Hamburg, Staatsoper, LA CLEMENZA DI TITO - Mozart, IOCO
von Wolfgang Schmitt
Die Wiederaufnahme von Mozarts „La Clemenza di Tito“ an der Hamburger Staatsoper – die Premiere dieser Inszenierung von Jetske Mijnssen fand am 28. April 2024 als Co-Produktion mit den Opernhäusern Kopenhagen und Monte Carlo statt – stand ganz im Zeichen der Rollendebüts einiger der hauseigenen Sänger: Oleksiy Palchykov als Tito, Olivia Boen als Servilia, und Kady Evanyshyn als Annio.
Oleksiy Palchykov brillierte in der zwischen Macht und Milde schwankenden kaiserlichen Titelrolle mit seiner überaus strahlenden, wandlungsfähigen Tenorstimme, durchschlagskräftig und leicht metallisch in der Höhe. Er bewältigte wunderbar die kleinen Tücken dieser anspruchsvollen Partie gleich in seiner Auftrittsarie „Del pio sublime soglio“, hatte keinerlei Probleme bei den teilweise diffizilen Koloraturläufen, gab sich darstellerisch als der milde und gütige Herrscher, der allen verzeiht, die ihn betrogen und hintergangen haben, nicht fähig zu herrscherlicher Strenge. Er krönte seine Darbietung schließlich mit der virtuosen Schlußarie „Se all'impero, amaci dei“, und mußte sich am Ende die Pistole an die Schläfe halten – ob er abdrückt, blieb der Phantasie des Zuschauers überlassen.
Olivia Boen war eine charmante, anmutige Sevilia, vom Kaiser Tito als seine zukünftige Gemahlin auserwählt, die jedoch fest an ihrer Liebe zu Annio festhält. Ihr Spiel war von anrührender Natürlichkeit geprägt, und ihr klangschöner lyrischer Sopran beeindruckte mit Leuchtkraft und schwebenden Tönen in ihren Szenen, wenn sie ihre unverbrüchliche Liebe zu Annio gegenüber Tito bekräftigt.
Ensemble copyright Hans Jörg Michel
In der Partie des verzweifelten Annio, der auf die Liebe zu Servilia zugunsten des Kaisers zu verzichten bereit ist, überzeugte die junge lyrische Mezzosopranistin Kady Evanyshyn sowohl mit temperamentvoller Darstellung als auch mit makelloser Stimmführung, differenzierten Klangfarben, stilsicherem Ausdruck und kluger Phrasierung.
Als einzige hier Mitwirkende von der Premieren-Serie im April übrig geblieben ist Tara Erraught als die intrigante Vitellia, der eigentlichen Strippenzieherin hinter den Umsturzplänen gegen Kaiser Tito. Ihr kraftvoll eingesetzter dramatischer Sopran verfügt über eine strahlende Höhe und auch über ein sattes Tiefenregister. Imponierend war auch, wie ihre Stimme die virtuosen Steigerungen meisterte und wie sie die Rachegelüste der Rolle stimmlich großartig umzusetzen in der Lage war.
Die Mezzosopranistin Angela Brower übernahm in dieser Wiederaufnahme die Partie des Sesto, der Freund von Kaiser Tito, den er aus Liebe zu Vitellia verrät. Sie verfügt über einen hell timbrierten, stilsicher eingesetztem Mezzosopran von warmem Klang in der Tiefe, wunderschönen weichen Piani und spielend leichten Koloraturläufen. Ihre Szenen mit Vitellia sowie ihre Arie „Parto parto“ und besonders auch „Deh per questo istante solo“, in der sie Tito um Gnade bittet, gerieten hoch emotional. Ihre darstellerische Leistung war berührend und ließ keinerlei Wünsche offen.
Eine wahre Entdeckung war an diesem Abend der junge chinesische Bassist William Guanbo Su, der mit der Partie des Publio sein Hamburg-Debüt und gleichzeitig sein Deutschland-Debüt gab. Der Künstler lebt in den USA und gastiert an der New Yorker MET sowie an den Opernhäusern Dallas, Houston, Seattle, Kansas City, Santa Fe u.a.m. Mit seinem prachtvollen, voluminösem Bass, einer schönen, edlen Mittellage und einem markantem Tiefenregister wertete er die wenigen Szenen des Publio und die kurze Arie „Tardi, s'avvede d'un tradimento“ enorm auf und machte seine Auftritte zu einem Ereignis.
Auch der junge britische Dirigent Ben Glassberg (Jahrgang 1994) gab sein Debüt an der Hamburger Staatsoper. Zur Zeit ist er Musikdirektor der Opéra de Rouen Normandie, und ab dem kommenden Jahr wird er der Chefdirigent der Wiener Volksoper sein.
Unter seiner einfühlsamen Leitung spielte das Philharmonische Staatsorchester Mozarts Musik wunderbar fließend in einer ausgewogenen Balance zwischen Aufgewühltheit und Entspannung. Glassberg bewies viel Sinn für Details, für die Natürlichkeit und Lebendigkeit dieser Komposition. Die Proportionen klangen recht ausgewogen, und der musikalische Ausdruck wirkte innig und echt. Der hervorragende Klarinettist wie auch die sehr gut disponierten Bläser vermochten ihre Passagen weich und agil zu gestalten, ebenso die Streicher, die über weite Strecken diesen herrlichen interessanten Abend mit trugen. Der von Eberhard Friedrich exzellent einstudierte Staatsopern-Chor sang präzise und erfüllte seine szenischen Anforderungen.
Leider war diese sonntägliche 17-Uhr-Vorstellung nur zur Hälfte ausverkauft, aber das anwesende Publikum sparte nicht mit Ovationen für sämtliche Beteiligten.