Hamburg, Hamburgische Staatsoper, MITRIDATE, RE DI PONTO - W. A. MOZART, IOCO
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23. 2.2025 Premiere
Im Jahre 1770, im Alter von nur 14 Jahren schrieb Wolfgang Amadeus Mozart die Oper „Mitridate“, - es war bereits seine fünfte Oper. Er komponierte diese während eines Italien-Aufenthaltes mit seinem Vater als Auftragswerk für den Generalgouverneur der damals zu Österreich gehörenden Lombardei. Das Libretto stammt von Vittorio Amadeo Cigna-Santi, einem Theaterdichter aus Turin. Als Vorlage diente diesem das Drama „Mitridate“ des bedeutenden Dramatikers der französischen Klassik des 17. Jahrhunderts, Jean Baptiste Racine. Uraufgeführt wurde „Mitridate“ am 26. Dezember 1770 im Mailänder Teatro Regio Ducale (dem Vorgänger der Scala).
„Mitridate“ ist ein wichtiges Werk in der Entwicklung von Mozarts kompositorischem Stil. Diese Oper bietet einen faszinierenden Einblick in die frühen Jahre von Mozarts Schaffen und seine Fähigkeit, menschliche Emotionen durch Musik auszudrücken. Dieses frühe Werk zeigt bereits viele der charakteristischen Merkmale seiner Musik, darunter melodische Einfälle, sehr viele ausdrucksstarke Arien und ein wunderschönes komplexes Duett (Aspasia und Sifare). Besonders hervorzuheben sind die emotionalen Konflikte und die dramatische Tiefe, die er in den Charakteren und deren Beziehungen vermittelt.
Die Oper erzählt die Geschichte von Mithriades VI., dem König von Pontus, einem Reich an der Schwarzmeerküste, der gegen die Römer kämpft und sich mit politischen und persönlichen familiären Konflikten auseinandersetzen muß. Die etwas wirre Handlung dreht sich um Themen wie Liebe, Verrat und Rache. Mitridate ist ein machtbewußter König, der von den Intrigen seiner Gegner und den Loyalitäten seiner Liebsten umgeben ist. So hat er zwei Söhne, die dieselbe Frau lieben, doch diese Frau ist die Braut des Mitridates.
200 Jahre seit der Mailänder Uraufführung mußten vergehen, bis „Mitridate“ wieder zum Leben erweckt und bei den Salzburger Festspielen 1971 erstmals wieder aufgeführt wurde, und noch immer führt Mozarts geniales Frühwerk in der Opernlandschaft ein eigentlich unverdientes Schattendasein. So gab es, neben einigen konzertanten Aufführungen, u.a. 2011 eine Produktion in München, 2014 in Schwetzingen, und 2022 in Berlin.
Erstmals an der Hamburgischen Staatsoper wurde „Mitridate“ am 23. Februar aufgeführt und erfuhr eine überwältigende Zustimmung vonseiten des Premierenpublikums, und das, obwohl eine „Inszenierung“ nur bedingt stattgefunden hat und man hier eher von einer semi-konzertanten Darbietung sprechen kann. Denn das Orchester ist mitten auf der Bühne platziert, die Bühne selbst und ebenso die Bühnenrückwand sind in ganzer Breite mit einem schwarz-grauen Stoff bis vorn zur ersten Sitzreihe ausgelegt, und die Protagonisten können sich meist stehend, sitzend oder liegend auf ihre großen Arien konzentrieren. Manchmal müssen sie sich auch beim Singen vorn an der Rampe in das Ende dieser Stoffbahnen einwickeln. Zwar gibt es einen Ringkampf zwischen den Brüdern Sifare und Farnace, die wie zwei Catcher übereinander herfallen und angestrengte Grunzlaute von sich geben müssen, oder Farnace darf sich manchmal mit einer Zigarette entspannen, nachdem sie mit einem silbernen Schwert herumgefuchtelt hat. Arbate fungiert als eine Art Platzanweiser, wenn die Orchestermusiker ihren Platz verlassen und vor ihrem nächsten Einsatz wieder die Bühne betreten, oder als besonderen Gag scheucht Mitridate den Dirigenten von seinem Pult, um selbst ein paar Takte zu dirigieren. Aber mehr ist Birgit Kajtna-Wönig zum Thema Regie nicht eingefallen.
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Schlicht überwältigend war die musikalische Seite des Abends. Mozart-Spezialist Adam Fischer dirigierte die etwa 30 Musiker des Philharmonischen Staatsorchesters geradezu triumphal. Er präsentierte diesen frühen Mozart unglaublich eindrucksvoll und spannend, lotete die Partitur bemerkenswert transparent aus, entfaltete einen wunderbar präzisen, weichen Schönklang und erreichte stets eine ausgewogene Form zwischen Lyrik und Dramatik.
Auch gesanglich war dieser Abend hervorragend, insbesondere Nikola Hillebrand in der Partie der Aspasia, der Verlobten des Mitriades und Objekt der Begierde sowohl von Sifare als auch von Farnace. Sie gefiel sowohl von ihrer aparten Erscheinung her mit den langen blonden Haaren und in fliederfarbenem Gewand (Kostüme von Marie-Luise Otto, die auch für den Bühnenentwurf zuständig war), als auch mit ihrem lyrischen Koloratursopran, mit dem sie in ihren zahlreichen virtuos und glanzvoll dargebotenen Arien ein wahres Koloratur-Feuerwerk entfachte. Und ihr fein austariertes Liebesduett mit Sifare, übrigens das einzige Duett in dieser Oper, geriet zum Höhepunkt des Abends, beide Stimmen verschmolzen hier harmonisch zu reinstem Wohlklang. Olivia Boen war dieser Sifare, mit blonder Prinz-Eisenherz-Frisur und in kurzen Hosen. Auch sie überzeugte mit ihrem klangvollen lyrischen Sopran in ihren Arien, besonders auch in „Lungi da te“ mit dem Horn-Solo, und überraschte mit der nahezu perfekten Koloraturläufigkeit ihrer Stimme, wie man es zuvor noch nicht von ihr gehört hatte.
Mitridates zweiter Sohn Farnace, der Freund der Römer, war mit der kämpferisch und robust sich gebenden Adriana Bignagni Lesca bestens besetzt, Sie verfügt über eine sehr dunkel timbrierte saturierte Alt-Stimme, die jedoch geschmeidig genug für die Koloraturpassagen ist und auch keine Probleme mit den höher liegenden Passagen der Partie hat.
Die Partie der Ismene, die in Farnace verliebt und von ihm abgewiesen wird, wurde von der jungen Belgierin Dorine Mortelmans übernommen. Auch sie verfügt über einen glockenreinen lyrischen Sopran und beeindruckte besonders im dritten Akt mit ihrer nur vom Streichquartett begleiteten Arie „Tu sai per chi m'accese“.
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Vorzüglich war die Art, wie der Engländer Robert Murray die Partie des Tyrannen Mitridate bewältigte. Mit seinem vor allem in der Mittellage warm timbrierten großen lyrischen Tenor meisterte er die Klippen dieser heiklen Partie aufs vortrefflichste und entfaltete weitestgehend stimmlichen Wohlklang dank guter Gesangstechnik auch während der enormen Intervallsprünge in einigen seiner Arien. Als blonder Recke im grauen mit Pailletten besetzten Uniformmantel und schwarzen Stiefeln war er bei seinen Wutausbrüchen ganz der glaubhafte erbarmungslose Despot.
Peter Galliard als Statthalter von Ninfea und Seungwoo Simon Yang als römischer Gesandter in den Nebenrollen ergänzten das hochklassige Ensemble vortrefflich.
Überraschenderweise war diese Premiere nicht wie sonst völlig ausverkauft, und nach der Pause fielen weitere leere Plätze auf. Barockopern mit endlos erscheinenden Koloratur-Arien sind eben nicht jedermanns Sache. Das verbliebene Premierenpublikum sparte am Ende nicht mit Ovationen für die Leistungen von Adam Fischer und das großartig aufspielende Orchester sowie für sämtliche Protagonisten.