Hamburg, Altonaer Theater, Walter Kempowski - Eine Familienchronik, IOCO Kritik, 23.10.2018
Walter Kempowski - Eine Familienchronik
- Aus großer Zeit / Tadellöser und Wolff -
Von Rolf Brunckhorst
Mit einem ehrgeizigen Projekt erweckte das Altonaer Theater großes Interesse bei seinen Abonnenten ebenso wie den gelegentlichen Besuchern des Theaters. Besagtes Projekt ist nichts weniger als der Versuch, Walter Kempowskis Familienchronik, in der er schildert, wie seine Familie die Zeit des 1. Weltkrieges, der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges, und schließlich die Gründungsjahre der Deutschen Demokratischen Republik übersteht, auf die Bühne des Altonaer Theater zu bringen
Kempowskis Familie ist zugleich Repräsentant des deutschen Bürgertums, besonders natürlich der Rostocker Gesellschaft. In allen bedrohlichen Situationen gilt für die Familie Kempowski die Reaktion „Augen zu und durch“. So versuchen die Kempowskis, ihre Familienidylle von Wohnung zu Wohnung, von Fliegerbombe zu Fliegerbombe, und stetigen Problemen mit den Behörden, als Scheinwelt für sich aufrecht zu erhalten. Das Altonaer Theater hat im Herbst 2018 die ersten beiden Teile des Projekts auf die Bühne gebracht, die Teile 3 und 4 folgen im Frühjahr 2019. Dabei hält sich Axel Schneider, der das Stück für die Bühne eingerichtet und auch die Regie geführt hat, so präzise wie möglich an die Romanvorlage.
Die Romanvorlage eignet sich mit ihren kurzen inhaltlichen Abrissen perfekt für eine Bühnenversion. So reiht sich auch hier Szenenwechsel an Szenenwechsel, und zwei Minuten nach der Picnic-Szene in der Rostocker Heide befindet sich der Zuschauer im Haus der Familie. Dafür, daß der Abend nicht in allzu viele Einzelteile zerbricht, sorgt die Rolle des Walter Kempowski, der neben seiner Spielrolle auch den Kommentator der Chronik zu sprechen hat. Das bedeutet für den Darsteller eine fast ununterbrochene Bühnenpräsenz. Johan Richter macht das alles ganz ausgezeichnet. Schon rein optisch wirkt er ideal, man weiß auf den ersten Blick, wen man vor sich hat, denn er ähnelt einerseits verblüffend dem originalen Walter Kempowski und kommt wunderbar nahe an die Hauptfigur der Fernsehverfilmung heran – eine ganz gelungene Mischung. Sprachlich ist er überragend, der Zuschauer versteht jedes Wort sowohl in den Chronikauszügen als auch in den komplizierten Ensembleszenen. Laute Bravorufe ließen erahnen, daß Johan Richter sich in dieser Rolle als Publikumsliebling etablieren wird. Ab dem zweiten Abend tritt mit der zweiten Kempowski-Generation auch der sprachliche Kunstgriff Walter Kempowskis in den Vordergrund, seine Hauptpersonen in einem äußerst vergnüglichen Sprach-Mix agieren zu lassen. Anne Schieber als Grete Kempowski hat die bekanntesten und beliebtesten dieser zu Redewendungen gewordenen Redensarten in ihren Sprachgebrauch übernommen. Egal ob gejubelt wird („Kinder wie isses denn nun schön“), oder Verletztheit und Verwunderung („Kinder wie kann es denn nun bloß angehen“), Anne Schieber bringt das differenziert über die Runden und erzielt beim Publikum, das natürlich auf diese sprachlichen Schmankerln gelauert hat, regelmäßige Lacher. Da man keine Grete Kempowski auf dieser Welt mit Edda Seippel (aus der TV-Produktion) vergleichen kann, tut der Rezensent dieses hier natürlich auch nicht.
Anne Schieber stehen, wenn sich die Bühnenfassung auch im 3. und 4. Teil eng an das Original hält, noch die heikelsten Szenen bevor, nämlich der Aufenthalt im Frauengefängnis, und das leicht pathetische Finale, nämlich die Abrechnung mit den beiden Söhnen. An ihrer Seite war es Dirk Hoener als Karl Kempowski vorbehalten, die „Gutmannsdörfer“ und ähnliche Formulierungsschoten auf die Bühne zu bringen. Klagend und fragend durchzieht er gleichsam einem roten Faden die Rolle mit dem Zustand seiner Gesichtshaut. Sehr viel ist in der Bühnenversion von den in hohem Tempo abzulaufenden Dialogen zwischen Walter und Robert abhängig; auch Philip Spreen agiert hier ebenso vorbildlich wie sein Bühnenbruder, auch seinem Maskenbildner sei ein besonderes Lob ausgesprochen. Tochter Ulla hat ihren Weg aus dem politischen Dilemma ihrer Heimat gefunden, sie heiratet den Dänen Sörensen.
Ullas Rolle wird im 3. und 4. Teil vor allem daraus bestehen, Versorgungspakete an den Rest der Familie zu verschicken. Nadja Wünsche wertet diese von der Anlage her etwas blasse Rolle durch ihr engagiertes Spiel deutlich auf und profiliert sich auch bei ihren Gesangseinlagen. Tobias Dürr hatte nicht nur Ullas dänischen Ehemann Sörensen darzustellen, sondern hatte ebenso wie Detlef Heydorn (Opa Kempowski u.a.), Katrin Gehrken (u.a. Klavierlehrerin Frl. Schnabel), und Ute Geske (ganz köstlich als Ute, Elke u.a.) zahlreiche kleinere Rollen übernommen. Zum Gelingen der beiden Abende trugen auch das spartanische, aber mit sinnvollen Symbolen arbeitende Bühnenbild (Ulrike Engelbrecht) sowie die zeitgemäßen Kostüme (Volker Deutschmann, Sabine von Allwörden) bei.
Allen Beteiligten dieser Produktion sei für diese beiden vorbildlichen Theaterabende gedankt, die schon Freude aufs Wiedersehen in den Teilen
3 und 4 im April 2019aufkommen lassen.
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