Hamburg, Elbphilharmonie, DIE SOLDATEN - B. A. Zimmermann, IOCO Kritik, 24.1.2024
ELBPHILHARMONIE: Die Soldaten ist die einzige vollendete Oper des Komponisten Bernd Alois Zimmermann (1918 – 1970), an der er ab 1957 arbeitete und deren Erstaufführung 1965 in Köln stattfand. Eine weitere Oper, Medea, blieb unvollendet, als er 1970 freiwillig aus dem Leben schied.
GRAUSAM – aber – GROSSARTIG
von Wolfgang Schmitt
Die Soldaten ist die einzige vollendete Oper des Komponisten Bernd Alois Zimmermann (1918 – 1970), an der er ab 1957 arbeitete und deren Erstaufführung 1965 in Köln stattfand. Eine weitere Oper, Medea, blieb unvollendet, als er 1970 freiwillig aus dem Leben schied.
Die Soldaten stellt eine düstere Parabel dar, über Krieg, Macht und Machtmissbrauch, Unmenschlichkeit, sexuelle Ausbeutung, Verfall und Tod. Als Vorlage zu seiner Oper diente ihm das gleichnamige Schauspiel des Sturm-und-Drang-Autors Jakob Michael Reinhold Lenz, ein kritisches Zeitstück des 18. Jahrhunderts, welches die Ehelosigkeit adliger Offiziere und das Leid verführter Bürgertöchter zum Thema hatte.
Zimmermann stellte die 4-aktige Handlung seiner Oper in einer Art von Collagetechnik dar, komponierte sie in der Zwölftontechnik, vermischt mit Jazz-Elementen, Barock-Anklängen, traditionellen oder verfremdeten folkloristischen Motiven, Musik verschiedener anderer Stil-Epochen, und er verwendete hierzu erstmals auch Filmprojektionen, Lautsprecher, Simultan-Szenen und Tonband-Einspielungen. In ihrer ganzen Komplexität galt diese Oper zunächst als unaufführbar aufgrund immenser musikalischer, orchestraler und sängerischer Anforderungen, doch nach einigen Umarbeitungen durch den Komponisten wurden die Soldaten 1965 am Opernhaus Köln unter der Leitung von Michael Gielen uraufgeführt. Für Zimmermann, der zuvor u.a. Filmmusiken und Werke für kleines oder größeres Orchester schrieb, war diese Uraufführung seiner Soldaten der Durchbruch. Die Oper wurde von vielen größeren Bühnen nachgespielt, so 1969 in München, 1976 an Hamburgischen Staatsoper in einer faszinierenden Regie von Götz Friedrich, 1982 an der Deutschen Oper Berlin in der Regie von Hans Neuenfels, sowie in Kassel, Düsseldorf, Frankfurt, München und Stuttgart. Die amerikanische Erstaufführung fand 1982 in Boston unter der Leitung von Sarah Caldwell statt, und es folgte die New York City Opera. Im Laufe der Jahre gab es auch Produktionen der Soldaten in Buenos Aires, Madrid, London und in Tokio.
Am 21. Januar 2024 gastierte das Kölner Gürzenich-Orchester in der Elbphilharmonie und präsentierte in einer beeindruckenden semi-konzertanten Aufführung dieses opulente Werk unter der Leitung von Francois-Xavier Roth. Mehr als 100 Musiker fanden auf dem Podium Platz, dahinter wurde auf der Chor-Empore eine schmale, abgestufte Spielfläche für die zwei Dutzend Protagonisten und den etwa einem Dutzend Mitgliedern des Herrenchors geschaffen. Drei Schlagwerk-Gruppen wurden in die Ränge platziert, ebenso eine Jazz-Combo. Wie der Dirigent Roth diesen riesigen Orchesterapparat zu koordinieren vermochte war bewundernswert.
Er schlägt mit einer Klarheit und Präzision sondergleichen, und ihm dabei zuzuschauen war hochinteressant. Wie exakt er die Dynamik und die Expressivität, die Schärfe und Exaktheit dieser komplexen Partitur mit seinem exzellenten Orchester und auch mit dem durchweg hervorragend besetzten Sänger-Ensemble realisiert hat, war schlicht sensationell. Gleich einem Orkan durchflutete diese Zwölfton-Musik dröhnend den Großen Saal der Elbphilharmonie mit seiner außergewöhnlichen Akustik. Als Zuhörer ist man zunächst erschrocken, aber auch überwältigt und fasziniert zugleich von den Bläsern und Trommeln, doch dann wird man versöhnt durch sanft klingende Streicherpassagen und Klarinetteneinwürfe.
Für diese Aufführung, die in dieser Form auch in Köln und in der Pariser Philharmonie gezeigt wird, hat der Regisseur Calixto Bieito ein reduziertes szenisches Konzept entwickelt, um den Protagonisten mehr oder minder dezente darstellerische Möglichkeiten, und mit wenigen Requisiten ausgestattet wie Stahlhelmen oder Peitschen, abzuverlangen. Recht drastisch ging es allerdings bei der Gruppen-Vergewaltigungsszene der Marie zu, die hierbei jedoch von der Schauspielerin und Tänzerin Denise Meisner gedoubelt wurde.
Zu Beginn in militärischem Gleichschritt betreten die Solisten die Empore über dem Orchester, um am Ende zu den endlosen unheilvollen Paukenschlägen in grell-gelben Licht (der Komponist intendiert hier die Atombombe) in den Untergang zu marschieren.
Gesungen wurde exzeptionell, und man spürte bei jedem einzelnen Solisten, wie sehr sie sich ihre äußerst diffizilen Rollen zu eigen gemacht haben. Allen voran die Marie von Emily Hindrichs, die mit ihrem dramatischen Koloratursopran scheinbar mühelos diese anspruchsvolle Partie mit ihren vertrackten Intervallsprüngen bewältigte. Judith Thielsen sang mit sattem Mezzo ihre Schwester Charlotte. Großartig klang die pastose Altstimme von Kismara Pezzati als Weseners alte Mutter. Auch Alexandra Ionis als Stolzius' Mutter überzeugt mit schönem Mezzosopran und gab sich innerhalb des Ensembles darstellerisch spielfreudig. Laura Aikin bot eine wunderbare Gräfin de la Roche mit einer Mischung aus gewagten Koloraturen und Sprechgesang.
Der aus Island stammende Tómas Tómasson sang Wesener, den Vater von Marie und Charlotte, mit kräftigem Bass. Nikolay Borchev war Stolzius mit klangvollem Kavaliersbariton, Martin Koch lieh seinen hellen Tenor dem Desportes, Oliver Zwarg überzeugte in seinen Szenen als Prediger Eisenhardt. Die Baritone Miljenko Turk als Hauptmann Haudy und Wolfgang Stefan Schwaiger als Hauptmann Mary, sowie die Tenöre Alexander Kaimbacher als der junge Graf de la Roche und John Heuzenroeder als Hauptmann Pirzel seien stellvertretend für die zahlreichen kleineren Partien genannt.
Nicht ganz zu Unrecht wird Bernd Alois Zimmermanns Oper Die Soldaten als ein „Jahrhundert-Werk“ gepriesen, als ein „Schlüsselwerk“ des 20. Jahrhunderts, und es wird gleichgesetzt mit Arnold Schönbergs Moses und Aron, sowie mit Alban Bergs Opern Wozzeck und Lulu.
Diese Aufführung in der restlos ausverkauften Elbphilharmonie kann durchaus als Beweis dieser These gelten. Ebenso der lang anhaltende, nicht enden wollende Jubel am Ende für sämtliche Mitwirkenden.