Hamburg, Elbphilharmonie, Mendelssohn-Festival Hamburg 2021, IOCO Kritik, 26.09.2021
Mendelssohn-Festival Hamburg 2021 -- Konzert 21.9.2021
Felix Mendelssohn-Bartholdy: Klaviertrio Nr. 1 d-moll opus 49, Franz Liszt: „Tristia“ für Klaviertrio , Franz Liszt: Bearbeitung von Franz Schuberts „Die Forelle“, S. 653 Nr. 6, Franz Schubert: „Forellenquintett“ A-Dur D 667
Trio Wanderer - Michele Campanella, Klavier - Nobuko Imai, Viola - Jens Bomhardt, Kontrabass
von Thomas Birkhahn
Wenn bei einem Konzert Werke drei musikalische Giganten des 19. Jahrhunderts auf dem Programm stehen, kann man davon ausgehen, dass es ein emotionaler Abend wird. Die Musik von Mendelssohn, Liszt und Schubert ist schon fast eine Garantie dafür, dass der Zuhörer - etwas poetisch ausgedrückt – mit vollem Herzen nach Hause geht.Für die Musiker des Trio Wanderer – seit vielen Jahren eines der weltweit besten Klaviertrios – war es eine besondere Herausforderung, an einem Abend drei Werke aufzuführen, die zwar alle derselben Stilepoche zuzurechnen sind, jedoch trotzdem völlig unterschiedliche Emotionen beinhalten. Vereinfacht gesagt, vom leidenschaftlichen Gefühlsrausch über düstere Verzweiflung bis zu übermütiger Freude konnte man in diesem Konzert alles erleben.Mendelssohns erstes Klaviertrio in d-moll op. 49 kann man mit als Inbegriff des Romantischen bezeichnen. Als eine leidenschaftliche Musik, wie sie persönlicher kaum vorstellbar ist. Die Musiker des Trio Wanderer zeigen nicht nur mit der Wahl ihres Namens, dass sie eine große Affinität zu romantischer Musik haben. Schon vom ersten Takt an macht Cellist Raphael Pidoux mit dem unruhig vorwärtsdrängenden Hauptthema deutlich, dass hier ein Komponist in höchster Erregung seine persönliche Gefühlswelt mit den Zuhörern teilt. Das Trio Wanderer spielt unglaublich zupackend. Hier wird keine Zurückhaltung geübt, sondern es werden mit vollem Risiko alle Facetten dieser hochemotionalen Musik ausgeleuchet. Die Bandbreite der Ausdrucksmöglichkeiten dieser drei Musiker scheint unerschöpflich. Die Streicher haben den großen Ton für die wunderbar gesanglichen Bögen, Pianist Vincent Coq spielt die rasenden Läufe des Klavierparts mit beängstigender Spannung. Die Intensität wird zum Ende des ersten Satzes so sehr gesteigert, dass man sich fragt, ob es mit drei Instrumenten überhaupt möglich ist, noch mehr Leidenschaft zu entfachen.Wie sehr die drei Musiker eine Einheit sind zeigen sie im innigen Gesang des zweiten Satzes. Die Streicher „sprechen“ durch gleiche Bogenartikulation und gleiches Vibrato wie mit einer Stimme. Die Wogen haben sich geglättet, es herrscht eine schlichte Gesanglichkeit, bis die Geister aus Mendelssohns Sommernachtstraumouvertüre einen kurzen Gastauftritt haben. Hier hätte man sich etwas mehr Leichtigkeit gewünscht. Dieser Elfentanz könnte noch eine Spur zarter und flüchtiger ausfallen, er kommt etwas zu geerdet daher.Im rasant vorwärts stürmenden Finale zeigen sich die Musiker wieder auf allerhöchstem Niveau. Mit traumwandlerischer Sicherheit finden sie die Balance zwischen melodischem Fluss und atemloser Ungeduld. Dies ist Musik, die nur nach vorne blickt, und die drei Instrumentalisten spielen – bildlich gesprochen – auf der äußersten Stuhlkante. Sie geben alles für die Musik eines Komponisten, der sein Innerstes so absolut nach außen gekehrt hat wie es dem romantischen Ideal wohl nicht besser entsprechen könnte.Ist Mendelssohns Klaviertrio ein Werk voller Ausrufezeichen, so könnte man Franz Liszts „Tristia“ als eine Art „Ich-Erzählung“ voller Fragezeichen bezeichnen. Im Jahr 1840 komponierte Liszt das Klavierstück „Vallee d'Obermann“ und veröffentlichte es später in seinem ersten Band der „Annees de pèlerinage“ („Jahre der Pilgerschaft“). Er wurde zu diesem Werk durch den französischen Roman Obermann von Pivert de Sènancour inspiriert, der die Romantik stark beeinflusste. In dem Roman stellt sich der von Existenzangst und Weltschmerz zerrissene Held Obermann die Sinnfragen des Lebens wie „Wer bin ich?“ und „Was will ich?“Liszt nahm sich das Werk 1880 – sechs Jahre vor seinem Tod – erneut vor, bearbeitete es für Klaviertrio und gab ihm den Titel „Tristia“, vermutlich benannt nach der „Tristia“ von Ovid, in dem der griechische Dichter poetische Briefe aus dem Exil schreibt. Das Trio Wanderer taucht tief ein in die ernste, beinahe düstere Grundstimmung des einsätzigen Werkes. Es ist wie ein vorsichtiges Abtasten, als wären die drei Instrumente zunächst auf der Suche, bis nach dem stockenden Beginn das klagende Thema gefunden ist. Immer wieder kommt die Musik zum Stillstand, und zunächst spielen die drei Instrumente selten gemeinsam, oftmals sogar nur ein Instrument solistisch, was möglicherweise die Einsamkeit des Romanhelden (und Liszt?) unterstreichen soll.Geiger Jean-Marc Phillips-Vrajabédian und Cellist Raphael Pidoux können in langen Solopassagen die große Palette an Klangfarben zeigen, über die sie verfügen. Besonders ein langes Cellosolo wird mit solch ungeheurer Intensität gespielt, dass es wie ein Blick in die Abgründe der Seele anmutet.Zwischendurch fragt man sich, ob Liszt diese Musik überhaupt für den Konzertsaal vorgesehen hat, so sehr ist sie phasenweise nach innen gekehrt. Die gegen Ende aufkommenden verzweifelten Ausbrüche klingen beim Trio Wanderer wie spontane Improvisationen. Geige und Cello „sprechen“ in höchster Verzweiflung. Großartig gestaltete Steigerungen lassen den Zuhörer im Unklaren, ob der Held am Ende vielleicht doch noch die existenziellen Fragen positiv für sich beantwortet hat.Ein größerer Kontrast zu Franz Schuberts „Forellenquintett“ ist wohl kaum vorstellbar. Wenn es so etwas wie glückliche Musik gibt, dann ist es dieses Werk, das der Cellist Sylvester Paumgartner im Jahr 1819 dem damals 22-jährigen Komponisten in Auftrag gab. Paumgartner wünschte sich ausdrücklich sowohl einen Variationssatz über Schuberts Lied „Die Forelle“ als auch die ungewöhnliche Besetzung mit einem Kontrabass.Nachdem Pianist Michele Campanella die Zuhörer mit Franz Liszts Bearbeitung des Schubertschen Liedes auf die lichte Klangwelt des „Forellenquintetts“ eingestimmt hat, wird das Trio Wanderer durch Nuboku Imai (Viola) und Jens Bomhardt (Kontrabass) zum Quintett erweitert und legt schon mit dem ersten A-Dur Akkord den Grundstein für die schwärmerisch-heitere Stimmung des gesamten Werkes. Mit unbändiger Musizierlust spielen die Musiker sowohl die übermütigen Läufe als auch die seligen Melodien eines Komponisten, der selten so unbeschwert daher kam. Sie finden aber auch für die ernsteren Zwischentöne, die gelegentlich auftauchen, die richtige Klangfarbe und es mangelt ihnen nicht an Präzision in den rasend schnellen Begleitfiguren, die im gemeinsam artikuliert und zugleich sehr lebendig gespielt werden.Besonders in Erinnerung bleiben die Streicher bei der Vorstellung des Themas im Variationssatz. Wunderbar warm und innig spielen sie eine der populärsten Melodien Schuberts.Die Freude der Musiker an dieser großartigen Musik überträgt sich auf das Publikum und entlädt sich am Ende in lange anhaltendem begeisterten Applaus. Jetzt geht man tatsächlich mit vollem Herzen nach Hause!---| IOCO Kritik Elbphilharmonie Hamburg |---