Hamburg, Elbphilharmonie, SIEGFRIED - konzertant, Richard Wagner, IOCO Kritik, 10.02.2023

Hamburg, Elbphilharmonie, SIEGFRIED - konzertant, Richard Wagner, IOCO Kritik, 10.02.2023
Elbphilharmonie Hamburg / Lasershow zur Eröffnung © Ralph Lehmann
Elbphilharmonie Hamburg / Lasershow zur Eröffnung © Ralph Lehmann

Elbphilharmonie Hamburg

SIEGFRIED - konzertant, Richard Wagner

- Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks - Leitung Simon Rattle -

von Michael Stange

Richard Wagners Ring des Nibelungen ist eine Saga, die ein ganzes Menschenleben umfasst. Alle vier Teile haben eine Gesamtaufführungsdauer von sechzehn Stunden. Zwischen den ersten drei Teilen, d. h. zwischen Rheingold, Walküre und Siegfriedliegen jeweils zwanzig Jahre.

Nach dem Einzug der Götter in Walhall im Rheingold ist die Welt für die Götter scheinbar in Ordnung. Wotan muss aber später seinen Sohn Siegmund töten, Aufgrund der göttlichen Gesetze und der Bewahrung des ehelichen Friedens mit seiner Gattin Fricka war dies unausweichlich, weil er eine Ehe gebrochen und eine Frau entführt hatte. Er ist danach ein gebrochener Mann, der durch die Welt wandert, weil er zudem seine Lieblingstochter, die seine Befehle missachtete, von einem Feuer bewacht auf einem Felsen zurücklassen musste. Zuvor erfährt er aber, dass sein Sohn einen Enkel gezeugt hat. Hier beginnt das Werk, in dem Siegfried sein Schwert schmiedet, den Riesen Fafner und seinen Ziehvater Mime, der ihn vergiften will, tötet, dem Waldvogel lauscht und sich auf dem Weg zu Brünnhilde macht.

In der Elbphilharmonie wurde die Oper Siegfried, der dritte Teil oder zweite Tag des Ring des Nibelungen in opulenter Besetzung aufgeführt.

Für Hamburger Besucher war die konzertante Aufführung die Gelegenheit, das Werk drei Jahre nach den letzten Aufführungen in der Staatsoper wieder live zu erleben. Der Idee der konzertanten Aufführung stand auch Richard Wagner positiv gegenüber. In einem Brief fasste er seine Gedanken wie folgt zusammen: „Ach! Wie graut mir vor allem Kostüm- und Schminkewesen! Wenn ich daran denke, dass diese Gestalten wie Kundry nun sollen gemummt werden, fallen mir gleich die ekelhaften Künstlerfeste ein, und nachdem ich das unsichtbare Orchester geschaffen, möchte ich auch das unsichtbare Theater erfinden!“

Bayrischer Rundfunk / SIEGFRIED hier das Orchester mit Simon O´Neill und Anja Kampe © Daniel Dittus
Bayrischer Rundfunk / SIEGFRIED hier das Orchester mit Simon O´Neill und Anja Kampe © Daniel Dittus

Die Leitung der Aufführung am 8.2.2023 hatte Sir Simon Rattle. Schon mit den Berliner Philharmonikern hatte er den Ring mehrfach vorgestellt. Vor der Übernahme des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks dieses Jahres hat er mit ihnen CDs des Rheingold und der Walküre eingespielt. Konzerte in München Hamburg und Luxemburg waren die Fortsetzung der Gesamtaufnahme von Wagners Ring des Nibelungen mit dem Siegfried. Die Götterdämmerung zum Abschluss des Zyklus wird Rattle dann später mit dem Orchester einstudiert und aufgenommen werden.

Sir Simon Rattle leitete das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunk mit großer Kompetenz und nahm größte Rücksicht auf die Sänger. Streicher und Holzbläser verströmten immensen Wohlklange. Einige Patzer der Bläser passierten, aber dies dürfte auch der Länge des Werks geschuldet sein, das den Alltag eines Symphonieorchesters bei weitem sprengt.

Die Sängerriege war atemberaubend. Michael Volle war ein Wanderer von immenser Qualität. Sonor, klangschön, wortdeutlich und mit starker gestalterischer Kraft war er der zerbrochene Gott. Triumphal war er in jenen Momenten, wo er zu alter Kraft findet, als er Mime überlistet oder im Dialog mit Erda. Bei seinen Auftritten hing das Publikum an seinen Lippen.

Bayrischer Rundfunk / SIEGFRIED hier Simon Rattle und Orchester © Daniel Dittus
Bayrischer Rundfunk / SIEGFRIED hier Simon Rattle und Orchester © Daniel Dittus

Simon O’Neill war Siegfried. Er ist ein überragender Sänger und in der Rolle Wagner-Kennern aus dem Naxos Ring bekannt. Seine Stimme mit ihrem etwas rauhen Timbre hat seit dieser Aufnahme an Klangschönheit und Verblendung der Register nochmal gewonnen. Seine leuchtende Höhe, die klangvollen Mittellage und sein Durchhaltevermögen waren beeindruckend. Wandlungsfähig schafft er den stimmlichen Spagat zwischen Schmiedeliedern und Waldweben. Hier legte er eine berührende Innigkeit und Poesie an den Tag. Im Finale schwingt er sich erneut zu fulminanter Höhe auf und ging als leuchtender Bezwinger des magischen Feuers vom Platz.

Peter Hoare sang einen differenzierten Mime, der Siegfried mit seiner Stimmkraft und seinem in Heldische tendierender Stimme ein guter Widerpart war. Beiden merkte man aber die Schwierigkeiten mit dem widerborstigen Text an. Wagner hat das Werk Konsonanten und Stabreime gespickt, die schon Muttersprachler erblassen lassen.

Beide blieben ihren Rollenportraits durch geringe Textverständlichkeit und falsche Umlaute wie im "zöröck" das letzte Quäntchen zum Glück schuldig. Georg Nigls Alberich war ein stimmgewaltiger und stark akzentuiert singender Charakter. Franz-Josef Selig war ein mächtig imposanter Fafner. Gerhild Romberger gab eine Erda mit profunder Tiefe, üppiger Mittellage und leuchtender Höhe.,

Anja Kampe ist derzeit die führende Rollenvertreterinnen der Brünnhilde. Mit strahlender Stimme, überzeugte sie schon bei "Heil Dir Sonne" mit ihrer profunden Tiefe, der schwingenden Mittellage und völlig frei klingenden Höhe. Ihr standen alle stimmlichen alle Mittel zu Gebote, so dass sie sich vollständig auf ihre großartige Gestaltung konzentrieren konnte. Alle Spitzentöne strömten in den Saal wie Gold. Da stand wirklich eine Brünnhilde, der man auch Mozarts Donna Anna und Verdis Forza Leonore zutraut. Danae Kontora war ein leuchtend sinnlicher Waldvogel mit glitzernden Koloraturen.

Ob dieser Ring im Tonträgermarkt reüssieren wird, wird sich zeigen. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat schon unter Bernhard Haitink einen klanglich berauschenden und fulminant dirigierten Ring vorgelegt. Er zeigt aber auch, dass ein faules Ei, wie die tremolierende Brünnhilde von Eva Marton, den ganzen Brei verdirbt. Christian Thielemann und Marek Janowski sind in ihren ersten beiden Ringen an den Besetzungen gescheitert. Nun haben beide zumindest für den Rundfunk zwei Ringe vorgelegt bei denen Brünnhilde, Siegfried und Wotan exzellent besetzt waren und an denen sich Simon Rattles Produktion auch vom Dirigat wird messen lassen müssen.

Simon Rattles Hamburger Siegfried war aber unbeschadet dessen eine Gala-Aufführung, die maßstäblich war. Im Vergleich der Ring-Aufnahmen Furtwängler, Keilberth, Solti, Karajan, Levine oder Haitink kann er aber nicht punkten, weil sein Siegfried trotz der grandiosen stimmlichen Leistung, anders als beispielsweise Max Lorenz, Ludwig Suthaus, Wolfgang Windgassen oder Reiner Goldberg und Siegfried Jerusalem, wegen fehlender Textverständlichkeit nicht in die Walhalla der Siegfriede auf Tonträgern eingehen wird und auch das Dirigat nicht die überragende Qualität Christian Thielemanns in Berlin erreichte.

Vom Hamburger Publikum muss Simon Rattle einen verheerenden Eindruck gewonnen haben. Auf der ihm zugewandten Seite hinter dem Orchester glichen die Ränge einer Bahnhofshalle. Während der Aufführung standen in den Akten Zuschauer auf, setzen sich um liefen hinein oder hinaus oder lagerten auf dem Boden, so dass eine ständige Unruhe war, die ich bisher in keinem Konzert erlebt habe, Hier wären ordnende Hände in der Zukunft, die Schließung von Garderoben in den Pausen und Warnhinweise in den Programmankündigungen wie auf Zigarettenschachteln durch Hinweise wie „Hier erleben sie eine der längsten und schwierigsten Opern der Musikgeschichte“ hilfreich. Vor dem dritten Akt hatte mindestens ein Drittel des Publikums die Aufführung verlassen.

Letzteres schmälert nicht das Verdienst der Elbphilharmonie Hamburg, mit ihren konzertanten Opernaufführungen zu bereichern. Nach einer hinreißenden Norma ein beglückender Siegfried. Bitte mehr davon in der nächsten Spielzeit.

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