Hamburg, Laeiszhalle, Bachomania – Leon Gurvitch, IOCO

Hamburg, Laeiszhalle, Bachomania – Leon Gurvitch, IOCO
Leon Gurvitch copyright solo musica

Hamburg, Laeiszhalle, Bachomania – Leon Gurvitch, IOCO

 

26.04.2025

 

Leon Gurvitch hat sein Programm „Bachomania“ als eine Hommage an Johann Sebastian Bach gestaltet. Mit Bearbeitungen von Stücken Bachs aber auch eigenen Kompositionen hat er sich so Bach auf seine Weise genähert. Mit kreativem Erkunden von Bachs Werk, Hingabe und unglaublicher phantasiereicher Suche nach verborgenen Elemente  hat er den Variantenraum in und hinter Bachs Noten weit aufgestoßen. So erlebten die Zuhörer eine fulminante packende musikalische Reise.

 

Leon Gurvitch lebt als Komponist, Dirigent, Dozent und Pianist seit über zwanzig Jahren in Hamburg. Zahlreiche Erfolge feierte er international zuletzt in New York aber auch mit CD Veröffentlichungen und aktuell zudem mit bereits mehrfach aufgeführt Ballettkompositionen. Seine aktuelle CD Musique Mélancolique bei Solo Musica zeigt ihn als Klangpoeten, der Lebendigkeit, Kontraste, Sturm, Melancholie und Träume als musikalische faszinierenden Fluss komponiert und interpretiert hat.

Geboren wurde er in Minsk studierte er Oboe, Klavier und Dirigat, war auch Jazzmusiker sowie Gründer einer Band. Nun hat er sich in seinem Programm mit Johann Sebastian Bach befasst und sich dessen Werk mir eigenen Akzenten angenähert.

 

In der Kirche, Schule oder Medien ist vermutlich jeder mit Bach in Berührung gekommen und kennt Eindrücke aus Messen, Choräle oder Konzerten. Mein zentraler erster und bleibender Eindruck waren die Klarheit, die Wahrheit und die Logik, die Bachs Musik innewohnt. Die Wahrnehmung dieses musikalischen Giganten als ein Garant der Wahrheit und Klarheit ist auch heute noch der engen Verbindung seiner Musik zur Mathematik geschuldet. Seine Werke zeigen immer ein tiefes Verständnis für Strukturen, Muster und Transformationen, die sich mathematisch darstellen lassen.

 

So erklärt sich, dass Bachs Musik durch mathematische Modelle wie Netzwerke dargestellt wurde, um Strukturen und Muster zu zeichnen und nachzuvollziehen, was seine Musik ausmachen. Ohne seine Manifestation der mathematischen Präzision und Struktur wären seine Nachfolger in ihrer Konsequenz und Vollendung nicht vorstellbar. Richard Wagner bezeichnete Bach als das erstaunlichste musikalische Wunder aller Zeiten. Bachs letztes Meisterwerk war "Die Kunst der Fuge". Ihm gelang damit dort an eine polyphone Schöpfung, mit der er nochmal über sich hinauswuchs und die in eine Welt gänzlich jenseits seiner bisherigen Pfade führte. Gurvitch fügte während des Konzerts das Zitat und sein Bekenntnis zu Bach hinzu: „Nicht alle Musiker glauben an Gott, aber alle an Bach“.

 

Leon Gurvitch ist in einem Land aufgewachsen, dass musikalische Bildung zumindest in der Vergangenheit als einen wesentlichen kulturellen Bestandteil der eigenen Identität begriffen hat. So war er seit frühester Jugend mit Bach und der westlichen Musik vertraut und verwoben. Später entwickelte er Interessen für die jüdische Liturgie und den in Deutschland im 19. Jahrhundert wirkenden Komponisten Louis Lewandowski. Dieser Komponist hatte die jüdische Liturgie mit Gesang, Orgel und Chorälen bedeutend erweitert und modernisiert. Einen weiteren Impuls gab ihm auch der Klezmer. Diese Impulse waren der politisch und kulturell bewegten Zeit seiner Jugend geschuldet, die diese Inspirationsquellen nach dem Zerfall der Sowjetunion erschloss.

 

Leon Gurvitch hat auf eine unglaublich gewinnende Weise durch das Programm geführt, die Stücke erläutert und seine Gedanken dazu geäußert.

 

Am Beginn des Programms stand „Jesus bleibet meine Freude“ wo Jesus großartige Eigenschaften und die Sehnsucht nach dem Allmächtigen hervorgehoben werden. Gurvitch nahm das Stück mit bestrickender unprätentiöser Klarheit und einnehmender Wärme. Darauf folgte das Präludium e-Moll in der Bearbeitung von Alexander Siloti. Die Komposition vereint Bachs barocke Strenge mit der romantischen Sensibilität des späten 19. Jahrhunderts. Von besonderer Wirkung war die Interpretation der meditativen romantischen Variationen, in der Gurvitch eine innige blühende Atmosphäre schuf. Hervorstechend in Gurvitchs Interpretation waren die weichen Akkorde, mit denen er auch durch eine dichte lyrisch träumerische Aura schuf. Was ihm besonders intensiv gelang, waren auch die impressionistischen Klangfarben des Stückes.

In seiner Bearbeitung der Prélude aus der Suite für Violoncello hat Gurvitch das Streichinstrument in einen sanften Klavierton geformt. Seiner Bearbeitung schuf so einen runderen und dunkleren Ton. Eigene Welten, gegenläufiger Rhythmen und meisterhafte Übergänge paarte er mit der Komposition von Bach. Die Freiheit von Gurvitchs Bearbeitung schuf eine neue beglückende Perspektive auf das Werk, weil er viele Emotionen und Variationen hervorbringt, die ohne seine Bearbeitung hinter Bachs Noten verborgen geblieben wären.

Bei den Improvisationen über „B.A.C.H.“, zeigte sich Gurvitch als Meister der Improvisation und des Klaviers. Wie er aus nur vier Tönen verschiedenste Tonfolgen kreiierte und modulierte, war ein rauschhaftes Erlebnis. Mitreißenden schwelgte er wie auch bei seiner Improvisation in Klängen und Farben.

In der Folge widmete sich Gurvitch vorwiegend eigenen Kompositionen, die in ihren Strukturen, ihrer Klarheit und ihrem Elan durchaus Parallelen zu Bach aufwiesen. Im Stück „Female Dance“ aus seinem Ballett „Kintsugi“ präsentiert Gurvitch eine tänzerisch fließende Komposition mit präzisen und auch jazzigen Rhythmen. Leichtfüßig und schwebte elfengleiche Musik durch den Saal.

 

Das Stück „Melody from childhood“ aus seinem Zyklus „Musique Mélancolique“ kam wie ein leise rauschendes Bächlein daher. Erinnerungen an die Kindheit reihten sich mal freundlich mal disonant aneinander. Darauf folgen die Stücke „Spring“ und „Summer“ aus seinen „4seasons“. Gurvitch bot hier ein variationsreiches farblich und dynamisches Bild verschiedener Stimmungen, die von meditativen Klängen zu aufeinander folgenden einfachen Motiven zu einem sich ineinander verflechtenden Klanggebilde wuchsen. Mitreißende Klänge weckten Erinnerungen an Stimmungen des Wetters und erlebte Emotionen.

Bei „Ich bin ein Gast auf Erden“ trat wieder die Fähigkeit Gurvitchs zutage, aus einem altbekannten Kirchenlied mit seiner gewissen Melancholie einen hoffnungsvoll fröhlichen Aspekt hinzuzufügen, der durch groovige Momente an die Freuden des Erdendaseins erinnerte.

Mit der Uraufführung seiner Komposition „Perpetuum Mobile“ reihte Gurvitch zunächst gleiche Tonfolgen in unterschiedlichen Dynmiken aneinander, um bald daraus freudvoll auszubrechen und das Stück mit einem Finale furioso zu beschließen.

Das Konzert schloss mit einem Duett mit dem aus der Hamburgischen Staatsoper vom Orchesterdienst hinzugestoßenen Christian Seibold an der Klarinette, in dem sie Bachs Präludium C moll anstimmten und in beschwingtem jazzigem Sound das Publikum mitrissen und den Abend ausklingen ließen.

 

Von Richard Wagner stammt das Zitat: „Bach ist der Vater, wir sind die Buben. Wer von uns was Rechtes kann, hat's von ihm gelernt." Dies lebt Leon Gurvitch, dem man sein tiefes Verständnis von Bach beim Musizieren und in seinen Kompositionen Variationen sofort glaubt.

 

Die Kraft seiner Gedanken und seiner Kompositionen erinnert an jenen Spaziergänger, den Caspar David Friedrich im „Wanderer über dem Nebelmeer“ hat. In diesem subjektiven Naturerlebens hat der Maler eine besonders aussagekräftige Form des Sehens und des Variantenraum des zu Sehenden geschaffen.

Caspar_David_Friedrich Der_Wanderer_über_dem_Nebelmeer copyright Sitacuisses Wikimediacommons

 

So ist es bei den Kompositionen von Leon Gurvitch. Sein gleichsam spielerisch, manchmal experimentelles Komponieren aber auch seinen großen Respekt vor der Musik sind Kernelemente seiner Kunst. Zugleich nimmt er sich die künstlerische Freiheit, Seine Visionen mit dem Publikum zu teilen. Selbst in seien Improvisationen meint man hinter Dinge und musikalische Zusammenhänge zu blicken, die vorher verborgen waren.  Seine Musik ist lebendig und mitreißend. Das Konzert war erfüllt von Gurvitchs musikalischer Begeisterung die sich vollends auf das Publikum übertrug. Während des zweistündigen Programms herrschte eine gebannte Stille die sich in einem frenetischen Applaus entlud. 

Ein mitreißendes und bewegendes Konzert.