Hamburg, Elbphilharmonie, EINSTEIN ON THE BEACH - Oper Philip Glass, IOCO Kritik, 01.12.2022
EINSTEIN ON THE BEACH - Philip Glass
- Oper - oder eine Art hypnotisierendes „musikalisches Happening“ -
von Wolfgang Schmitt
Philip Glass hat sich zu einem der wichtigsten und erfolgreichsten amerikanischen Komponisten zeitgenössischer Musik entwickelt, seine Oper Einstein on the Beach wird sogar als die wichtigste und bedeutendste Opernkomposition der letzten 50 Jahre bezeichnet. Eingefleischte Opernliebhaber werden dieser Aussage vermutlich nicht so ohne weiteres beipflichten können, denn wer Wagner, Strauss, Puccini, Verdi oder Tschaikowsky liebt kann mit dem Kompositionsstil eines Philip Glass, der sogenannten „Minimal Music“, sicherlich nicht allzu viel anfangen. Eine Musik, die meist auf einfachen Akkorden beruht, welche sich endlos wiederholen, ist für den ungeübten Zuhörer doch arg gewöhnungsbedürftig.
EINSTEIN ON THE BEACH in der Elbphilharmonie youtube Elbphilharmonie Hamburg [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Die Hamburger Elbphilharmonie war am 27.11.2022 dennoch ausverkauft. Die Dauer des Werkes betrug fast dreieinhalb Stunden, eine Pause war nicht vorgesehen und die Besucher durften während der Aufführung den Saal verlassen, sich von dem eben Gehörten erholen, einen Drink zu sich nehmen, und wieder hereinkommen. Diese Möglichkeit wurde auch eifrig genutzt, viele Plätze wurden jedoch nicht wieder eingenommen.
Ist Einstein on the Beach tatsächlich eine „Oper“? Eigentlich sollte man es als ein „musikalisches Happening“ bezeichnen – es gibt hier nicht die üblichen Solisten Sopran, Mezzo, Tenor, Bariton und Bass. Einstein on the Beach hat keine Handlung. Für den Chor gibt es keinen Text, er singt „one-two- three- ...“ oder „do-re-mi- ...“ in endlos erscheinender monotoner Abfolge. Als Zuhörer ist man erstmal relativ überrascht, geschockt und schnell genervt, verfällt mit der Zeit in eine Art von Trancezustand, kommt sich fast vor wie hypnotisiert, merkt jedoch irgendwann, daß sich doch etwas an der klanglichen Monotonie verändert, daß z.B. die Tonhöhe wechselt und das Tempo anzieht oder sich wieder verlangsamt. Wenn etwa die erste Stunde der Aufführung überstanden ist, fühlt man sich plötzlich wie hineingezogen in einen Bann, entwickelt seine eigenen Gedanken und Assoziationen, und die Magie dieses Werkes ist greifbar, eine „Handlung“ spielt sich dann möglicherweise im Kopf des Zuhörers ab. Und nachdem man sich dreieinhalb Stunden lang in diese Klangwelt eingebettet fühlte, war man dann fast enttäuscht, daß es schon zu Ende ist.
Realisiert wurde dieses „Happening“ durch das Ensemble „ICTUS“, eine aus Brüssel stammende Musikergruppe unter der Leitung von Tom de Cock, die sich der zeitgenössischen Musik verschrieben hat, bestehend aus zwei Keyboardern, Violine, zwei Querflöten, Bassklarinette, Sopran- und Alt-Saxophon, sowie durch das COLLEGIUM VOCALE GENT mit vierzehn wunderbar singenden Choristen.
Das Werk besteht aus vier Akten und fünf „Kneeplays“ (Interludes). Die von Philip Glass und Robert Wilson geschriebenen Texte wurden vorgetragen von Suzanne Vega, leider oftmals wort- undeutlich deklamiert trotz der viel gepriesenen Akustik dieses Konzertsaals.
Philip Glass schrieb Einstein on the Beach in den Jahren 1973 - 1975. Er hatte sich bereits einen Namen gemacht durch zeitgenössische, weniger elitäre und weniger anspruchsvolle Kompositionen des Mainstreams, Filmmusiken, Fernsehsoundtracks u.a., war der populären Musik ebenfalls nicht abgeneigt. Und so wähnt man in seinen endlos ausufernden Chorpassagen durchaus starke Einflüsse und Anklänge und Background-Gesänge von einigen in den sechziger und siebziger Jahren höchst erfolgreichen Vokalgruppen wie Sergio Mendes & Brasil '66, den Fifth Dimension oder auch Manhattan Transfer – der eigenen Phantasie sind dem geneigten Zuhörer hierbei keinerlei Grenzen gesetzt. Untermalt von den wabernden, sich im fortwährenden Dauereinsatz befindlichen Keyboards und den ätherischen Klängen der vierzehn Choristen waren Klarinette, Saxophon und ganz besonders die über allem tirilierende Querflöte (Chryssi Dimitriou) stets beteiligt und setzten eigene brillante Akzente. Ebenso die Violine (Igor Semenoff) – und diese scheint der einzige Bezug zum Titel des Werkes, denn auch Albert Einstein war ein leidenschaftlicher Geigenspieler – ragte in ihren Einsätzen wohltuend aus dem gesamten Minimalismus heraus und erweckte den Zuhörer wieder einmal aus seinem wohligen Trancezustand.
Einige weitere Glanzlichter der Darbietung waren beispielsweise das starke Herrensextett als Untermalung eines Textes der Erzählerin, ein engelsgleiches Sopransolo einer der Choristinnen, oder die Art und Weise, wie der zweite Dirigent Michael Schmid vorn am Bühnenrand stehend in Jethro Tull's Ian-Anderson-Manier sein herrliches Querflöten-Solo präsentierte.
Der letzte Akt begann nahezu psychedelisch und die Phantasie ließ einige Momente lang an die legendäre West-Coast-Band Jefferson Starship denken.
Allzu häufig wird Einstein on the Beach an den internationalen Bühnen und Konzerthäusern nicht präsentiert – wohl aufgrund seiner Länge in Kombination mit seiner ungewöhnlichen, zunächst nicht wirklich eingängigen Minimalismus-Komposition, und so war dieser Abend trotz anfänglicher leichter Skepsis ein grandioses Erlebnis.
Der größte Teil des interessierten Publikums hielt die fast dreieinhalb Stunden bis zum Ende durch und spendete allen Protagonisten lang anhaltenden, donnernden Applaus.
---| IOCO Kritik Elbphilharmonie Hamburg |---