Hamburg, Opera Stabile, CIBOULETTE - Reynaldo Hahn, IOCO

CIBOULETTE in der Opera Stabile: Eine deutsche Erstaufführung war die 1923 komponierte musikalische Komödie Ciboulette von Reynaldo Hahn am 5. Juli 2024 in der Opera Stabile der Hamburgischen Staatsoper ....

Hamburg, Opera Stabile, CIBOULETTE - Reynaldo Hahn, IOCO
Hamburgische Staatsoper - Opera Stabile @ Kurt Michael Westermann

von Wolfgang Schmitt 

Nicht wirklich bekannt ist hierzulande der französische Komponist Reynaldo Hahn (1874 – 1947). Geboren wurde Hahn in Caracas als Sohn einer Venezolanerin und eines aus Hamburg stammenden Ingenieurs, Erfinders und Beraters des damaligen venezolanischen Präsidenten Antonio Guzmán Blanco in Sachen Kultur. Er baute in Caracas sogar ein Opernhaus, während seine Ehefrau sich als Kunst-Mäzenin betätigte, Soireen für die „Haute volée“ von Caracas arrangierte und Liederabende organisierte. Nach dessen Amtszeit-Ende im Jahre 1878 übersiedelte die Familie Hahn nach Paris.

Schon früh wurde Reynaldo Hahns musikalische Begabung erkannt, und so besuchte er ab 1885 das Pariser Konservatorium und wurde Schüler von Jules Massenet, Charles Gounod und Camille Saint-Saens.

Bereits als 13jähriger begann er zu komponieren. Zu seinen Werken zählen Liederzyklen, Klavierkonzerte, Ballettmusik, Violinkonzerte, sowie 6 Opern und 6 Operetten, die in Frankreich stets erfolgreich waren und noch immer auf den Spielplänen meist kleinerer Theater zu finden sind.

Doch nicht nur als Komponist war Reynaldo Hahn erfolgreich, auch als Sänger und Pianist seiner eigenen Lieder erfreute er das Publikum in den Pariser Salons. An der Pariser Ecole Nationale de Musique erhielt er 1920 eine Professur für Gesang, auch arbeitete er für die Zeitung „Le Figaro“ als Musikkritiker, und nach dem Kriegsende 1945 wurde er Direktor der Pariser Oper.

CIBOULETTE - Opera Stabile - Szenefoto @ Jörg Landsberg

Seine erste Oper, L'Ile du Rève komponierte er 1898, und seine wohl erfolgreichste Oper war Le Marchand de Venise, geschrieben 1935 nach Shakespeares Theaterstück. Diese Oper erlebte ihre deutsche Erstaufführung 2017 am Bielefelder Theater.

Ebenfalls eine deutsche Erstaufführung war nun seine 1923 komponierte musikalische Komödie Ciboulette am 5. Juli 2024 in der Opera Stabile der Hamburgischen Staatsoper.

Für diese intime kleinere Spielstätte hatte Johannes Harneit die Partitur bearbeitet und für kleines, nur aus zehn Musikern bestehendes Orchester arrangiert. Nicolas André war der musikalische Leiter des Abends, bemühte sich um eine lebendige Umsetzung der radikal verschlankten Partitur, doch die funkelnde schwelgerische Farbigkeit der Musik Reynaldo Hahns - komponiert ganz in der Tradition der schwungvoll-eingängigen Offenbach-Operetten -, die französische Eleganz und Esprit in ihrer Dynamik und Vitalität wollte sich nicht so recht einstellen. Es gab Momente, in denen die Harfe, die Flöte, und auch die Blechbläser schöne klangliche Akzente setzen konnten, doch ansonsten plätscherte es wie brave Kaffeehaus-Musik dahin, und so blieb es großenteils lediglich bei dezenter Untermalung des schrillen Geschehens auf der Spielfläche.

Denn der Regisseur Sascha-Alexander Todtner hatte die originelle, eigentlich in den Pariser „Halles“ und der Vorstadt spielende Handlung in die New Yorker Underground-Szene der 1980er Jahre verlegt, so daß von charmanter französischer „Belle Epoque“ nichts blieb und man sich in der schwülen Atmosphäre eines Ballrooms der queeren Subkultur New Yorks wähnen sollte, in der die Geschlechteridentitäten heftig durcheinander gewirbelt wurden.

In der eigentlichen Handlung dieser musikalischen Komödie geht es um die junge Gemüsegärtnerin Ciboulette (zu deutsch „Schnittlauch“) auf der Suche nach ihrem Lebens- und Liebesglück. Nach einigen Irrungen und Wirrungen erfüllen sich ihre Träume, sie steht als Sängerin auf der Bühne, und in dem jungen Aristokraten Antonin findet sie auch noch ihr Liebesglück.

CIBOULETTE - Opera Stabile - hier Yeonjoo Katharina Jang als Ciboulette, mit Mateusz Lugowski @ Wolfgang Radtke.

Einigermaßen verwirrt fühlte man sich allerdings auch als Zuschauer des gesamten Geschehens, denn einige der zehn Protagonisten verkörperten gleich zwei oder drei Rollen, überraschten mit immer neuen Kostümierungen, so daß man es irgendwann aufgab, der eigentlichen Handlung zu folgen, sich zurücklehnte und sich nur noch an dem Schöngesang und dem engagierten Treiben der Ausführenden erfreute, egal ob sie nun gerade Männlein oder Weiblein oder was auch immer darstellen sollten.

Offensichtlich hatten die jungen Künstler aus dem Internationalen Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper ihr Vergnügen bei der Darstellung der verschiedenen Charaktere. Sie sangen großartig und trugen die ihnen zugedachten phantasievollen, von Christoph Fischer entworfene Kostüme mit Grazie und Anmut.

Allen voran der Bass-Bariton Grzegorz Pelutis in der Rolle des Duparquet, die er in üppiger roter Robe, Maske und Perücke als absolut perfekte Imitation der seinerzeit wohl bekanntesten Drag-Queen der 70er und 80er Jahre, „Divine“, darstellte.

Yeonjoo Katharina Jang, Foto oben, mit ihrem strahlenden lyrischen Sopran war die bezaubernde Ciboulette zuerst im giftgrünen befransten Country-Girl-Dress, später in „Conchita-Wurst“-Aufmachung mit Bart und in dunkelgrünem Abendkleid.

Einen besonderen Eindruck hinterließ auch die Sopranistin Olivia Boen in der Partie der Zénobie mit großer blonder Amy-Winehouse-Beehive-Perücke - später als der Geschäftsmann Auguste -, sportlich Rad schlagend und gelenkig den Spagat vorführend und dabei auch noch schön singend.

Florian Panzieri in der Partie des Antonin, von Zénobie betrogen und verlassen, in Ciboulette verliebt, gefiel  mit seinem lyrischen Tenor und seiner Darstellung als Leidender und Liebender besonders in den Szenen und Duetten mit Ciboulette.

Liam James Karai als Ledermann, ganz in schwarz gekleidet, präsentierte seinen wohlklingenden Bass mit schöner Mittellage zunächst als Roger, der neue Liebhaber der Zénobie, später schlüpfte er in einen pinkfarbenen Petticoat und mutierte zur Marquise de Presles.

Die lyrische Mezzosopranistin Claire Gascoin, stets in schottisch kariertem Outfit, hatte gleich drei Partien zu bewältigen, zuerst war sie jedoch die Wahrsagerin Madame Pingret, die Ciboulette die Zukunft vorhersagt und wie sie den „Richtigen“ erkennen wird.

Aaron Godfrey-Mayes als Patron und Mère Grenu, und Mateusz Lugowski u.a. als Baronne Skerlotti gestalteten ihre Partien engagiert und intensiv, während Gabriele Rossmanith als charismatische Baronesse Nicole de Choeur auch als eine Art Moderatorin fungierte, die den Handlungsfaden ein wenig entwirren sollte, und die außerdem gemeinsam mit Marta Swiderska als Nini Patapouf de Chorale für die Chorpassagen zuständig war.

Gespielt wurde das Ganze auf einem weiß und pink-farbenen Bühnenpodest mitten im Saal, welches durch An- und Aufbauten erweitert werden sollte, was leider zweimal nicht so recht klappen wollte und drei Bühnenarbeiter minutenlang mit dem Zusammensetzen der einzelnen Teile beschäftigt waren, während die Sänger ratlos herumstanden, was die ganze Spannung der Aufführung ziemlich beeinträchtigte.

Doch am Ende gab es reichlich Applaus für alle Mitwirkenden, insbesondere natürlich fürs Gesangsensemble, die sich die Ovationen auch wirklich verdient hatten.