Hamburg, Hamburgische Staatsoper, Manon - Jules Massenet, IOCO Kritik, 23.02.2021
MANON - Jules Massenet - Videostream
"C´est la vie" : Las-Vegas-Nachtclub - fliegende Geldscheine - Spielautomaten
von Wolfgang Schmitt
Seit nunmehr drei Monaten befinden wir uns in diesem unsäglichen Lockdown, seit drei Monaten sind die Opernhäuser und die Theater geschlossen, und seit drei Monaten liegt die Kulturszene mehr oder weniger brach. Umso dankenswerter ist es, daß nun auch die Hamburger Staatsoper sich entschlossen hat, die geplante Premiere von Massenets Manon auf die Bühne zu bringen und dem Publikum per Livestream und im Radio zugänglich zu machen. Massenets Opern werden hierzulande leider nicht so häufig gespielt, mal abgesehen von Werther, und so waren die Hamburger besonders gespannt auf diese Manon, bevor der Lockdown die Vorfreude erstmal zunichte machte. Doch nun hat die Hamburgische Staatsoper sich in die Liste der Opernhäuser eingereiht, die kostenfreie Streaming-Angebote liefern. Die Oper basiert auf dem Roman L'histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut des Abbé Prévost von 1731. Massenet hat sich bei seiner Komposition ziemlich an die Romanvorlage gehalten, während Puccinis Manon Lescaut sich auf die wesentlichen Szenen konzentrierte. Auch Daniel Esprit Auber schrieb 1856 seine Manon Lescaut, die jedoch auf deutschen Opernbühnen nur höchst selten zu finden war. Auch Hans Werner Henze vertonte 1951 diesen Stoff als Boulevard solitude.Manon an der Hamburgischen Staatsoper youtube Trailer OperaVison [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Die hier besprochene Aufführung vom 24.1.2021 in der Inszenierung von David Bösch ist aufregend, spannend, intensiv und spielerisch detail-verliebt: Wenn Manon im ersten Bild ihren ersten Versuch macht, eine Zigarette zu rauchen, später mit dem Pfefferspray hantiert, oder der imaginären streunenden Katze, die irgendwie durch alle Szenen und über die Videoprojektionen zwischen den Akten schleicht, die Milchschale hinstellt und sie im Katzenkorb füttert. Später der leuchtende Mini-Eiffelturm als Symbol für die Stadt der Liebe und des Vergnügens, dessen Lichter ausgehen, wenn die erste Verliebtheit und Leidenschaft erloschen ist oder am Ende der Tod wartet. Manon ist Elsa Dreisig, der man das 16jährige, lebendige, neugierige, lebenshungrige Mädchen durchaus abnimmt, die Freude und Spaß an ihremDasein haben will. Als Mädchen vom Lande kostümiert (Kostüme Falko Herold) mit blauer Strickmütze, langem blauem Schal, Ringelpullover und Schlabberkleid, ist sie sogar beeindruckt von der düsteren Spelunke (Bühnenbilder von Patrick Bannwart), in der ihr Cousin Lescaut sie erwartet, um sie ins Kloster zu bringen. Als Manon und Des Grieux einander erblicken, ist es Liebe auf den ersten Blick, und da es auch auf der Bühne aufgrund der Corona-Abstandsregelungen nicht zu Berührungen kommen darf, ist der 3 Meter lange Schal die „intime“ Verbindung der beiden. Düstere Stimmung herrscht auch im nächsten Bild, ein kleines spartanisch eingerichtetes Zimmer mit Bett und „notre petite table“, ein großes Fenster, auf welches Herzen mit „M – G“ projiziert werden. Gleißende Atmosphäre dagegen im folgenden Bild, einem Las-Vegas-Nachtclub mit üppigem Kronleuchter und Spielautomaten, im Bühnenhintergrund prangt groß und neon-beleuchtet der Schriftzug „C'est la vie“. MANON an der Hamburgische StaatsoperIOCO bringt Sie LIVE zur Aufführung - Klicken Sie HIER!
Hier feiert Manon gerade ihren 20. Geburtstag. Großartig präsentiert sich hier der Cousin Lescaut als bekiffter Rock-Star, anschließend Manon als Nachtclubsängerin, nicht unbedingt als Marilyn, sondern eher als eine Kathy-Kirby-Imitation mit blonder Perücke und weißem Pelzmantel. In Des Grieux' schlichter Klosterzelle dominiert das übergroße Kruzifix, auch eine Heimorgel ist vorhanden, in diesem Bild haben die noch immer Liebenden Manon und Des Grieux ihre stärksten, eindrücklichsten Momente, so daß er sein Klosterleben aufgibt und ihr in eine ungewisse Zukunft folgt. Im vierten Akt befinden wir uns in der Spielhölle des Transsylvanischen Hotels, hier dominiert der übergroße Roulettetisch, an dem sich Des Grieux nun im Glücksspiel versucht, auch russisches Roulette wird hier in dieser Inszenierung praktiziert, in dessen Verlauf schließlich Manon ihren Gönner, den Lebemann Guillot-Marfontaine erschießt, während im großen Finale des fünften Aktes Manon sich vergiftet und Des Grieux sich die Pulsadern aufschlitzt, um, wie Romeo und Julia, gemeinsam in den Tod zu gehen – ein weiterer, durchaus nicht unpassender Regieeinfall. - „C'est la vie“, „That's Life“, „So oder so ist das Leben“.Manon - hier Werkeinführung - David Bösch, Detlef Giese youtube Trailer Hamburgische Staatsoper [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
In Zeiten von Corona ist es unumgänglich, sich an die Abstandsregeln zu halten, und so wurde der verkleinerte Chor, wie immer von Eberhard Friedrich auch unter diesen Voraussetzungen perfekt einstudiert, in die Logen und Ränge platziert, kleine Unstimmigkeiten zwischen Bühne, Chor und Orchester blieben daher nicht aus. Auch wurde das Philharmonische Staatsorchester unter der kompetenten Leitung von Sebastien Rouland etwas ausgedünnt – weniger Bläser, weniger Schlaginstrumente, weniger Streicher, dennoch gab es hier keinerlei nennenswerte Einschränkungen, das Orchester spielte fulminant auf, setzte dramatische Akzente oder nahm sich bei den sensiblen, anrührenden Passagen kammermusikalisch zurück, so daß trotz der reduzierten Instrumente hinsichtlich des Orchesterklangs kaum Wünsche offen blieben.Sängerisch befand sich diese Darbietung auf allerhöchstem Niveau. Natürlich stand im Mittelpunkt eines insgesamt hochkarätigen Ensembles die junge Sopranistin Elsa Dreisig, sensationell in ihrer Darstellung dieses lebenshungrigen jungen Mädchens, ihre wunderschön timbrierte Stimme von berückender Natürlichkeit und Leichtigkeit, absolut perfekt in der Intonation, der Phrasierung und den Intervallsprüngen. Ihr zur Seite und durchaus ebenbürtig stand der junge rumänische Tenor Ioan Hotea als Des Grieux, jung und gut aussehend, etwas unbedarft und naiv, so legt er seine Partie an, sich im Verlaufe der Handlung hineinsteigernd in Stimmungsumschwünge und Gefühlsregungen zwischen Verzweiflung, Ablehnung, bis hin zu unerschütterlicher Leidenschaft und Liebe zu seiner Manon. Seine warm timbrierte Stimme verfügt über zarten Schmelz, dennoch kann er sie kraftvoll bis hin zur heldischen Leidenschaftlichkeit einsetzen. Björn Bürger präsentiert eine wahre Palette von Verkommenheit bis hin zum totalen Absturz, als Manons Cousin Lescaut gibt er den Beschützer, den machohaften Zuhälter, den drogenabhängigen Lebemann, und schließlich den hilflosen Junkie. Mit seinem kernigen, kraftvoll eingesetzten Bariton gefiel er insbesondere in seiner Rock-Star-Imitation im Casino-Bild des dritten Aktes. Mit seinem wohlklingenden Kavaliersbariton gab Alexey Bogdanchikov den eleganten, vornehmen Adligen Brétigny, während der Charaktertenor Daniel Kluge seine Partie des reichen Pächters und Lebemanns Guillot-Marfontaine mit Witz und Spielfreude ausstattet. Mit bassiger und gestrenger Autorität sang Dimitry Ivanshchenko den Vater Des Grieux, und auch Martin Summer als optisch Angst einflößender Wirt konnte seinen noblen Bass präsentieren. Das Trio der „leichten Mädchen“ Pousette, Javotte und Rosettein vulgärer Aufmachung mit Glitzer-Minikleidern und pastellfarbenen Perücken wurde von Elbenita Kajtaz, Narea Son und Ida Aldrian ansprechend und schönstimmig gesungen, und die beiden Gardisten Collin André Schöning und Hubert Kovalcyk rundeten dieses ausgezeichnete Ensemble ab. Diese Manon-Inszenierung dürfte für die Hamburger Staatsoper ein großer Erfolg werden, wenn dieser Corona-Lockdown endlich vorbei sein wird und das geregelte Leben wieder beginnen kann. Wir freuen uns schon wieder auf unsere künftigen Live-Opernbesuche – hoffentlich bald !!!---| IOCO Kritik Staatsoper Hamburg |---