich in Carmen. Der heißblütige, temperamentvolle José wird rasend vor Eifersucht. Es kommt zum Zweikampf, dem der hübsche, eher schmächtig wirkende Escamillo unterliegt. José wird von Micaela mit einer Pistole bedroht und in die Flucht geschlagen, doch er kehrt zurück, ermordet Carmen, während Escamillo mit der Pistole in der Hand dem nun aus dem Zuschauersaal fliehenden José nachrennt, doch einen Schuß hört man nicht. Micaela bricht über der toten, auf dem Bar-Tresen liegenden Carmen zusammen. Soweit die Story dieser Opernloft-“Carmen“-Version.

Es war der Regisseurin ein Anliegen, in ihrer Inszenierung die Gewalt gegen Frauen und den „Femizid“ zu thematisieren, und hierfür eignet sich der Carmen-Stoff natürlich perfekt. Den Charakter des José zeichnet sie als machohaft und brutal. Dementsprechend reagiert er, als er merkt, daß die selbstbewußte, lebenslustige Carmen nicht bereit ist, sich ihm unterzuordnen und sich auch noch erdreistet, ihm den Laufpass zu geben, mit dem für sie tödlichen Ausgang. Und so gab es auf zwei größeren Leinwänden die von ihrer Co-Intendantin und Dramaturgin Susann Oberacker eine die Handlung begleitende Übertitelung zu diesem Thema und zur Story, unabhängig von den Gesangstexten der Solisten.

Musikalisch ergab sich ein Potpourri aus den bekannten Melodien der Oper in variabler Reihenfolge, ergänzt durch fünf französische Chansons, von denen man meinte, daß sie sich gut in die hier ausgedachte Handlung einfügen würden.

Statt mit der schmissigen Carmen-Ouvertüre wurde der Abend eingeleitet von dem sanften Edith-Piaf-Chanson „La vie en rose“, gesungen von Johanna Bretschneider als Carmen auf dem Bar-Tresen liegend, auf dem, vor und hinter dem sie den ganzen Abend über tanzte, eindrucksvoll agierte und ihre Cocktails mixte. Ihre Arien sang sie vorzüglich: die hier im Swing-Stil arrangierte Habanera, die rasante Seguidilla, und die melancholische Kartenarie präsentierte sie brillant mit ihrem hellen Mezzosopran, wie auch die Szenen und Duette mit José und Escamillo.

Aline Lettow als Besitzerin der Karaoke-Bar, wie alle anderen Solisten in schwarz gekleidet mit pink-farbener Fliege und ebensolchen Hosenträgern, zeigte eine adäquate Leistung in ihren Aktionen wie auch gesanglich im Duett mit José und in ihrer großen Arie „Je dis que rien ne m'épouvante“, in der sie mit ihrem großen lyrischen Sopran jede Nuance zwischen Lyrik und Dramatik auszukosten verstand und mit sicheren Spitzentönen krönte. Auch sie steuerte ein  Chanson bei: Michel Legrands „Les Moulins de mon Coeur“ (im Original „Windmills of your Mind“ aus dem Film „Thomas Crown“), mit dem sie nach der Pause den zweiten Teil des Abends eröffnete.

Ljuban Zivanovic gefiel als zunächst verliebter, sanftmütiger José, später als erbarmungsloser Macho, der seinen sicher geführten, kraftvoll eingesetzten, metallisch klingenden Tenor besonders in seiner Blumenarie voll zur Geltung bringen konnte. Offenbar passend zu Josés psychischer Verfassung hatte man für ihn das Chanson von Serge Lama, „Je suis malade“, ausgewählt.

Aline Lettow, Jeffrey Herminghaus copyright Wolfgang Radtke

Schließlich Jeffrey Herminghaus als darstellerisch intensiver Escamillo versprühte mit seinem lyrischen Bariton sängerischen Wohlklang und durfte während seiner Torero-Arie einen Strip auf dem Bar-Tresen vollführen, quasi als Toyboy und Lustobjekt, sehr zum Amüsement des eifrig mitklatschenden – besonders des weiblichen – Publikums (einen ähnlichen Strip bescherte uns die Regisseurin bereits in ihrer „Traviata“-Inszenierung). Und besonders eindrucksvoll gelang ihm außerdem die Interpretation des pathetischen Jacques-Brel-Chansons „Ne me quitte pas“.

Die exzellente Pianistin Makiko Eguchi war die musikalische Leiterin dieses Abends und hatte Bizets brillante Komposition raffiniert und phantasievoll mit Anklängen an Pop, Jazz und Swing für nur drei Musikinstrumente arrangiert. Gemeinsam mit dem Violinisten André Böttcher und dem Cellisten Konrad von Oldenburg brachte sie es fertig, eine beachtliche Klangfülle und beeindruckende  Klangdichte zu erzeugen. Sie war den Solisten stets eine aufmerksame Begleiterin und setzte auch während der gefühlvoll dargebotenen französischen Chansons eigene Akzente.

Als Höhepunkt des dramatischen Finales sang Aline Lettow, gebeugt über die auf dem Tresen liegende tote Carmen, das anrührende Chanson „Voilà“ – passend zum Namen dieser Karaoke-Bar – von der jungen französischen Sängerin Barbara Pravi (die mit diesem Lied 2021 den 2. Platz des „Eurovision Song Contest“ erreichte).

Fazit: es war eine vom Premierenpublikum bejubelte, musikalisch sehr unterhaltsame „Show“ – Bizets Carmen einmal ganz anders, aber sie erhebt auch nicht den Anspruch, mit den sonst üblichen Carmen-Inszenierungen anderer Theater  konkurrieren zu wollen.

                                                                                                                           

 

 

 

 

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