Hamburg, Opera Stabile, DIE KUH - DOCH HALT, NEIN, NEIN - Georg Ph. Telemann, IOCO Kritik, 22.06.2023
DIE KUH – DOCH HALT, NEIN, NEIN - von Georg Philipp Telemann
- Ein barockes Telemann-Pasticcio -
von Wolfgang Schmitt
…. so ist der Titel eines Telemann-Projektes, welches in der Opera Stabile von Mitgliedern des Internationalen Opernstudios der Hamburgischen Staatsoper am 17. Juni 2023 uraufgeführt wurde.
Georg Philipp Telemann, 1681 in Magdeburg geboren, begann schon in früher Jugend mit dem Komponieren. Im Laufe seines Lebens – er starb 1767 in Hamburg – war er wohl der aktivste, kreativste Komponist, er soll mindestens 3.600 Werke aller Gattungen, Opern, Oratorien, Kirchenmusik, Kantaten, Psalmen, Passionen u.a. komponiert haben.
Zu seiner Zeit war er der erfolgreichste und am meisten gespielte Barockkomponist und rangierte noch vor seinen Zeitgenossen Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach.
Ab 1721 lebte und wirkte er in Hamburg, zunächst als Städtischer Musikdirektor für Kirchenmusik, komponierte für die fünf Hamburger Hauptkirchen zu jedem Sonntag neue Kantaten, sowie Passionsmusik für die Osterzeit, und auch jährliche „Kapitänsmusiken“ oder „Admiralitätsmusik“ für die Hansestadt Hamburg.
1721 wurde an der Städtischen Oper am Gänsemarkt wurde seine Oper Der geduldige Sokrates noch unter der Intendanz von Reinhard Keiser uraufgeführt. 1722 übernahm Telemann auch die Position des Intendanten der Gänsemarkt-Oper, welche er bis 1738 inne hatte. Dort wurden in den Folgejahren viele seiner Opern wie Pimpinone, Orpheus, Emma und Eginhard, Ottone und Miriways (diese wurde 2018 an der Opera Stabile inszeniert) uraufgeführt.
Nach seinem Ableben im Jahre 1767 nahm sein Sohn viele seiner Kompositionen mit nach Riga, andere fanden private Besitzer oder wurden an Bibliotheken abgegeben. Die meisten seiner Werke sind durch die Jahrhunderte verschollen oder verloren gegangen. Von seinen über 40 komponierten Opern sind gerade noch zwölf vollständig erhalten.
Opera Stabile - DIE KUH - HALT, NEIN, NEIN - Regisseur Vladislav Parapanov youtube Opéra national de Paris [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Nun hatten sich der Dirigent Johannes Kontarski, der Regisseur Vladislav Parapanov, und die Bühnen- und Kostümbildnerin Dimana Lateva für die Opera Stabile ein Telemann-Projekt ausgedacht, für welches sie aus unvollständig erhaltenen Werken und Fragmenten eine Art von Telemann-Pasticcio entworfen hatten. Deren Intention war es, die Charaktere aus solchen fragmentarischen Werken zusammen zu führen und als Rahmenhandlung eine einsame Insel zu schaffen, auf der sich diese Personen begegnen und zunächst nichts miteinander anfangen können, sich jedoch allmählich einander annähern. Herausgekommen ist ein turbulenter Abend mit hoch engagierten Protagonisten, die sich nicht nur bewundernswert der Telemann-Musik hingaben, sondern auch darstellerisch und choreographisch grandiose Leistungen vollbrachten.
Sei es Seungwoo Simon Yang als Orpheus mit geschmeidigem lyrischen Tenor, kostümiert wie Elvis oder Liberace, oder der Bass Han Kim als römischer Feldherr Germanicus im braunen Offiziersmantel, die beiden Federball spielenden sportlichen Baritone Florian Panzieri und Mateusz Lugowski als Don Quichotte und Sancho Panza in schrillen Tennis-Outfits, Liam James Karai mit volltönendem Bass-Bariton als blonder Narziss mit Sonnenbrille, und Yeonyoo Katharina Jang mit strahlendem lyrischen Sopran als Bacchus, hier allerdings gekleidet als rothaarige Strandschönheit im Tiger-gemusterten Badeanzug mit passendem Morgenmantel und stets bewaffnet mit einer Flasche Champagner.
Schließlich die Kuh – doch halt, nein nein, Claire Gascoin mit ihrem edlen, samtenen lyrischen Mezzosopran hatte ihre - zu den genannten männlichen Figuren passenden - Auftritte als Eurydike in weißem Disco-Queen-Outfit, sowie vermutlich als Agrippina und Dulcinea, als Spiegelbild des Narziss, und als Ariadne mit einem wunderschönen Duett gemeinsam mit Bacchus.
Leicht verständlich war das Geschehen auf der mitten im Zuschauerraum aufgestellten Insel-Spielfläche allerdings nicht, es gehörte schon einige Phantasie dazu, den Intentionen des Regisseurs zu folgen, zumal es auch noch ein Kind im Rokoko-Kostüm gab, welches manchmal die Aufgabe haben sollte, die Interaktionen zu ordnen.
Besonders erfreulich war, was die sieben Mitglieder des Philharmonischen Orchesters an klassisch-barocken Klangfarben, sanft geführten harmonischen Linien und sensibler Ausdrucksfülle aufboten und wie dieses auf den Zuschauer eine faszinierende Wirkung ausübte.
Wünschenswert wäre es, wenn Georg Philipp Telemann als Komponist des Barock eine Renaissance erfahren würde, und hier insbesondere mit seinen wenigen vollständig erhaltenen Opern - und nicht nur hier in Hamburg, der Stätte seines umfangreichsten Schaffens.