Hamburg, Elbphilharmonie, St. Francois d'Assise - Olivier Messiaen
ELBPHILHARMONIE. „St. Francois d'Assise" von Olivier Messiaen ist ein Mammutwerk für Ensemble und Zuhörer. Wer sie aufführt, braucht hunderte Personen auf und hinter der Bühne und die Kraft und Kompetenz,
von Michael Stange
Ergreifend mystischer "St. Francois d'Assise" von Messiaen in der Elbphilharmonie - Generalmusikdirektor Kent Nagano und Ensemble stürmisch umjubelt
Die Oper „St. Francois d'Assise" von Olivier Messiaen ist ein Mammutwerk für Ensemble und Zuhörer. Wer sie aufführt, braucht hunderte Personen auf und hinter der Bühne und die Kraft und Kompetenz, seine Mannschaft durch mehr als vier Stunden Musik zu navigieren. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Schwierigkeiten der Musik das Erfordernis des Aufrechterhaltens eines kontinuierliches Spannungsniveau nicht durchwegs begünstigen. Allein das Orchester umfasst 116 Mann mit teilweise exotischen Instrumenten; der Chor ist von gleicher Dimension.
Für die Verwirklichung dieses Herzensprojekts brauchte Generalmusikdirektor Kent Nagano neben seiner profunden musikalischen Kompetenz einen langen Atem. Ursprünglich waren die Aufführungen für 2020 vorgesehen und mussten pandemiebedingt verschoben werden.
Kent Nagano kennt das Werk aus erster Hand und war stets ein Botschafter Messiaens. Er war an der Uraufführung der Oper beteiligt und hat als junger Dirigent dort assistiert. Mehrfach hat er die Oper aufgeführt und ein Live-Mitschnitt aus Salzburg liegt bei der Deutschen Grammophon vor. So war es ein Glück, dass Messiaen in der Hamburger Aufführung in ihm einen so kompetenten und erfahrenen Botschafter hatte.
Dessen Bedarf Olivier Messiaen auch, weil er musikalisch aber auch biographisch eine besonders herausragende Gestalt war, deren Werk sich nicht unmittelbar erschließt. Dieser tief religiöser Mann, wurde auch als Außenseiter betrachtet, weil er eigene musikalische Theorien vertrat und einen wesentlichen Teil seines Wirkens von über sechzig Jahren seines Lebens auf der Organisten-stelle an der Pariser Kirche La Trinité in Paris verbrachte.
„St. Francois d'Assise“ greift diese religiösen Bezüge vollendet aus und trägt den Untertitel „Scènes franciscaines“ also gleichsam Szenen aus dem Leben des Franziskus. In drei Akten schildert „St. Francois d'Assise" in acht Bildern prägende Stationen auf dem Lebensweg des Heiligen. In der ersten Szene „La croix" erläutert François das Wesen der „vollkommenen Freude“, die nicht aus Tugenden wie Wundertätigkeit, Wissenschaft oder erfolgreichen Bekehrungen erwachse, sondern in der Fähigkeit bestehe, Demütigung geduldig zu ertragen. Ferner folgen unter anderem „Die Heilung eines Leprakranken", das Empfangen von Wundmalen an Händen und Füßen und die „Vogelpredigt" und der „Sonnengesang". Insbesondere in der „Vogelpredigt“ zeigen Francois und Messiaen ihre besondere Verbindung zur Natur. In ihr nennt François seinem Begleiter Frère Massée die Namen der regionalen Vögel und ergänzt sie um die Vögel der Inseln Neukaledoniens, die er aus seinen Träumen kennt.
Die beiden lauschen ihrem Gesang worauf François den Vögeln unter der Eiche eine Predigt hält, in der er sie auffordert, ihrem Schöpfer für seine Wohltaten zu danken. Nach dem abschließenden Segen verstummen die Vögel für einen Moment, bevor sie im großen Vogelkonzert zu erneutem Gesang anheben. Nach dessen Ende fliegen sie in vier Gruppen in die vier Himmelsrichtungen davon. So entsteht am Himmel das Bild eines Kreuzes. Dieses deutet Frère Massée als ein Zeichen, dass sich auch ihre Predigten wie Gesang und Flug der Vögel in alle Himmelsrichtungen verbreiten soll. François gemahnt ihn, dass er sich auf die göttliche Vorsehung zu verlassen solle.
Die Oper wurde am 28. November 1983 im Palais Garnier der Opéra national de Paris uraufgeführt und stellt den Gipfelpunkt seiner Kompositionen dar.
Schon eines der ersten Werke, die „Messe de la Pentecôte“, in der er frühere Improvisationen zusammenfasste, war wegen ihrer Modernität und der ätherischen Entrücktheit umstritten und unverstanden. Der 1908 Geborene wurde im zweiten Weltkrieg zum Militär einberufen. Er geriet in deutsche Kriegs-gefangenschaft und verbrachte neun Monate im Kriegsgefangenenlager Görlitz, wo er das "Quatuor pour la fin du temps", also das Quartett für das Ende der Zeit nach der Offenbarung des Johannes komponierte. Noch in der Kriegsgefangenschaft brachte er es mit drei anderen französischen Mitgefangenen zur Uraufführung. Auch 2025 werden in Görlitz zu seinem Gedenken wieder die Messiaen Tage abgehalten. Näheres unter: https://www.meetingpoint-memory-messiaen.eu/
Die Quellen von Messiaens Inspiration waren mannigfaltig. Neben der Religion, Zahlenmystik, indischen Rhythmen, Gregorianik, den Gesängen der Vögel, der Klangwelt javanischer Gamelan-Orchester, gregorianischen Gesängen oder indischen Raga-Klängen ließ er sich auch von Claude Debussy oder Igor Strawinsky inspirieren. Mathematisch-konstruktivistische Ideen bereichern seine Werke ebenso wie seine Erfindung des „valeur ajoutée“, der einen Notenwert gegen die Taktordnung etwas verlängert, was nach seinen Worten ein rhythmisch-metrisches Schweben und ein „genussvolles Hinken“ erzeugt. Rhythmus und Klangfarben bilden bei Messiaen eine überzeugende Einheit, die immer auch die Melodik einschließt.
Der Vogelgesang hatte bei seinen Kompositionen eine besondere Bedeutung. Für ihn waren die Vögel die größten Musiker, die unseren Planeten bewohnen. Für ihn sangen sie endlose Melodien mit feinsten Tonabstufungen. Daher waren ihr variantenreicher Gesang und die Vielfalt an Rhythmen eine wesentliche Inspirationsquelle. Messiaen zeichnete auch auf Weltreisen Vogelrufe auf. Er war in der Lage, ungefähr 700 Vogelrufe zu unterscheiden. Sie verwendete er unter anderem in den Klavierwerken „Catalogue d’Oiseaux“, „La fauvette des Jardins“ und eben im sechsten Bild „Le Prêche aux Oiseaux“ in seiner Oper.
Olivier Messiaen sah sich neben seinem Glauben als Synästhet, der eine quasi transzendente Wahrnehmung von Farben, Formen und Klängen hatte. Sie waren für ihn miteinander verwoben. Als leidenschaftlicher Hobby-Ornithologe, eine Begeisterung, die er mit Franz von Assisi teilte, zeichnete er rund 700 Vogelrufe in Notenschrift. Seine Kompositionen begriff er als persönliches Glaubenszeugnis, und klingende Theologie wobei er Klänge zugleich als Farben sah. Dazu meinte er: „Wenn ich Klänge höre, sehe ich geistig Farben. Ich habe das öffentlich gesagt, ich habe es vor den Kritikern wiederholt, ich habe es meinen Schülern erklärt, aber niemand schenkt mir Glauben. Ich kann noch so reichlich Farben in meiner Musik verwenden, die Zuhörer hören, aber sie sehen nichts.“
Herausforderung jeder Aufführung ist es daher, Messiaens Konzepte und seine Musik derart umzusetzen, dass die Zuschauer zum Fluss der Musik durch eine begleitende zugewandte Darstellung geführt in die Welt dieser Farben geführt werden.
Für dieses Farbspektrum des Orchesters, der Vokalpartien und der Bilder des Werkes hat Hamburgs Staatsopern-Intendant und Regisseur Georges Delnon ein gemeinsames Erleben eingerichtet, indem er über dem Orchester ein Podium errichtet hatte über dem einen runder Körper mit LED Beleuchtung thronte. Auf allen Plätzen waren darauf Video Installationen und die deutschen Texte des Gesungenen zu sehen.
Das wesentliche Element der Nächstenliebe und des Einsatzes für die Gemeinschaft versinnbildlichte Delnon anhand des Klimaforschers Mojib Latif, einer Aktivistin von Sea-Watch und einer Sterbebegleiterin. Weitere Filmsequenzen zeigen die Natur oder auch Figuren der Handlung in einzelnen Sequenzen.
Die Installationen und das Konzept schufen so ein starkes Bindeglied zwischen der Lebenswirklichkeit, dem Wirken von François d’Assise. Berührend, wie der Obdachlose ein Osterei findet aber auch die Stärke der Bilder des Seenot-rettungsschiffes und die Naturaufnahmen.
Durch die Installationen aber auch durch den an verschiedenen Orten des Konzertsaales singenden Engel wurden die Werke von Franziskus äußerst anschaulich versinnbildlicht, so dass die zunächst statisch und handlungsarm anmutende Oper auch bildlich in großer Kraft und Lebendigkeit erwuchs. Einer der Lieblingssätze Messiaens, den er auch in „Saint François d’Assise“ zitiert, ist: “Gott blendet uns mit einem Übermaß an Wahrheit.” Für die Uraufführung verlangte er, dass das Publikum auf dem Höhepunkt der Oper für einen Augenblick durch Scheinwerferlicht wie blind werden müsse. Jenes Licht setzte auch Delnon mehrfach wirksam ein. Höhepunkt dessen war die Begleitung des Crescendo im "Et expecto resurrectionem mortuorum" mit einer gewaltigen Lichtflut.
Kent Nagano lebte fast ein Jahr mit Messiaen in Paris, um bei der Uraufführung der Oper zu unterstützen. Für ihn war das im Alter von 31 Jahren die erste Gelegenheit, seine kalifornische Heimat Morro Bay zu verlassen und die europäische Kultur an ihrem Ursprung aufzunehmen. So verfügte Nagano über die Ruhe, die Kraft und die Aura, die verschlungene und rätselhafte Musik Messiaens zu verinnerlichen, mit dem Orchester zu analysieren und zu präsentieren und so die Zuschauer zu umgarnen und zu bannen. Nagano, Orchester, Chor und Solisten durchdrangen die oft hieroglyphischen Tonsprache, die ungewohnten Rhythmen und die vertrackte Polyphonie. Nagano mit immenser Präzision, ließ stets die Instrumente ausschwingen, achtete auf einen transparenten Klang und bette auch die stakkatohaften Passagen einzelner Episoden in seinen klanglichen Fluss ein. So erzeugte er mit dem Ensemble ein einzigartiges ungewohntes Klangwunder. Neben Klängen, die an Mahler oder Schönberg erinnerten, toste auch ein Rumoren oder Schnarren durch den Saal, das an indische Ragas gemahnte. Die Streicher erzeugten ungewöhnlich aufjauchzende Klangfarben, die lange im Ohr nachhallten. Bei den Bläsern oder Perkussionisten mit ihrem Volumen fühlte man sich hingegen an das Jüngste Gericht erinnert. Die Kontraste zwischen Ballungen des Klanges und den verhaltenen innigen Momenten, wie dem Gesang des Engels wurden zum Ereignis.
Das Philharmonische Staatsorchester hatte einen phantastischen Abend und trug durch engagiertes Spiel und beeindruckende Musikalität entscheidend zum Erfolg des Abends bei.
Die Staatsoper Hamburg war gut beraten, für diese Aufführungsserie die Elbphilharmonie zu nutzen. Dort konnte sie Messiaens Klangrausch in seiner ganzen Farbpracht entfalten, weil die dortige moderne ausgefeilte Akustik ein wesentlich differenziertes Klangbild ermöglichte, als dies in der Hamburgischen Staatsoper oder einem anderen Saal der Fall gewesen wäre.
Auch gesanglich war die Aufführung von immenser Suggestivität. Jacques Imbrailo singt einen unschuldig suchenden Francois, der mit reinem differenziert geführtem hellen Bariton punkte. Stimmlich und darstellerisch ist er die ideale Verkörperung des nach Gott suchenden Wanderers. Anna Prohaska schwebte als Engel durch alle Etagen der Elbphilharmonie. Mit glockenhellem, klarem und kräftigem Sopran meisterte sie die Herausforderungen und Sprünge in Messiaens Musik. Eine beachtliche Leistung.
Kartal Karagedik als Léon bewies erneut, wie sich seine Stimme in den letzten Jahren entwickelt hat. Glutvoll von der tiefen Lage bis in die hohen Töne klang die Stimme wortgewaltig und strömend in den Saal. Mit immenser Suggestivität und begnadeter Musikalität füllt er die Rolle aus. Dovlet Nurgeldiev als Massèe punktete mit subtilem Tenor und phänomenaler vokaler Pracht. Andrew Dickinson (Èlie) und David Minseok Kang (Bernard) boten große Leistungen und gingen vollends in ihren Partien auf.
Die von Martin Steidler einstudierten Chöre der Audi Jugendchorakademie und des LauschWerks meisterten ihre schwierige Aufgabe mit vollendeter Dynamik, blühender Poesie und beachtlicher Polyphonie.
Die Aufführung wurde vom Publikum stürmisch bejubelt und einhellig gefeiert. Damit haben und Kent Nagano und Georges Delnon ihre Tätigkeit an der Staatsoper Hamburg gekrönt. Selten wurde in einer hiesigen Premiere so suggestiv musiziert und so packend inszeniert.
Dem Publikum ein Werk wie Messiaens „Saint François d’Assise“ so eindringlich und eindrucksvoll nahezubringen ist eine Glanzleistung für die insbesondere diesen beiden Protagonisten höchste Anerkennung gebührt.