Hamburg, Ernst Deutsch Theater, SPATZ UND ENGEL - Daniel Große Boymann, Thomas Kahry, IOCO Kritik, 03.05.2023

Hamburg, Ernst Deutsch Theater, SPATZ UND ENGEL - Daniel Große Boymann, Thomas Kahry, IOCO Kritik, 03.05.2023
Ernst Deutsch Theater Hamburg © Oliver Fantitsch
Ernst Deutsch Theater Hamburg © Oliver Fantitsch

SPATZ  UND  ENGEL - Daniel Große Boymann, Thomas Kahry

- über Marlene Dietrich und Edith Piaf - zwei charismatische, sehr verschiedene Frauen -

von Wolfgang Schmitt

Marlene Dietrich (27. Dezember 1901 – 6. Mai 1992) - Der blaue Engel (1930), Angel (1937), Engel der Gejagten (1952) – Leinwand-Göttin, Stil-Ikone und Chansonsängerin. Ihr Vater war Polizeileutnant, ihr Stiefvater war Offizier, und vor einem solchen Familienhintergrund lernte sie seit früher Kindheit, was preußische Disziplin bedeutet.

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Edith Piaf (19. Dezember 1915 – 10. Oktober 1963) - „Der Spatz von Paris“ - die bedeutendste Chansonsängerin, die Frankreich je hervorgebracht hat. Ihre Mutter war eine Kaffeehaus-Sängerin, ihr Vater war Zirkusartist, trat als Schlangenmensch bei einem Wanderzirkus auf. Von ihrer Mutter verlassen wuchs sie bei ihrer Großmutter in einem Bordell in der Normandie auf, So erlebte sie eine schwierige Kindheit, bis ihr Vater sie zu sich holte und sie allerdings ausnutzte, indem er mit ihr als junge Straßensängerin Geld verdiente. Unter solchen Konditionen kann ein gewisses Maß an Selbstdisziplin nur auf der Strecke bleiben.

Marlene Dietrich fand in Josef von Sternberg ihren Förderer, der sie mit weiteren Filmen wie „Blonde Venus“, „Shanghai Express“, „Die scharlachrote Kaiserin“ oder „Der Teufel ist eine Frau“ zum Superstar katapultierte.

Edith Piaf verdankte schließlich, während ihrer Zeit als Sängerin in den Straßen von Paris, ihre Entdeckung durch den Pariser Cabaret-Besitzer Louis Leplée, der ihr die Möglichkeit gab, in seinem Club professionell aufzutreten und ihr den Weg zu ersten Rundfunk- und Schallplatten-Aufnahmen zu ebnen.

Im Jahre 1947 begegneten sich Marlene und Edith erstmals in New York. Ediths Konzerte waren dort nicht sehr gefragt, und so nutzte Marlene ihre eigene Popularität und rührte die Werbetrommel für ihre neue Freundin.

Aus dieser Begegnung und der beginnenden Freundschaft zwischen diesen beiden Künstlerinnen entwickelten Daniel Große Boymann und Thomas Kahry ein „Theaterstück mit Musik“ (nach einer Idee des Theaterwissenschaftlers David Winterberg), dessen Handlung sich in erster Linie um Stationen im Leben von Edith Piaf dreht und wie sie von Marlene Zuneigung, Hilfe und seelischen Beistand erfährt. Marlenes eigene Biographie bleibt hier im Hintergrund.

Ernst Deutsch Theater / Spatz und Engel hier Anika Mauer als Marlene, Vasilki Roussi als Edith, sowie die Herren Guntbert Warns und Ralph Morgenstern © Wolfgang Radtke
Ernst Deutsch Theater / Spatz und Engel hier Anika Mauer als Marlene, Vasilki Roussi als Edith,sowie die Herren Guntbert Warns und Ralph Morgenstern © Wolfgang Radtke

Das Stück wurde 2013 am Wiener Burgtheater uraufgeführt und trat schnell seinen Siegeszug durch die deutsche Theaterlandschaft an.  Nun ist das Stück auch in Hamburg angekommen, und in der Regie von Thorsten Fischer erlebte das Publikum des Ernst-Deutsch-Theater eine sensationelle und musikalisch grandiose Aufführung mit Anika Mauer als Marlene und Vasiliki Roussi als Edith, die nicht nur optisch den beiden Legenden entsprachen, sondern auch von der Gestik und Mimik, der Stimmfarben und des Gesangsstils ähnelten beide nahezu perfekt ihren Vorbildern. Edith trug den ganzen Abend ihr kurzes schwarzes Kleid, ihr „Markenzeichen“ sozusagen, während sich Marlene meist im schwarzen Rollkragenpulli und schwarzer Hose, dann im Frack mit Zylinder wie in ihrem Film „Marokko“, und schließlich in ihrem berühmten hellen enganliegenden Abendkleid präsentierte.

Auf leerer Bühne vor einem die gesamte Bühnenrückwand einnehmenden, von Neonlicht  umrahmten Spiegel agieren und singen die beiden Stars, flankiert von Guntbert Warns und Ralph Morgenstern, die in verschiedene Rollen schlüpfen, ersterer u.a. in die Rolle des neuen Liebhabers von Edith Piaf, des Boxers Marcel Cerdan, der tragisch bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, was bei ihr, die ohnehin leicht, locker, zügellos, exzessiv lebte, dem Alkohol und den Drogen nicht abgeneigt war, zu einem totalen seelischen Zusammenbruch führte. Weitere von den beiden Herren dargestellte Personen auf dem Lebensweg der Edith Piaf waren u.a. Yves Montand, dessen Karriere Edith zu Beginn sehr förderte, wie auch Jacques Pills, mit dem sie von 1952 bis 1956 verheiratet war und dessen Trauzeugin Marlene bei dieser Heirat gewesen ist. Gegen Ende des Stücks sitzt Edith im Rollstuhl in einem Krankenhaus, gezeichnet von Drogen- und Alkoholmußbrauch – in der Realität war es allerdings ein schwerer Autounfall, verursacht von ihrem Schützling Georges Moustaki, bei dem sie schwer verletzt wurde und monatelang ans Krankenhausbett gefesselt war. In dieser Zeit schrieb Georges Moustaki für sie den späteren Welt-Hit „Milord“.

Neue Kraft schöpfte Edith Piaf, als das Pariser Olympia vor dem Bankrott stand. Edith raffte sich auf zu Konzerten in diesem ehrwürdigen Theater und half, das Olympia vor dem endgültigen Aus zu bewahren. Zuvor bekam sie Besuch von Charles Dumont und Michel Vaucaire, die ihr ein neues Chanson anboten: „Non, je ne regrette rien“. Edith war begeistert von diesem Lied und präsentierte es erstmals bei ihrem Auftritt im Olympia. Auch dieses Chanson wurde ein Welterfolg.

Dieser Theaterabend lebte überhaupt von den zahlreichen Gesangsnummern, die geschickt in die Handlung eingefügt wurden, diese skizzierte und untermalte. Instrumental begleitet wurden Edith, Marlene und die beiden Herren von Harry Ermer als einfühlsamer Begleiter am Flügel und Eugen Schwabauer mít französischem Esprit und Raffinesse  am Akkordeon.

Ernst Deutsch Theater / Spatz und Engel hier Anika Mauer als Marlene, Vasilki © Wolfgang Radtke
Ernst Deutsch Theater / Spatz und Engel hier Anika Mauer als Marlene, Vasilki © Wolfgang Radtke

Gerade die Mischung zwischen Schauspiel und musikalischer Revue wirkte hier besonders reizvoll. Sei es bei parallelen Auftritten von Edith in Straßburg und Marlene in Baden-Baden,  wenn sie hier im Duett „Le Chevalier de Paris“ und „The World was young“ singen, oder „You're the cream in my coffee“, und passenderweise „Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin“, wenn der Regisseur eine – nicht wirklich bewiesene – intime Beziehung der Beiden andeuten will. Dieses ist tatsächlich reine Spekulation, denn dazu war Edith offenbar viel zu „mannstoll“, zeitlebens viel zu sehr auf Männer fixiert.

Mit Chansons wie „Mon Dieu“ und „Hymne à l'Amour“ verarbeitet Edith hier den Verlust ihres beim Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Freundes Marcel Cerdan, während Marlene, die trotz aller Versuche, ihre Freundin aus dem Sumpf von Drogen und Alkohol herauszuziehen, allmählich resigniert und sich zurückzieht: „Maybe I'll come back“, „Frag nicht warum ich gehe“.

„La vie en rose“, von Edith selbst getextet, war ein weiteres Duett der Beiden. Edith schenkte dieses Lied Marlene, die es in ihrem Alfred-Hitchcock-Film „Stage Fright“ sang.

Weitere zündende Piaf-Gesangsnummern waren „Padam Padam“, „L'accordeoniste“, „Mon Manège a moi“ und „Bravo pour le Clown“, während Marlene u.a. „Awake in a Dream“, „Land, Sea and Air“, „Boys in the Backroom“, „I wish you Love“, und als einen weiteren Höhepunkt des Abends „Sag' mir wo die Blumen sind“  beisteuerte. Diese wunderbaren Lieder und Chansons gaben zwar nur einen kleinen aber wichtigen Überblick über das langjährige Schaffen dieser beiden großartigen unvergleichlichen Künstlerinnen, die jedoch erheblich dazu beitrugen, diesen Abend neben der zum Teil fiktiven Story zu einem großartigen Publikumserfolg werden zu lassen.

Endloser Beifall und Standing Ovations waren der Lohn des Publikums für diese grandiosen Leistungen aller Beteiligten, besonders jedoch für Anika Mauer und Vasiliki Roussi.

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